Süddeutsche Zeitung

Rechter Terror in München:Unheimliche Parallelen

Für die Nationalsozialisten war München die "Hauptstadt der Bewegung", das rechtsextreme Zwickauer Terrortrio hat dort zwei ausländische Mitbürger ermordet - zu der Zeit, als in München Prozesse gegen rechtsextremistische Straftäter liefen. Und nicht weit von Treffpunkten ihrer Gesinnungsgenossen entfernt. Die Polizei prüft nun einen möglichen Zusammenhang.

Susi Wimmer, Florian Fuchs und Bernd Kastner

Warum München? Warum Ramersdorf und das Westend? Warum am 29. August 2001 und am 15. Juni 2005? An diesen Tagen wurden zwei Ausländer erschossen, heute sind sich die Ermittler sicher, dass die Täter zur rechtsterroristischen Terrorzelle aus Zwickau gehören. Was hat sie nach München geführt in ihrer bundesweiten, Jahre andauernden Mordserie?

Noch gibt es keine Antworten. Betrachtet man die Tatorte in München und die Monate vor den Morden, fällt aber die örtliche und zeitliche Nähe zu rechtsextremen Treffpunkten und Aktivitäten auf. Zufall? Oder ein Hinweis auf mögliche Verbindungen zwischen der Zwickauer Terrorzelle und Münchner Gesinnungsgenossen? Beim Generalbundesanwalt heißt es, man prüfe mögliche Kontakte in die rechte Szene der Städte, in denen die Morde geschahen.

Im Jahr 2001 war die gewaltbereite rechtsextreme Szene in München in Aufruhr. Zum Hass auf Ausländer dürfte große Wut auf den Staat gekommen sein. Im Januar hatten Neonazis in der Zenettistraße im Schlachthofviertel einen Griechen grundlos zusammengeschlagen und schwer verletzt.

Etwa 60 Rechtsextreme waren in eine Gaststätte zu einer Geburtstagsfeier gekommen. Vor der Tür attackierte eine junge Frau einen zufällig vorbeikommenden Griechen, ihre Kameraden stürmten auf die Straße. Womöglich wäre das Opfer gestorben, wären ihm nicht Türken zu Hilfe gekommen. Später sagten diese vor Gericht gegen die Neonazis aus und belasteten sie.

Nur drei Monate nach diesem Überfall fielen zwei aus der Geburtstagsgesellschaft erneut auf: Nach einem Besuch des Frühlingsfestes auf der Theresienwiese sollen sie einen dunkelhäutigen Ausländer laut Anklage beschimpft und zusammengeschlagen haben. Im Herbst wurden sie verurteilt - wegen Beleidigung. Wer zugeschlagen hatte, ließ sich nicht mehr klären.

Im Laufe des Jahres 2001 fanden drei Prozesse wegen des Überfalls in der Zenettistraße statt. Ein Richter konstatierte ein "erschreckendes Ausmaß" extremistischer Gewalttaten. An einem Prozesstag Mitte August pöbelten und feixten mehrere Burschenschafter der Danubia im Gerichtssaal herum - die Männer waren teils in vollem Wichs gekommen.

Einer der Täter hatte im Danuben-Haus in Bogenhausen nach der Tat Unterschlupf gefunden. Die Opfer des Überfalls wurden teils massiv eingeschüchtert. Ein türkischer Helfer, der als Zeuge aussagen sollte, erhielt Mitte August einen anonymen Drohbrief: "Heil Hitler Es geht weiter wir haben euch Nicht Vergessen Krieg und Tod den Schwulen Ausländer Neger und Verräter Deutschland den Deutschen."

In dieser aufgeheizten Atmosphäre, am 29. August 2001, einen Tag vor einer Urteilsverkündung, wurde der türkische Gemüsehändler Habil K. erschossen. Täter sind, wie man heute weiß, Neonazis aus Zwickau. Tatort war die Bad-Schachener-Straße 14. Wo die Stadtbezirke Ramersdorf, Berg am Laim und Giesing ineinander übergehen stehen schmucklose Wohnblöcke, hier sind die Fassaden oft grau vom Ruß der großen Straßen. Hier ist München nicht geschleckt.

Nur wenige hundert Meter entfernt vom Tatort war bis vor einem Jahr das Lokal "Glaskasten". Es war verrufen als Treffpunkt von Rechtsextremisten, Ende der 90er Jahre und dann wieder zehn Jahre später war dies durch Proteste öffentlich geworden. Bewohner des Viertels erzählen von weiteren braunen Treffpunkten in der Gegend, man stößt auf die Namen von vier Lokalen. Von Nebenzimmern, in denen sich Extremisten trafen, ist die Rede, und vom Ärger, den diese irgendwann mit den Wirten bekamen.

Der "Glaskasten" war wohl über viele Jahre eine Art braunes Nest. Auf einer Scheibe des ehemaligen Wirtshauses ist heute geschmiert: "Ofen aus in diesem Verbr. Staat + bald überall."

Der Mord an dem Griechen Theodorous B. geschah fast vier Jahre nach dem ersten, am 15. Juni 2005. Er wurde in seinem Schlüsseldienstladen in der Trappentreustraße 4 erschossen. Der Tatort an der Donnersbergerbrücke liegt, wie der in Ramersdorf, in unmittelbarer Nähe des Mittleren Rings, die Täter konnten schnell auf Hauptverkehrsstraßen entkommen.

Und noch etwas fällt auf: In Sichtweite des Tatorts lebte bis zu seiner Verhaftung im September 2003 Martin Wiese, der als "Rädelsführer" einer terroristischen Vereinigung verurteilt wurde. Seine WG in der Landsberger Straße war so etwas wie das Hauptquartier der "Kameradschaft Süd", die sich in den Wäldern um München zu Wehrübungen getroffen hatte.

Die Gruppe hatte einen Bombenanschlag auf das jüdische Zentrum am Jakobsplatz geplant. Die Wohnung war mit zahlreichen NS-Devotionalien dekoriert, im Fenster soll öfter die Reichskriegsflagge gehangen haben.

Zwischen der Zerschlagung der Gruppe und dem Mord an dem Griechen klafft eine zeitliche Lücke von knapp zwei Jahren. Doch das Westend dürfte in rechtsextremen Kreisen bekannt gewesen sein: Hier, wo viele Migranten leben, traf sich auch immer wieder die rechtsextreme Szene. Bereits 1996 hatten Rechtsextreme laut dem Antifaschistischen Informationsarchiv Aida in einem Westend-Lokal den "Freizeitverein Isar 96" gegründet, der 2002 weitgehend in der "Kameradschaft Süd" aufgegangen sein soll.

Ende der 90er Jahre erregte ein Vorfall am Gollierplatz Aufsehen, bei dem zwei Männer in der Nacht ihre Dobermänner auf zwei Griechen hetzten. "Scheiß-Kanake, du musst sterben", soll einer der Angreifer noch gebrüllt haben, bevor er losprügelte. Vor Gericht wurden die Schläger zu Haftstrafen verurteilt.

Die Umtriebe der Neonazis waren im Viertel bekannt. Münir Derventli etwa, Vorsitzender des Kulturladens Westend, erinnert sich an eine Gruppe, die sich "Braune Stadtmusikanten" nannte. In den Jahren vor und nach dem Mord sollen sich die Mitglieder regelmäßig zu Stammtischen in Kneipen in der Westend- und Schwanthalerstraße getroffen haben. Der SPD-Politiker Ludwig Wörner, Vorsitzender des Bezirksausschusses, weiß ebenso von einer Kneipe, in der es "regelmäßig Nazitreffen" gegeben habe - bis die Brauerei den Wirt wechselte.

Und auch 2005 war die Szene aufgewühlt. Seit Ende 2004 liefen die Prozesse gegen die Terrorgruppe wegen des geplanten Attentats, zwei davon in München. Wenige Wochen vor dem Mord wurde der "Rädelsführer" zu sieben Jahren Haft verurteilt, auch "Kameraden" mussten in Haft. Beobachter registrierten gesteigerte rechtsextremistische Aktivitäten im Jahr 2005, gerade in München.

Der Verfassungsschutz zählte in diesem Jahr 77 Gewalttaten in Bayern, fast doppelt so viele wie im Vorjahr. 2004 hatte sich die "Kameradschaft München" gegründet, teils aus Mitgliedern der zerschlagenen "Kameradschaft Süd". Sie pflegte laut Verfassungsschutz überregional "intensive Kontakte" zu anderen bayerischen Neonazis.

Im Frühsommer 2005 spalteten sich die "Autonomen Nationalisten" ab. Grund war laut Verfassungsschutz ein Konflikt der beiden Anführer, die "Kameradschaft" galt den "Autonomen" als "zu wenig gewaltorientiert". Entsprechend aggressiv traten die "Autonomen" auf.

Anfang 2005 gründete die NPD einen neuen Kreisverband in München und einen Bezirksverband Oberbayern. Im Frühjahr und Sommer 2005 kam es zu diversen öffentlichen Aktionen im Raum München, teils zu gewalttätigen Übergriffen. Anfang April marschierten 300 Neonazis durch die Stadt, Anfang Mai versammelten sich Dutzende auf dem Marienplatz.

Im Mai wurde eine Schaufensterscheibe mit einem Davidstern beschmiert und der Parole "Kauft nicht bei Juden". Am 2. Juni trafen sich bekannte Neonazis in einer Gaststätte in Laim, angeblich um den Bundeswahlkampf vorzubereiten. Zwei Tage später demonstrierten in Dorfen (Landkreis Erding) 130 Rechtsextreme gegen das Jugendzentrum.

In der Nacht zum 12. Juni nahm die Polizei vier Rechtsextremisten fest, die "Sieg Heil" gerufen hatten. Sie waren mit der S-Bahn von einer Geburtstagsfeier in Wolfratshausen gekommen, wo etwa 60 "Kameraden" gefeiert hatten. Unter ihnen viele Mitglieder der "Kameradschaft", so der Verfassungsschutz. Am 15. Juni dann der Mord an dem Griechen im Westend.

Stehen diese Aktionen und Übergriffe in einem Zusammenhang? Gibt es eine Verbindung zwischen den Morden und den neonazistischen Aktivitäten in der ehemaligen "Hauptstadt der Bewegung"? Auch die Münchner Polizei treiben diese Fragen um. 2006 schlossen Profiler auch Verbindungen in die rechte Szene nicht aus. Könnte Ausländerhass ein Motiv sein? Die Fahnder entdeckten keine Hinweise darauf.

Jetzt führt die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe die Ermittlungen. "Wir gehen allen Hinweisen nach", heißt es dort. Auch, um mögliche Kontakte des Zwickauer Trios in die Münchner Szene zu erkennen und Hintermänner zu finden.

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SZ vom 29.11.2011/afis
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