Süddeutsche Zeitung

Rechte Szene in München:Bewegung im braunen Sumpf

Im August 2010 wurde der Rechtsextremist Martin Wiese aus der Haft entlassen. Nun versucht er offenbar, die zerstrittene Neonazi-Szene im Raum München zu einen.

F. Obermaier und M. Maier-Albang

Sie hatten sich einen Ort außerhalb der Stadt gesucht, zwischen Wiesen und Feldern, wo es außer einer Gärtnerei keine Nachbarn gibt, die Anstoß nehmen könnten an einer Freiluft-Party am Samstagabend. Einige Seen und Tümpel haben die Moosinninger am Ortsrand, Feiern finden hier öfter statt. Am vergangenen Samstag jedoch traf sich in der Nähe eines Fischweihers eine dubiose Gruppe: An die 40 Neonazis folgten einer Einladung zum "Wiegenfest oberbayerischer Kameraden". Per Flugblatt war für das Treffen geworben worden, ein Lorbeerkranz, zwei gekreuzte Dolche sind auf dem Flyer abgebildet, der aufruft zur Feier unter dem Motto: "Einer für alle und alle für einen". Mit Musketier-Romantik hat das allerdings wenig zu tun. Eher mit Nazi-Nostalgie. Und für die Logistik sorgte ein alter Bekannter der Sicherheitsbehörden: Martin Wiese.

Einer für alle und alle für einen? Vielleicht ist ja Wiese dieser eine, auf den sie in der Szene schon lange warten. Einer, der die Neonazi-Grüppchen aus dem Großraum München eint, die Streitereien unter den Kameradschaften beendet, sie wieder schlagkräftig macht - besonders seit der bisherige Wortführer der Münchner Kameradschaftsszene, Philipp Hasselbach, wegen gefährlicher Körperverletzung im Gefängnis sitzt.

Sieben Jahre lang war auch Martin Wiese in Haft, weil er gemeinsam mit Gesinnungsgenossen 2003 einen Anschlag bei der Grundsteinlegung auf das Jüdische Zentrum München geplant hatte. Die Gruppe hatte bereits Sprengstoff und Waffen besorgt, als die Polizei die Neonazis festnahm. Nach sieben Monaten Prozess wurde Wiese verurteilt. Eine vorzeitige Haftentlassung lehnte das Oberlandesgericht in München 2008 ab. Die Richter sahen bei Wiese keinen "dauerhaften charakterlichen Wandel". Briefe aus der Haft unterzeichnete er gerne mal mit "Heil Hitler".

Seit August 2010 ist Wiese auf freiem Fuß.Noch im Gefängnis hatte der 35-Jährige angekündigt, dass er nach seiner Entlassung wieder zu den alten Freunden stoßen wolle: In einem Nazi-Blatt versprach er, seine "Erfahrungen mit so vielen Kameraden wie möglich zu teilen und neue Wege im nationalpolitischen Kampf zu gehen". Nun, so vermuten Beobachter, wäre er gern der Wortführer, der die Kameradschaften aus dem Raum München hinter sich versammelt. Einen guten Ruf hat er in der Szene jedenfalls: "Er gilt als Märtyrer, weil er damals vor Gericht als Einziger nicht gegen seine Kameraden ausgesagt hat", sagt Robert Andreasch von der Antifaschistischen Informations- und Archivstelle München (Aida).

Bereits wenige Wochen nach Wieses Freilassung gab es Bewegung in der Neonazi-Szene. Die Münchner Kameradschaft "Nationale Solidarität Bayern" (NSB) löste sich auf - zum "Allgemeinwohl aller", wie es in einer Erklärung heißt. Schließlich sei dank "eines wieder zu uns nach Bayern gekehrten Kameraden" zu erwarten, dass sich mehrere Kameradschaften vereinigen - dem wolle die NSB nicht im Weg stehen.

Wiese beklagte bei einem Treffen mehrerer Neonazis-Kameradschaften am 14. Januar in München die mangelnde Zusammenarbeit der bayerischen Rechtsextremen, schreiben der Verfassungsschutz und die Landeszentrale für politische Bildungsarbeit auf ihrer Internetseite "Bayern gegen Rechtsextremismus". Statt Konkurrenz forderte Wiese Kooperation. Offenbar mit Erfolg: Bei einer Demonstration in Dresden zeigten sich Mitte Februar nach Augenzeugenberichten führende Köpfe der "Kameradschaft München", der Skinhead-Gruppe "Kraken München", der "Kameradschaft München Süd-Ost", der Geretsrieder "Jagdstaffel Süd" sowie mehrere Münchner NPD-Mitglieder und Funktionäre der "Bürgerinitiative Ausländerstopp". Kurz danach schlossen sich drei Münchner Kameradschaften zu einer "Kameradschaft München-Nord" zusammen.

Anfang April trafen sich die Neonazis dann in einer Erdinger Sportgaststätte - zum Vorstellen einer neuen Bekleidungsmarke, wie Martin Wiese dem Wirt zuvor erklärt hatte. Präsentiert werden solle ein neues Modelabel: "Nordic Sports Bekleidung". Doch mit Wintersport hatte die Sache nichts zu tun. Tatsächlich stellte Wiese die Internetseite der "Nationalen Sozialistischen Bewegung" vor. Das Kürzel ist identisch: NSB. Der Aufruf an die Neonazis deutlich: "Kameradschaften, Kameraden, vereinigt euch, kämpft geschlossen für unser Vaterland, lasst keine Spaltungen und Konkurrenzen mehr zu!" Registriert ist die Homepage auf Wieses Lebensgefährtin. Verwaltet jedoch wird sie weitgehend von einem User namens "Arwick" - Wieses einstiger Tarnname in Neonazi-Kreisen.

Einen Onlineversand enthält die Webseite auch, allerdings nicht für Sportbekleidung, sondern für Shirts und Pullover ganz im Stile der Rechtsextremen: Schwarz, mit einem Emblem in schwarz-weiß-rot, den Farben des Deutschen Reichs. Es zeigt drei verschränkte Dreiecke. Solche Winkel standen während der Nazi-Zeit für die einzelnen Gaue der NSDAP. In Verbindung mit einem Ortsnamen ist das Tragen dieser "Gauwinkel" in Deutschland daher verboten. Die Verbindung dreier Winkel im Logo könnte nun symbolisch stehen für Wieses mögliche Vision: den Zusammenschluss dreier Kameradschaften oder Neonazi-Einflussgebiete unter seiner Führung.

Der "Nationalladen" ist laut Internetseite ein "nationaler Betrieb mit sozialer Firmenpolitik": Die Bekleidung sei "zu 100 Prozent in Deutschland hergestellt", der Gewinn soll unter die "Kontrolle eines Nationalrats gestellt" werden, um sicherzustellen, dass "jeder Angestellte ein Einkommen erzielt, mit dem die Familie des Arbeitnehmers vernünftig versorgt ist".

Die Behörden beobachten Wieses Aktivitäten aufmerksam. Das Gericht hat ihm nach seiner Haftentlassung Auflagen gemacht: So ist es Wiese untersagt, mit drei seiner ehemaligen Mittäter Kontakt aufzunehmen. Einer davon ist Karl-Heinz Statzberger von der "Kameradschaft München". Er war nicht am Moosinninger Weiher. Zumindest ist er dort nicht gesehen worden. Beim Vorstellen der NSB-Homepage in Erding war er jedoch - nur am Bahnhof, nicht im Lokal bei Wiese. Belangen kann man Wiese dafür allerdings nur schwer: "Die müssten fast händchenhaltend durch die Fußgängerzone gehen", sagt ein Ermittler. Würde Wiese dabei beobachtet und von seinem Bewährungshelfer angezeigt, drohten bis zu drei Jahre Haft.

Bislang jedoch verhalte er sich geschickt, heißt es in Sicherheitskreisen. Nur beim Fahren ist er offenbar nicht so vorsichtig: Am Moosinninger Weiher hat er den Laster seines Arbeitgebers im Kies festgefahren. Seinen Chef dürfte das allerdings nicht weiter stören: Der Spediteur aus Garching ist in der Szene bestens bekannt. Für Demonstrationen stellte er in der Vergangenheit immer wieder seine Laster zur Verfügung. Jetzt lenkt Wiese sie. Den nötigen Führerschein hat er während seiner Haftzeit machen können.

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SZ vom 21.04.2011/elis
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