Rechte attackieren Nazi-Gegner:"Wir lassen uns nicht einschüchtern"

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Nach den mutmaßlichen Neonazi-Attacken in München demonstrieren die Betroffenen Entschlossenheit - und kritisieren die Polizei, die von Einzelfällen gesprochen hat. Anders als die Ermittler beobachtet Aida eine zunehmend aggressiver werdende Grundstimmung in der rechtsextremen Szene.

Von Bernd Kastner

Angelika Lex ist eine der bekanntesten Anwältinnen in München, gehört dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof an und vertritt im NSU-Prozess die Ehefrau des ermordeten Theodorus Boulgarides. Am Montagmorgen fand sie den Eingang zu ihrer Kanzlei im zweiten Stock eines Bürohauses massiv mit Fäkalien verschmiert vor. Lex vermutet Neonazis dahinter, gab es doch in den vergangenen Tagen mehrere Attacken mit rechtsextremem Hintergrund. So zuletzt auf ein alternatives Wohnprojekt in der Ligsalzstraße 8, wo bislang Unbekannte zwei große Fensterscheiben einwarfen und die Fassade mit zahlreichen Farbbeuteln verschmutzten.

Im Gemeinschaftsraum dort, einem ehemaligen Laden, fand am Freitagnachmittag spontan eine Pressekonferenz statt: Jene, die Ziel der mutmaßlichen Nazi-Attacken wurden, auch der Bayerische Flüchtlingsrat, wollten öffentlich demonstrieren: Wir lassen uns nicht einschüchtern, wir engagieren uns weiter gegen Rassismus und Nazis. Lex wertet die Fäkalattacke als Angriff auf die NSU-Opfer und ihre Angehörigen. Der Vorfall habe eine neue Qualität. Für Lex sind die Attacken - vier gegen das Wohnprojekt, drei gegen den Flüchtlingsrat - Zeichen, dass sich lokale Unterstützergruppen des NSU "nicht scheuen, sich mit der Mordserie zu solidarisieren".

Weder Polizei noch Staatsanwaltschaft registrieren aber nach eigenen Angaben eine Zunahme rechtsextremer Aktivitäten. Von den jüngsten Übergriffen erfuhr die Staatsanwaltschaft laut ihrem Sprecher erst aus der Süddeutschen Zeitung. Bei der Polizei hieß es, man habe nun verstärkt ein Auge auf die attackierten Objekte.

Anders als die Ermittler beobachten die Mitarbeiter des Antifaschistischen Archivs Aida eine zunehmend aggressiver werdende Grundstimmung in der rechtsextremen Szene. In den vergangenen Wochen habe es zahlreiche Übergriffe, auch körperlicher Art, in ganz Bayern gegeben, es handle sich klar um eine Serie anlässlich des NSU-Prozesses.

Aida-Vorsitzender Marcus Buschmüller erinnert etwa an das Verteilen von Flugblättern vor Beginn des Prozesses, auf denen das Verfahren als "Farce" bezeichnet wird und "Freiheit für Wolle" gefordert wird, den Mitangeklagten Ralf Wohlleben. Bei einer Neonazi-Kundgebung kürzlich in der Maximilianstraße hätten die rechten unter anderem gebrüllt: "Linkes Gezeter - neun Millimeter" - eine Art verbaler Bedrohung von Nazi-Gegnern mit einer Schusswaffe. Angesichts der jüngsten Attacken spricht Buschmüller von einer "Eskalation". Mit den Angriffen auf ein Wohnhaus sei "eine rote Linie überschritten" worden. Von der Polizei wünscht er sich "Sensibilität und Achtsamkeit", auch zum Schutz möglicher weiterer Anschlagsziele.

Das Wohnprojekt habe große Solidarität aus der Nachbarschaft erfahren, berichtet ein Bewohner. Man hoffe nun auf Spenden, um den Schaden zu beheben. Die Grünen im Landtag haben die Staatsregierung aufgefordert, über die jüngsten Attacken zu informieren. Der Abgeordnete Sepp Dürr kritisiert die Polizei. Wenn sie von Einzelfällen spreche, sei das ein "Rückfall in alte Muster des Verharmlosens. Man bezeichnet die Straftaten als Einzelfälle, genauso wie man es bei allen rechtsextremen Vorfällen vor Entdeckung der NSU-Morde getan hat."

© SZ vom 18.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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