Raumnot in Schulen:"Das Aggressionspotential steigt"

Mehr als 30 Schüler pro Klasse, heimatlose Oberstufen und Schichtessen: Gymnasien leiden unter Raumnot und Lehrermangel, Beschwerden sind dennoch selten.

C. Rost

Alljährlich zu Schuljahresbeginn haben sich die Eltern bisher laut zu Wort gemeldet wegen des G-8-Stresses, zu großer Klassen und fehlender Lehrer. Jetzt ist die Situation an den 37 Gymnasien in München wieder besonders schlimm - vor allem in Sachen Raumnot: In den Klassen sitzen durchschnittlich 31,26 Schüler, wie das städtische Schulreferat meldet.

Doch Beschwerden darüber bleiben die Ausnahme. "Die Eltern merken, dass wir alles tun, was möglich ist", erklärt sich Wolfgang Hansjakob, Direktor am Wilhelm-Hausenstein-Gymnasium, das stumme Leiden.

An der Schule in Bogenhausen ist die Schülerzahl heuer erneut um 55 gestiegen, das waren wieder zwei zusätzliche Klassen, für die kein Platz ist. In den fünften und sechsten Klassen sitzen jetzt je 31 Schüler in einem Raum zusammen, mehr gingen beim besten Willen nicht hinein, sagt Hansjakob.

Ständig auf Wanderschaft

Bei 1301 Schülern insgesamt am Hausenstein-Gymnasium haben die Oberstufenschüler inzwischen keine eigenen Zimmer mehr zur Verfügung - sie sind ständig auf Wanderschaft. Und für den Unterricht in Physik oder Chemie müssen normale Räume genügen, weil die Fachlehrsäle mit heimatlosen Schülergruppen dauerbelegt sind.

In der Mensa ist derweil Schichtessen angesagt, sonst bräche der Betrieb zusammen. "Das Aggressionspotential steigt", stellt Direktor Hansjakob als Folge der Überlastung fest.

Die Bogenhausener Schule aber ist noch kein Extrembeispiel. Im Gymnasium Fürstenried-West etwa muss eine Klasse in der Aula unterrichtet werden. Das Michaeli-Gymnasium in Berg am Laim ist zu mehr als 60 Prozent überbelegt: Ursprünglich für 750 Schüler gebaut, besuchen jetzt 1272 Buben und Mädchen die Schule.

"Man ist ja erfinderisch"

Direktorin Angelika Loders musste notgedrungen sechs Eingangsklassen mit je 33 Schülern bilden. Im Vorjahr waren es noch fünf fünfte Klassen. Um irgendwie Platz zu schaffen, wurden die Aufenthaltsräume der Kollegiaten in Notklassenzimmer verwandelt.

"Man ist ja erfinderisch", sagt Loders, eine Lösung sei das aber nicht: "Das geht alles auf Kosten der Schüler." Seit 1997 verspricht die Stadt der Schulleitung einen Anbau, geschehen ist nichts. "Ich bin gespannt, was jetzt passiert", sagt Loders. Angeblich will der Stadtrat im Dezember die Erweiterung beschließen (Infokasten).

Während die Politik stark auf das Jahr 2011 hofft, wenn das neunjährige Gymnasium ausläuft, glauben die Direktoren nicht, dass das den Schulen die erhoffte Entspannung bringt: Ein G-9-Jahrgang mit 120 Schülern fällt dann zum Beispiel am Michaeli-Gymnasium weg. "Viel ist das nicht", sagt Angelika Loders, und Direktor Hansjakob rechnet damit, "dass sich die Schülerzahl langfristig auf hohem Niveau stabilisieren wird".

Die Einschätzung lässt sich mit offiziellem Datenmaterial untermauern:Bei den Geburten und somit der Schülerzahl in München geht es dauerhaft aufwärts - damit erhöht sich auch weiter die Übertrittsquote ans Gymnasium. Momentan sind es 4811 Kinder (plus vier Prozent) oder 52 Prozent der Schüler eines Jahrgangs, die eines der 37 Gymnasien besuchen

Der Boom wurde jahrelang nicht erkannt, Schulerweiterungen wurden auf die lange Bank geschoben. "Und nun werden die Schulen mit Überlast gefahren", sagt Thomas Lillig, Vorsitzender der Landeselternvereinigung der Gymnasien. Die Stadt habe Investitionen verschlafen, der Freistaat nicht für genügend Lehrpersonal gesorgt. An jeder Schule fehlten mindestens drei Lehrer in naturwissenschaftlichen Fächern, zusätzlich herrsche Mangel in Latein und Religion. "Jetzt reicht es hinten und vorne nicht."

Lillig fordert Stadt und Land auf, deutlich mehr Geld für die Bildung in die Hand zu nehmen. Stattdessen plane das Finanzministerium für die Zeit nach dem neunjährigen Gymnasium schon wieder ein Streichkonzert: "Wenn wir nicht aufpassen", so Lillig, "fallen mit dem G9 sofort wieder 1400 Lehrerstellen in Bayern weg."

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