Tiere in München:In München leben immer mehr Ratten

Rattenbekämpfung Andreas Vogt, Firma ASS, Schädlingsbekämpfung

Andreas Vogt arbeitet schon seit 1996 als Schädlingsbekämpfer.

(Foto: Stephan Rumpf)

Wie viele genau, lässt sich allerdings schwer sagen. Schädlingsbekämpfer Andreas Vogt ist sicher, dass die Ausbreitung am Menschen liegt.

Von Jacqueline Lang

Neugierig schaut sie vom nahegelegenen Dach des Fahrradschuppens durch das Fenster in die Küche, ihre Nase streckt sie dabei leicht nach vorne und schnuppert. So verharrt die Ratte für einen kurzen Moment. Als sich das Küchenfenster öffnet, dreht sie sich um und verschwindet. Zwei Tage später hängt an der Tür zum Hof ein neonfarbenes Schild mit dem Hinweis, dass Fallen aufgestellt worden sind, um den Schädling zu bekämpfen.

Die Wanderratte, die fälschlicherweise häufig als Kanalratte bezeichnet wird, ist ein eher unliebsamer Bewohner jeder Stadt und ihre Zahl nimmt zu. Schätzungen, wie groß die Population der in München lebenden Ratten ist, bewegen sich zwischen 300 000 und 1,5 Millionen. Genauer lasse sich das nicht ermitteln, weil man die recht scheuen Tiere, die meist erst mit der Dämmerung aktiv werden, nur selten zu Gesicht bekomme, sagt Andreas Vogt.

Vogt ist einer, der es wissen muss. Bereits seit 1996 ist er als Schädlingsbekämpfer im Einsatz. Seit einigen Jahren beobachtet er, dass die Zahl der Nager rapide zunimmt. In den vergangenen sechs Jahren habe sie sich nicht nur verdoppelt, sondern gar verdrei- oder vervierfacht, mutmaßt Vogt. Als einen Grund sieht er die milden Winter, welche die Ausbreitung und Vermehrung der Tiere begünstigen.

Der größte Faktor ist jedoch der Mensch, davon ist Vogt überzeugt. Überall ließen die Leute Essensreste liegen oder würden sie manchmal sogar einfach aus dem Fenster werfen, statt sie im Müll zu entsorgen. Für die Nagetiere bedeute das Nahrung im Überfluss. "Da ist es kein Wunder, dass die Ratte sich hier wohl fühlt", sagt Vogt. Schließlich seien die Tiere entgegen aller Vorurteile nicht dumm. Wenn sie erkennen, dass es an einem Ort immer etwas zu fressen gibt, siedeln sie sich dort an. Weil die Tiere in Kolonien leben, haben Menschen wie Vogt es dann häufig nicht nur mit einer Ratte zutun, sondern gleich mit einer ganzen Horde.

Mehrere Tausend Rattenfallen hat allein Vogts Firma im Großraum München aufgestellt. In den meisten befindet sich jedoch nur ein Kontrollköder, mit dessen Hilfe man zunächst nur feststellt, ob sich tatsächlich Ratten in der Umgebung befinden. Erst wenn sich die Schädlingsbekämpfer sicher sind, dürfen sie zu giftigen Ködern greifen. Von diesem Zeitpunkt an gibt es dann sehr strenge Regeln, wie oft die Fallen kontrolliert werden müssen, und wie lange die wirkstoffhaltigen Köder ausgelegt werden dürfen. Das liege daran, dass das Gift in den Ködern auch für die Umwelt nicht ganz unproblematisch sei, erklärt Vogt. Da es persistent, also beständig sei, könne es in den Kreislauf gelangen. Wenn beispielsweise eine vergiftete Ratte von einem anderen Tier gefressen werde, könnte auch dieses Schaden nehmen, sagt Vogt.

Im Gegensatz zu früher dürfen heute jedoch keine schnellwirkenden Akutköder mehr eingesetzt werden. Heutzutage verwendet man stattdessen sogenannte Blutgerinnungshemmer. Das Tier werde, wenn es diese gefressen habe, langsam immer schwächer und verende schließlich, meistens in seinem Bau, sagt Vogt, "wir finden die wenigsten Ratten.". Auch das erschwert die Schätzung, wie viele Nager tatsächlich in Münchens Kanalisation, aber auch an der Oberfläche leben.

"Ich ekle mich teilweise eher vor den Menschen als vor den Ratten"

Die Wanderratte, sie macht 98 Prozent aller in München lebenden Ratten aus. Hinzu kommen etwa ein Prozent Hausratten. Das sind jene Ratten, die sich bevorzugt in Dachböden einnisten. Ein weiteres Prozent machen ausgesetzte Farbratten aus, die für gewöhnlich als Haustiere gehalten werden. In Vogts Beruf als Schädlingsbekämpfer gehen insgesamt 30 Prozent aller Aufträge auf diese Ratten. Ekel oder Furcht vor den Tieren empfindet er nicht, obwohl sie erwiesenermaßen zahlreiche Krankheiten übertragen können. "Ich ekle mich teilweise eher vor den Menschen als vor den Ratten", sagt Vogt. Die Ratte sei eigentlich ein sehr reinliches Tier - was auf den Mensch nicht immer zutreffe, wie Vogt findet.

Der Schädlingsbekämpfer kennt den Fall einer Münchnerin, die er als Messi beschreibt. Diese lebe seit Jahren in einer zugemüllten Wohnung, aus der sie der Vermieter nicht herausbekomme. Mittlerweile würden in der Wohnung auch zahlreiche Ratten leben, sagt Vogt. In solchen Extremfällen gebe es keine Chance, des Problems ganz Herr zu werden, Firmen wie die von Vogt können lediglich dafür sorgen, dass das Problem sich nicht noch weiter ausbreitet: In der unmittelbaren Umgebung der Wohnung habe man über die Jahre allein 350 tote Ratten eingesammelt. Wenn man mal davon ausgehe, dass man nur die wenigsten der getöteten Ratten überhaupt finde, könne man sich ausrechnen, wie viele dieser Nager dort leben. Die Wanderratte kann nämlich bis zu drei Jahre alt werden. "Diese Frau züchtet die Ratten regelrecht", sagt Vogt.

Es gibt viele solcher Geschichten, die Vogt in den vergangenen 20 Jahren erlebt hat. Da ist zum Beispiel auch die von einer alten Frau, die immer Eichhörnchen gefüttert habe - wie sie zumindest dachte. "Was sie für Eichhörnchen hielt, waren in Wahrheit Ratten", sagt Vogt. Ob die Frau einfach nicht mehr so gut gesehen habe oder ob sie vielleicht leicht dement gewesen sei, lasse sich im Nachhinein nur noch schwer nachvollziehen. Fest steht jedoch: Als sie dann ins Krankenhaus kam, war plötzlich niemand mehr da, um die Ratten zu füttern. Auf der Suche nach Nahrung breiteten sich die Tiere aber schnell in der Nachbarschaft aus.

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