Ratten in München:Wie eklig!

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In München häufen sich die Beschwerden über Ratten.

(Foto: MEV-Verlag, Germany)

Kaum ist es dunkel, herrscht auf vielen Plätzen Gewusel und Gewimmel: Ratten breiten sich in München aus. Viele Menschen ekeln sich vor den Tieren, das Gesundheitsreferat bekämpft sie mit Gift. Aber die Ratten sind schlauer geworden.

Von Kathleen Hildebrand

Die Teller waren leer, die Gläser auch, da schaute Michaela Geissler aus dem Fenster des Restaurants nach draußen. Finster war es am Rotkreuzplatz, aber doch belebt. Ein richtiges Gewusel und Gewimmel sogar. Nur waren es keine Menschen, die da über den Grünstreifen huschten. Es waren Ratten - und nicht eben wenige: "Dreißig, vierzig Ratten liefen da zwischen den Grünanlagen rum", sagt Michaela Geissler.

Ihr Mann, ein Arzt, war entsetzt, dachte sofort an Krankheiten. Mitten in der Stadt, zwischen Eisdielen, Wohnhäusern und einem Krankenhaus. "Wir haben uns gefühlt wie in einem dieser Pestfilme." Der Boden sei aufgewühlt gewesen, die Tiere seien in einem hohlen Baum verschwunden.

Doch so erschreckend der Anblick gewesen sein muss, so ungewöhnlich ist er gar nicht. Seit Jahren häufen sich die Berichte über Tiere, die die Wildnis verlassen und in die Städte vordringen. Wenn mittlerweile selbst Füchse mitten unter uns leben, wieso sollten dann gerade Ratten, die zu den ältesten Kulturfolgern des Menschen gehören, die Städte meiden?

Ratten lebten schon immer in der Zivilisation - und ernährten sich von deren Resten. Und neben der Isar bieten in München die weit verzweigten Kanalisationssysteme, die U- und S-Bahnschächte den Tieren Lebensraum. Erst im vergangenen Jahr wunderten sich die Besucher des Ungererbads über Ratten, die aus einem Kanal auf das Gelände gekommen waren.

"Paris, Brüssel, London, da gibt es überall Ratten"

Aber Tatsache ist: Zum Leben in einer großen Stadt gehören Ratten einfach dazu, das gilt gerade für Weltmetropolen. "Paris, Brüssel, London, da gibt es überall Ratten. Menschen hinterlassen eben Sachen", sagt Katrin Zettler, Pressesprecherin des Referats für Gesundheit und Umwelt der Stadt München. "Und sie füttern Tauben, trotz des Fütterverbots." Die Körner und Brotkrumen schmeckten auch den ungeliebten Nagetieren.

Wegen der Bakterien und Viren, die Haus- und Wanderratten mit sich herumtragen können, schreibt das Infektionsschutzgesetz vor, dass sie als Schädlinge bekämpft werden, wenn sie in der Nähe von Wohnungen auftauchen. In München sind einige Mitarbeiter des Gesundheitsreferats ständig im Einsatz, um besonders befallene Gebiete zu finden. Weil Ratten aber nachtaktiv sind und die Sachbearbeiter nicht überall zugleich sein können, sei das Amt dabei auf die Hilfe der Bürger angewiesen, sagt Zettler.

Wenn eine Rattenkolonie gefunden wurde, ordnet das Gesundheitsreferat die Bekämpfung an. "Wir bekämpfen nicht selbst, aber kontrollieren kontinuierlich", betont Sachbearbeiter Michael Hein. Auf privaten Grundstücken sind die Besitzer selbst dafür verantwortlich: Wenn sie Rattenbefall bei sich feststellen, müssen sie Fallen aufstellen oder eine Fachfirma beauftragen, um die Nager zu vertreiben. Die meisten Rattengifte sind seit Januar 2013 nicht mehr frei im Handel zu kaufen, sondern dürfen nur noch von Spezialisten ausgelegt werden.

Sie kommen wenn es dunkel wird

Die Grünflächen am Rotkreuzplatz gehören der Stadt. Deshalb wurde das Gartenbauamt zur Bekämpfung der Tiere aufgefordert, nachdem sich mehrere Bürger gemeldet hatten. Die Firma Biebl und Söhne Hygiene GmbH begann am 19. April mit der Bekämpfung der kleinen Plage, und sie dauert bis heute an:

Nach Einbruch der Dunkelheit dauert es im Moment keine halbe Minute, bis die erste Ratte zwischen den Beeten hin und her huscht. "Wünschenswert wäre, dass die Ratten nach spätestens vier Wochen weg sind. Aber es kann auch mal sechs Wochen dauern", sagt Nikolai Biebl.

Schädlingsbekämpfer gehen immer ähnlich vor, erklärt Katrin Zettler. "Zuerst werden die Anwohner über Plakate informiert, dass bei ihnen eine Bekämpfung beginnt", erst dann werde das Gift ausgelegt. Damit kein Hund daran zugrunde geht, steckt es in Metallschienen. An das Innere kommen größere Tiere und Menschen nicht heran. Und falls doch, sind dem Gift starke Bitterstoffe beigemischt, die zumindest Menschen, so Zettler, "sofort würgen lassen. Die Ratten schmecken sie aber nicht."

Leben mit dem Giftmörder

Die Tiere sind schlau und haben über Jahrtausende hinweg gelernt, mit dem notorischen Giftmörder Mensch zu leben. Sie schicken junge Männchen quasi als Vorkoster an neue Futterquellen und beobachten dann, wie es ihnen nach der fremden Mahlzeit geht. Verhält sich eine Vorkoster-Ratte merkwürdig oder stirbt, dann wird kaum eine weitere davon fressen. Gegen manche Gifte haben Ratten auch bereits Resistenzen gebildet.

Das Gift, das heute verwendet wird, "lässt die Ratte langsam einschlafen", wie es Katrin Zettler ausdrückt. Die Tiere selbst dürften das anders empfinden: Denn 95 Prozent aller Rattengifte hemmen ihre Blutgerinnung und lassen sie langsam innerlich verbluten. So langsam, dass die anderen Ratten zu spät bemerken, was dem bunten Pulver beigemischt ist. "Forschung und Entwicklung der Gifte richten sich nach dem Tierschutzgesetz", sagt Schädlingsbekämpfer Biebl. Aber natürlich gebe es immer zwei Lager - die Tierschützer und ihn.

Wie viele Menschen in den vergangenen Jahren tatsächlich über Ratten mit Krankheiten infiziert worden sind, lasse sich kaum ermitteln, sagt Claudia Schuller, Sprecherin des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Bayern.

Übertragbare Krankheitserreger

Nur manche der Erreger, die Ratten übertragen können, sind laut Schuller meldepflichtig. Dazu gehören zum Beispiel Salmonellen, die aber auch in verdorbenen Lebensmitteln vorkommen können. Auch aus dem Urlaub bringen Menschen typische Ratten-Krankheiten wie die Weilsche Gelbsucht, Trichinose und Rattenfieber mit. Doch Schuller sagt: "Es ist sehr selten, dass jemand sagen kann: Ich hatte Kontakt mit Ratten, und jetzt bin ich krank."

Andere Krankheitserreger, wie das Hantavirus, werden nur über Ratten- und Mäusekot übertragen. Die Nager selbst zeigen, wenn sie befallen sind, keine Symptome. Aber wenn ein Mensch ihren Kot als Staub einatmet, kann er erkranken, die Folgen sind hohes Fieber und im schlimmsten Fall Nierenversagen. Für die Pest, die im 14. Jahrhundert halb Europa dahinraffte, waren Ratten nur die Zwischenwirte. Flöhe übertrugen das Bakterium von den befallenen Tieren auf Menschen.

Hier und heute jedoch verursachen die Ratten vor allem Schäden an Lebensmitteln, weil sie Lagerbestände auffressen oder durch ihre Anwesenheit unbrauchbar machen. Dies komme viel häufiger vor als die Übertragung von Krankheiten, sagt Claudia Schuller. Aber: "Rattenbefall hat natürlich auch psychologische Folgen." Dass sie damit das gesteigerte Großstadtgefühl wie in Paris, Brüssel oder London meint, ist unwahrscheinlich.

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