Süddeutsche Zeitung

Rathaus:Ein Stadtrat voller Einzelkämpfer

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Von Dominik Hutter

Was den Unterhaltungswert angeht, kann bis heute keiner mit Bernhard Fricke mithalten. Dem Mann, der an einem kühlen Märzmorgen auf einen Baum am Viktualienmarkt stieg, um dort 36 Stunden auszuharren. In Decken gehüllt und mit einer Plastikfolie geschützt sprach er Gebete und gab Interviews "live aus der Baumkrone". Im Jahr 2000 war das. Damals ging es um den Wiederaufbau der Schrannenhalle, der zum Unmut Frickes 52 Bäume weichen mussten. Zwölf Jahre lang, von 1990 bis 2002, saß der Münchner Rechtsanwalt für die Gruppierung "David gegen Goliath" im Stadtrat. Als Einzelkämpfer.

Ein-Mann-Show mit Tradition

Die Ein-Mann-Show hat also durchaus Tradition im Münchner Rathaus. Etwa 0,7 Prozent der Stimmen genügen, um einen Sitz im Stadtrat zu ergattern. Eine Fünf-Prozent-Hürde wie im Bundestag gibt es nicht. Kein Wunder, dass es immer wieder thematisch eingeschränkte und manchmal auch sehr illustre Gruppierungen in den neugotischen Palast am Marienplatz schaffen. Das bringt Volksnähe auf der kommunalen Ebene - und eine Zersplitterung, die durchaus auch Nachteile hat. Zu Frickes Zeiten gab es unter anderem einen Kollegen von der längst vergessenen Autofahrer- und Steuerzahlerpartei sowie den letzten Republikaner.

So viel Flohzirkus wie derzeit aber gab es noch nie. Schon jetzt wimmelt es im Sitzungssaal von Einzelkämpfern. Das fällt nicht allzu sehr auf, weil sich die meisten der nächstbesten Mini-Fraktion angeschlossen haben. Und weil sie für die Mehrheitsfindung ohne Bedeutung sind.

Die Quasi-Regierungsparteien CSU und SPD verfügen über 51 von 81 Stimmen (die des Oberbürgermeisters eingerechnet). Das reicht, um das Umgarnen störrischer Einzelkämpfer überflüssig zu machen.

Kompliziert aber ist die Gemengelage allemal. Und sie wird immer komplizierter. Noch gibt es eine zweiköpfige AfD-Gruppierung im Stadtrat. Da aber Fritz Schmude seinen Parteiaustritt angekündigt hat, ist es sehr wahrscheinlich, dass das Duo sehr bald in zwei Soli zerfällt: Schmude (parteilos) und Andre Wächter (entweder alleiniger AfD-Vertreter oder ebenfalls parteilos). Verhindern ließe sich das nur durch den Beitritt zu einer anderen Gruppierung oder die Neugründung einer gemeinsamen Partei.

Aktuell haben es fünf Politiker als einzige ihrer Stadtratsliste ins Rathaus geschafft: Thomas Niederbühl (Rosa Liste), Thomas Ranft (Piraten), Wolfgang Zeilnhofer-Rath (Wählergruppe Hut), Richard Progl (Bayernpartei) und Karl Richter von der rechtsradikalen Bürgerinitiative Ausländerstopp. Mit den beiden AfD-Männern wären es sieben. Dazu kommen noch zwei Duos: ÖDP und Linke.

Wobei lediglich Brigitte Wolf echtes Mitglied der Linken ist. Ihr Kollege Cetin Oraner ist von der DKP, hat aber auf der offenen Liste der Linken kandidiert. Und Josef Assal hat es auf dem SPD-Ticket ins Rathaus geschafft, zerstritt sich aber kurz nach der Wahl mit seiner Partei und gehört seitdem zur vierköpfigen Fraktion Bürgerliche Mitte.

Leicht haben es diese Minis nicht. Stadtratsarbeit bedeutet, seitenweise Beschlussvorlagen in bestem Behördendeutsch zu wälzen und zu bewerten. Es gilt, insgesamt 18 Fachausschüsse zu besetzen sowie in diversen Kommissionen vertreten zu sein. Und natürlich müssen die Stadträte kreative Anträge stellen, um die eigene politische Handschrift aufzuzeigen. Große Fraktionen begegnen diesem enormen Aufwand mit Arbeitsteilung, es gibt ja Schultern genug. Die Kleinen müssen Prioritäten setzen - und Themen aussortieren. Oder aber sie schließen sich zusammen.

Im Stadtrat hat das die FDP mit Piraten und Hut getan (FTB), die Bayernpartei ist mit den Freien Wählern in der Bürgerlichen Mitte verbandelt. ÖDP und Linke bilden eine Ausschussgemeinschaft - wie bis zum Montag auch die Bürgerliche Mitte mit der AfD. Die Rosa Liste arbeitet seit jeher eng mit den Grünen zusammen.

Dennoch ist nicht zu übersehen, wie sehr diese ausgeprägte Zersplitterung die Opposition schwächt. Von manchem Einzelkämpfer ist nahezu nie etwas zu hören, einige sind sogar komplett auf Tauchstation. Und wenn sie einmal etwas sagen, tauchen sie nur selten in den Medien auf. Weil es schlicht unmöglich ist, zu jedem Thema jede einzelne Meinung wiederzugeben.

Profiteure sind die Grünen, die (im Verbund mit der Rosa Liste) die Möglichkeit haben, sich als Oppositionsführer darzustellen. Und natürlich CSU und SPD, die nicht nur eine Riesen-Mehrheit haben, sondern auch kaum Gegenwind. Eher ganz viele zarte Gegenbrisen.

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Quelle:
SZ vom 08.07.2015
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