Rathaus München:Die neue Kühle im Sozialreferat

Dorothee Schiwy, 2016

Dorothee Schiwy sieht sich nicht als Politikerin.

  • Seit einem Jahr leitet Dorothee Schiwy das Münchner Sozialreferat.
  • Die Juristin führt die Behörde mit ihren rund 4500 Mitarbeitern mit straffer Hand - das ist für manchen ungewohnt.
  • Sie sieht die Stadt vor "riesigen Herausforderungen" und will das Sozialreferat optimal organisieren.

Von Sven Loerzer

Rein physisch ist dieser Arbeitsplatz ja eher unangenehm: Das Büro ist aufgeheizt, die Fenster sind abgedunkelt, aber offen, von draußen dringt Baustellen- und Verkehrslärm herein. Und sonst? Seit einem Jahr ist Dorothee Schiwy Münchens Sozialreferentin, und danach befragt spricht sie ernsthaft von einem "Jahr der Orientierung". Das spielt ihre Rolle herunter, ein Jahr des Aufräumens beschriebe den Start wohl besser.

Für die etwa 4500 Mitarbeiter unter ihr, die tagtäglich damit beschäftigt sind, sich um die existenziellen Notlagen der Münchner zu kümmern, brachte der Wechsel einen drastisch anderen Führungsstil. Ganz anders als ihre Vorgängerin Brigitte Meier führt Schiwy die Verwaltung mit straffer Hand. Für viele Mitarbeiter, die sich nach geordneten Verhältnissen sehnten, war auch der neue, kühle Ton ungewohnt.

Schiwy, als ehemalige Stabschefin des Oberbürgermeister-Büros unter Christian Ude im Verwaltungsvollzug gestählt, gibt ihre Anweisungen schriftlich und setzt kurze Fristen für die Erledigung von Aufträgen. Mit sicherem Gespür deckt sie Schwachstellen im Referat auf, persönliche Rücksichtnahmen gibt es bei ihr nicht. Galt Meiers Führungsstil als burschikos bis chaotisch, so klagen nun Mitarbeiter über das glatte Gegenteil, das strikt hierarchische Vorgehen, das dazu führt, dass fast alles über Schiwys Schreibtisch laufen muss.

Klare Strukturen sind ihr wichtig, angesichts der "riesigen Herausforderungen", vor denen sie ihr Referat sieht, ob das nun der demografische Wandel ist oder der jährliche Zuzug in der Größenordnung einer Kleinstadt mit 20 000 bis 25 000 Einwohnern. Weil viele dieser Menschen wegen Scheidung oder Trennung, Arbeits- oder Wohnungsverlust, Erziehungsproblemen und Pflegebedürftigkeit die Hilfe ihrer Stadt benötigen werden, will Schiwy das Sozialreferat optimal organisieren.

Auf dem Weg dorthin, der unter der Vorgängerin bisweilen aus dem Blick geraten war, hat Schiwy im ersten Jahr ihrer Amtszeit ein gewaltiges Arbeitspensum bewältigt, bis Dezember sogar noch ohne Stellvertreter. Um die zu ihrem Amtsantritt wegen Krankheit bereits zwei Jahre verwaiste Jugendamtsleitung wieder neu besetzen zu können, war eine große Kraftanstrengung nötig.

Die im Übrigen auch Blessuren hinterließ: Eigentlich wollte Christian Müller das Amt übernehmen, der sozialpolitische Sprecher der Rathaus-SPD, kam aber gegen eine weitgehend unbekannte Bewerberin, Esther Maffei, nicht zum Zug. Müller verliert trotzdem kein böses Wort über Schiwy, bleibt freilich auffällig wortkarg und kühl: Sie habe keinen ganz einfachen Start gehabt und mache ihre Arbeit "ganz vernünftig". Und Schiwy glaubt, man werde "gemeinsam an einem Strang ziehen".

Schiwy sieht sich als Behördenleiterin, nicht als Politikerin

Das dürfte auch bitter nötig sein. Denn im ersten Jahr war Schiwys Arbeit vor allem von der Vergangenheitsbewältigung geprägt. Kaum im Amt, verkleinerte sie die Zahl der Stabsstellen in der Referatsspitze drastisch, startete ein Projekt zur Organisationsreform, das die Sozialbürgerhäuser und die Bezirkssozialarbeit neu aufstellen soll. Eisern ist Schiwy hinterher, die 245 Millionen Euro für die Unterbringung und Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge einzutreiben, die der Stadt von anderen Kostenträgern noch für die Jahre 2014 und 2015 zustehen.

Inzwischen sind 228 Millionen Euro eingegangen. Ein Erfolg, doch schon hat sich das nächste Loch aufgetan: Aus der Folgezeit sind noch weitere 111 Millionen Euro abzurechnen, wie Schiwy am Dienstag kundtat. Sie geht deshalb davon aus, dass die etwa 40 mit der Aktenbearbeitung beschäftigten Mitarbeiter noch zwei Jahre brauchen werden, bis die Rückstände bewältigt sind, die letztlich zum Rückzug ihrer Vorgängerin geführt haben.

Inzwischen aber richtet Schiwy den Blick nach vorne: "Die Kehrseite der Medaille Boomtown München wird uns in den nächsten Jahren enorm beschäftigen", sagt sie. Wohnungslosigkeit zu bekämpfen, wird alle Kraft erfordern: Schon jetzt warten mehr als 5000 Menschen in höchster Dringlichkeitsstufe auf eine Sozialwohnung. Für Schiwy stellt sich deshalb auch die Frage nach Hochhäusern: "Wir können nicht mehr in die Fläche gehen." Allein etwa 3000 Menschen, die in Bürogebäuden vorübergehend untergebracht seien, wird sie bis 2020 in Wohnheimen unterbringen müssen. Auf die ganze Stadt verteilt.

Dazu wird sie auch die Unterstützung der Wohlfahrtsverbände benötigen. Dort aber ist derzeit die Stimmungslage kritisch, wie Norbert Huber sagt, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Verbände. "Wir ringen um eine vertrauensvolle und partnerschaftliche Zusammenarbeit." Schiwy habe sicherlich kein leichtes Erbe angetreten, "wir verstehen, dass man sehr viel reorganisieren muss". Aber die Verbände "vermissen die sozialpolitische Vision, wie man Ideen angeht". Statt das zu entwickeln, was die Stadt braucht, werde nur dargestellt, "was nicht geht".

Sie verwalte Sozialpolitik, aber sie gestalte das Feld nicht, lautet der Vorwurf, der auch im Rathaus immer wieder zu hören ist: Schiwy als Gegenpol zu Brigitte Meier, die Politik machen wollte, aber in der Verwaltung scheiterte. Schiwy wehrt diesen Vorwurf nicht ab, im Gegenteil. Die Juristin sagt das bewusst selbst, wohl auch, weil sie sich der Unterstützung von OB Dieter Reiter sicher weiß: "Die Aufgabe der Sozialreferentin ist primär die Behördenleitung", betont Schiwy. "Die Sozialpolitik wird im Rathaus gemacht." Andere sehen es als Armutszeugnis, für Schiwy ist es ihr Selbstverständnis.

Wohnungsnot

Zwar hat der Landtag soeben das Gesetz gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum verschärft. Münchens Sozialreferentin Dorothee Schiwy geht das aber nicht weit genug. Gewerbliche Vermieter mit Sitz in arabischen Ländern seien auch mit einer erhöhten Geldbuße nicht abzuschrecken, zumal diese ohnehin nicht einzutreiben sei. "Wir haben nach wie vor kein Mittel, eine Wohnung von Medizintouristen zu räumen, obwohl es sich um einen rechtswidrigen Zustand handelt." Möglich wäre dies durch ein Wohnraumaufsichtsgesetz, das der Freistaat aber 2004 abgeschafft habe, sagt Schiwy. Es biete darüber hinaus auch die Möglichkeit, gegen prekäre Wohnverhältnisse vorzugehen. Derzeit seien der Stadt 47 Gebäude bekannt, "wo viel zu kleine Wohnräume an viel zu viele Menschen für viel zu viel Geld vermietet werden". Schiwy bedauert, dass sich die Kommune da nicht einmischen könne - so lange es kein Wohnraumaufsichtsgesetz mit Mindeststandards gebe. Mit einem solchen Gesetz habe Nordrhein-Westfalen seit 2014 insgesamt 6200 Wohnungen aus prekären Verhältnissen herausgeführt. loe

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