Rathaus:Möbel zum Mitnehmen

Rathaus: Georg Hauberrisser hat überall im Rathaus seine Spuren hinterlassen - zum Beispiel bei der Einrichtung des nach ihm benannten Zimmers.

Georg Hauberrisser hat überall im Rathaus seine Spuren hinterlassen - zum Beispiel bei der Einrichtung des nach ihm benannten Zimmers.

(Foto: Robert Haas)

Aus dem Münchner Rathaus verschwindet immer mehr Einrichtung aus der Zeit des Erbauers Georg Hauberrisser. Aber wie und warum?

Von Heiner Effern

Die Frau auf Zimmer 207, die einen zweifellos neogotischen Schreibtisch im Büro stehen hat, passt nicht ins Fahndungsraster. Es handelt sich bei dem Möbelstück zwar tatsächlich um einen original Hauberrisser, aber der Leumund von Brigitte Huber ist über alle Zweifel erhaben.

Sie arbeitet im Stadtarchiv, und sie hat ein dickes Buch über den Architekten Georg Hauberrisser und insbesondere sein Hauptwerk, das Neue Münchner Rathaus, geschrieben. Ihr Schreibtisch ist offiziell vom Direktorium der Stadt geliehen. Also kein Bezug zum Kunsthandel, in dem zuletzt vermehrt Originale aus dem Rathaus aufgetaucht sein sollen. Aber Brigitte Huber hat zumindest eine heiße Spur.

Doch zuerst zum Verdacht. Die beiden CSU-Stadträte Richard Quaas und Marian Offman erhielten kürzlich einen Hinweis, dass aus dem Münchner Rathaus sukzessive wertvolle historische Möbel verschwinden sollen.

Nur noch das Hauberrisser-Zimmer und der Kleine Sitzungssaal sind weitgehend erhalten

Ihr Tippgeber ist Hans Ottomeyer, lange Jahre Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums in Berlin und zuvor auch am Stadtmuseum in München tätig. "Die Möbel werden abgegeben und rausgeschmissen, es sind schon fast keine mehr da."

In der Tat sind im Rathaus nur noch das sogenannte Hauberrisser-Zimmer und der Kleine Sitzungssaal weitgehend erhalten. Ottomeyer stellt aber fest, dass gerade im Kunsthandel Hauberrisser-Möbel kursieren und vermutet einen Zusammenhang.

Eine erste private Recherche der beiden Stadträte brachte kein Ergebnis, also schlugen sie den offiziellen Weg ein. Anfrage bei Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), Titel: "Hauberrisser Mobiliar aus dem Rathaus - Wird Münchens Kulturerbe verschleudert?"

In der Anfrage steht auch schon eine Art Antwort, die aber nun erst zur Tatsache ermittelt werden soll. "Insbesondere in der Ära Ude sollen dem Vernehmen nach die meisten Stücke nach dem Krieg aus dem Rathaus fortgeschafft worden sein", heißt es in dem Schreiben.

Architekt mit einem überdimensionalen Selbstvertrauen

Rathaus: Der kleine Sitzungssaal ist noch weitgehend im Hauberrisser-Originalzustand erhalten.

Der kleine Sitzungssaal ist noch weitgehend im Hauberrisser-Originalzustand erhalten.

(Foto: Robert Haas)

Der Tenor ist klar: Wenn das stimmt, dann ist Münchens feingeistiger Ex-Oberbürgermeister schon während seiner aktiven Zeit unter die Kunstbanausen gegangen. Und gerade die Möbel Hauberrissers, der Münchens Bild in der ganzen Welt und insbesondere in Asien prägt wie sonst kaum einer.

Der Architekt aus Österreich muss mit einem überdimensionalem Selbstvertrauen ausgestattet gewesen sein. Als 25-jähriger Student sah er sich bereits in der Lage, den Münchnern ein neues, neogotisches Rathaus zu bauen - und bekam schließlich den Zuschlag.

"Das ist in etwa so, als ob der FC Bayern einen Studenten mit dem Bau der Allianz-Arena beauftragt hätte", sagt Historikerin Huber. Gut, anfangs ging so viel schief, dass die Offiziellen schon überlegten, alles wieder abzureißen und noch mal von vorne anzufangen.

Immer wieder wurden Möbel ausrangiert oder weggeworfen

Doch schließlich bekam Hauberrisser die Kurve und baute von 1867 bis 1905 in drei Abschnitten das Rathaus. Und nicht nur das: Er schrieb auch die Einrichtung in jedem Büro bis zur letzten Türklinke vor. Wie ein Wilder zeichnete er verschnörkelte Verzierungen und ließ sie schnitzen, bis den Schreinern die Finger brannten.

Nun also steht Christian Ude unter Verdacht. Nicht ohne Grund, findet Historikern Brigitte Huber. Wie die ganze Riege von Oberbürgermeistern, die nach dem Zweiten Weltkrieg regierten.

Immer wieder seien wohl Möbel ausrangiert oder weggeworfen worden. Weil sie kaputt waren, unpraktisch oder die städtischen Mitarbeiter angesichts des dunklen, drückenden Inventars in eine neogotische Depression zu verfallen drohten.

Und nun wird es auch für die CSU eng: Einen hohen Schwund habe es in der Amtszeit von Oberbürgermeister Erich Kiesl (CSU) gegeben, sagt Huber. Im Jahr 1978, gleich nach seiner Wahl, ließ er 58 Räume des Rathauses sanieren. Neue Böden, neue Fenster, neue Möbel.

Der Wangen-Schreibtisch ging an das Stadtmuseum

Und die Hauberrisser-Stücke? Sollen auf den Sperrmüll gekommen sein. So mancher Tisch oder Schrank könnte aber mehr oder weniger direkt in den Kunsthandel gelangt sein. Und bis heute gelangen.

Drei aus dem Rathaus verschwundene Stücke aus der Ära Ude dürfen übrigens als gefunden gelten: Ein Wangen-Schreibtisch, ein Stollenschrank und eine Bank gingen an das Stadtmuseum, das seit den 1960er Jahren immer wieder Möbel aus dem Rathaus erhält. Dass Werke Hauberrissers so dringend gesucht und von Millionen Touristen besucht werden, hätte beim Bau des Rathauses so mancher nicht gedacht.

Immerhin schuf ein gewisser Kandinsky schon abstrakte Werke, als die Münchner noch neogotisch bauten. In der Münchner Wochenzeitung Ratschkathl steht bereits 1891, dass die Münchner wegen der Ideen des "Gothik-Gigerl aus Graz" bald "das abgeschmackteste Rathhaus der Welt besitzen" werden.

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