Rathaus:Die Koalition der zwei Geschwindigkeiten

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2012 haben die Münchner mehrheitlich gegen den Flughafen-Ausbau gestimmt. Das Bild zeigt eine Protestaktion am Siegestor vor der Abstimmung. (Foto: Robert Haas)

Die CSU will rasch einen neuen Bürgerentscheid über eine dritte Startbahn, die SPD bremst. So ist im Rathausbündnis einigermaßen überraschend ein Problem entstanden - überraschend auch für die Protagonisten selbst

Von Dominik Hutter

Es besteht kein Grund zur Eile, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ändert erst einmal nichts: So lautet die Grundhaltung von Oberbürgermeister Dieter Reiter beim Flughafenausbau, und offenkundig ist er auch gewillt, sie durchzuhalten. Als der SPD-Politiker am Mittwochabend bei einem Empfang der Israelitischen Kultusgemeinde auf Ministerpräsident Horst Seehofer traf, haben die beiden "lose ein Privatissimo für Herbst vereinbart", wie Reiter berichtet. Im Herbst. Das passt eigentlich nicht so recht zum Zeitplan der Staatsregierung, die doch eigentlich noch in diesem Jahr eine Entscheidung über die dritte Startbahn treffen will. Und die genau weiß, dass die Stadt München vorher etwas erledigen müsste: einen Bürgerentscheid organisieren. Ohne ein Ja der Wähler, das ist Konsens im Münchner Rathaus, bleibt das städtische Veto zu dem 1,3-Milliarden-Euro-Projekt bestehen.

Es ist nicht zu übersehen: SPD und CSU sind mit unterschiedlichem Tempo unterwegs - in Stadt und Freistaat und auch innerhalb des Rathauses. Während Reiter erst gravierende Veränderungen bei der Zahl der Starts und Landungen sehen will, drängt sein Bündnispartner CSU auf eine rasche Entscheidung. "Die Frage stellt sich jetzt", sagt Rathaus-Fraktionsvize Michael Kuffer. Man könne doch nicht sagen, dass sich in den drei Jahren seit dem Startbahn-Bürgerentscheid nichts geändert habe - am Flughafen wie auch in München selbst. Die Bedeutung des Airports für die Wirtschaft sei noch einmal stark gestiegen. Insofern fände ein neuer Entscheid auch unter neuen Vorzeichen statt.

Bürgermeister Josef Schmid (CSU) geht noch einen Schritt weiter: Abstimmen könne man immer, auch ohne geänderte Situation. Mit dieser Aussage hatte Schmid am Mittwoch den Bündnispartner SPD erstaunt, der eigentlich davon ausgegangen war, dass in diesem Punkt Einigkeit bestehe: Ein Bürgerentscheid sei nur dann sinnvoll, wenn sich die Ausgangslage stark verändert hat, wenn es also schlicht eng wird auf den beiden Pisten im Erdinger Moos. Schmid beteuert allerdings, schon immer so gedacht zu haben, eine Kehrtwende sei das keineswegs. Kein Ausbau ohne neuen Bürgerentscheid, laute die Grundlinie. Es sei denn, der Wirtschaft drohe ganz Schlimmes: ein Abzug der Lufthansa etwa, der dann auch noch Siemens nachfolgt. In einem solchen Extremfall reiche ein einfacher Stadtratsbeschluss pro Startbahn.

Reiter hingegen will einen Eindruck unbedingt vermeiden: Dass man die Bürger einfach so lange über den Flughafen abstimmen lässt, bis das gewünschte Ergebnis herauskommt. "Es muss einen Anlass geben", findet auch SPD-Fraktionschef Alexander Reissl. "Irgendeine Bedingung muss eine wesentlich andere sein." Das ist, da sind sich beide SPD-Politiker einig, derzeit nicht der Fall. Die Zahl der Flugbewegungen im Erdinger Moos liege schließlich noch immer deutlich unter dem Maximum von 2008. Wenn man jetzt einen Bürgerentscheid auf den Weg bringe, lasse man die Münchner also einfach über denselben Sachverhalt wie 2012 abstimmen. "Wer das Gleiche wieder macht, kriegt auch das gleiche Ergebnis", warnt Reissl. 2012 hatten sich 54 Prozent der Münchner gegen die dritte Startbahn ausgesprochen.

Dieses Risiko sieht auch der CSU-Mann Kuffer. Man dürfe jetzt nichts übers Knie brechen und "auf blöd nochmals das Gleiche abfragen". Aber auf die lange Bank schieben dürfe man die Frage eben auch nicht. Dafür sei der Flughafen viel zu wichtig. Demnächst soll die Koalition der zwei Geschwindigkeiten Thema eines Gesprächs von Reiter und Schmid sein. Der Oberbürgermeister lässt aber schon jetzt keinen Zweifel daran, wer die Deutungshoheit im Rathaus besitzt. Das "Interpretationsrecht" liege bei ihm. Und das werde er dann beim Treffen mit Seehofer vertreten.

Die SPD treibt nicht zuletzt die Sorge um, welche Zukunft der Flughafen hat, falls die Münchner erneut mit Nein stimmen. "Mausetot" sei die Startbahn dann, warnt Reissl - und zwar auf unabsehbare Zeit. Wer dem Projekt Gutes tun wolle, solle daher auf eine Abstimmung zum jetzigen Zeitpunkt verzichten. "Es gibt nur einen Versuch", sagt auch Reiter. Derzeit sei die dritte Startbahn kein Thema in München. Was die Bürger wirklich vermissten, sei eine zweite S-Bahn-Stammstrecke.

© SZ vom 17.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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