Rassistischer Anschlag:Münchner Polizei kannte Hanau-Attentäter

Sechs Monate nach Anschlag Hanau

Gedenken an die Opfer unter dem Brüder-Grimm-Denkmal auf dem Hanauer Marktplatz. Jetzt wurde bekannt, dass der Täter lange Zeit in München verbracht hat.

(Foto: dpa)

Der Mann, der aus rassistischen Motiven in Hanau zehn Menschen ermordet hat, lebte zuvor lange in München. Auch hier wurde bereits gegen den Mann ermittelt, wie nun bekannt wurde.

Von Martin Bernstein

Der rassistische Attentäter Tobias R., der im Februar vergangenen Jahres in Hanau zehn Menschen ermordete, hat die fünf Jahre vor seiner Tat in München verbracht. In dieser Zeit haben bayerische Sicherheitsbehörden zwei Mal gegen den Mann ermittelt. Das hat das Innenministerium jetzt in einer Antwort auf eine Landtagsanfrage der beiden Grünen Katharina Schulze (München) und Cemal Bozoglu bestätigt. Demnach ermittelten die Polizeipräsidien Ingolstadt und Rosenheim gegen den zum Zeitpunkt des Anschlags 42 Jahre alten Sportschützen.

Am 8. August 2018 meldete ein Augenzeuge der örtlichen Polizei ein Feuer im Ebersberger Forst. Beim Eintreffen der Streifenbesatzung war der mit Brandbeschleuniger entzündete Stapel aus Zeitschriften und Zeitungen - es soll sich um Pornohefte gehandelt haben - fast erloschen. Tobias R. konnte als Tatverdächtiger ermittelt werden. Beamte der Münchner Polizei suchten deshalb den Obermenzinger sogar in dessen Wohnung in der Eugen-Papst-Straße auf und kontrollierten dabei auch dessen Waffentresor. Die Staatsanwaltschaft München II stellte das Verfahren jedoch ein, "weil ein Tatnachweis nicht mit einer für eine Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit geführt werden konnte". Bereits im April desselben Jahres hatte die für das Münchner Umland zuständige Staatsanwaltschaft ein weiteres Verfahren gegen R. eingestellt. Wegen eines Joints hatte das Polizeipräsidium Oberbayern-Süd gegen den damals 40-Jährigen ermittelt.

R. sei immer wieder polizeilich auffällig geworden, bilanziert die Landtagsabgeordnete Schulze, auch bereits zuvor "durch seine zahlreichen Anzeigen bei der Polizei und der Bundesanwaltschaft aufgrund seines Verfolgungswahns -, ohne dass dies Auswirkungen auf die Erteilung einer Waffenerlaubnis gehabt hat". Denn zusätzlich zu der im August in seiner Wohnung entdeckten, ordnungsgemäß gelagerten und amtlich eingetragenen 9 Millimeter Sig Sauer ließ R. im Herbst 2018 noch eine Pistole Walther PPQ M2, die beim Anschlag nicht eingesetzt worden sein soll, in seine Waffenbesitzkarte eintragen. "Hier gibt es offensichtlich erhebliche Mängel bei der Überprüfung der Zuverlässigkeit von Waffenbesitzern", so Schulze. R. habe wohl bereits seit langem auch an schweren psychischen Erkrankungen und einer akuten Psychose gelitten. "Dies hätte unbedingt auch den zuständigen Waffenbehörden bekannt sein und zu einem Entzug der Waffenerlaubnis führen müssen", so Schulze.

Offenbar gelang es den zahlreichen mit R. befassten Behörden nicht, ihre jeweiligen Erkenntnisse zu teilen. Das lag unter anderem daran, dass der spätere Attentäter zwar in München lebte, dort aber nie gemeldet war. Deshalb blieb die Waffenbehörde in seiner Heimat, dem hessischen Main-Kinzig-Kreis, für ihn zuständig. Das dortige Landratsamt wusste allerdings, dass R. in München lebte und forderte ihn sogar auf, sich hier anzumelden. Die Ebersberger Polizei wusste ebenfalls, dass R. in Hessen gemeldet war, aber in München wohnte. Polizei und Waffenbehörde wussten zudem, dass R. eine Waffe in München hatte. Nur das für Münchner Waffenbesitzer zuständige Kreisverwaltungsreferat erfuhr von alledem nichts.

"Das sollte uns zu denken geben und der Austausch über Bundesländer hinaus muss eindeutig verbessert werden", fordert Schulze im Hinblick darauf, dass R. im Oktober 2018 mit Zustimmung des Bayerischen Sportschützenbundes eine neue Schusswaffe bewilligt bekam. Nach Waffenrecht muss alle drei Jahre die Zuverlässigkeit eines Waffenbesitzers überprüft werden. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen fragt, warum im Fall R. den Waffenbehörden nie etwas aufgefallen sei. "Es kann nicht sein, dass sich jede behördliche Stelle rausredet, dass jemand anders ja zuständig wäre."

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