Rammstein in München:Die wollen nur spielen

Brennende Mikrophone, eine falsche Domina sowie jede Menge Schall und Rauch: Beim Auftritt in der Münchner Olympiahalle zeigt Rammstein, wie man perfekt inszeniert. Zu perfekt. Denn: Wirklich schockierend ist jemand anderes.

Anna Fischhaber

Martialisch, mit brennender Fackel und bayerischer Fahne, marschieren die Männer in schwarzer Lederkluft ein, mitten durchs Publikum. Für einen Moment stehen sie stumm da, dann legt Rammstein mit Sonne los und die ersten Flammen schießen auf der Bühne hoch. Es zischt und kracht, funkt und raucht, und bald explodieren auch über den Besuchern Feuerwerkskörper.

Rammstein in München: Sänger und Songwriter Till Lindemann beim Rammstein-Konzert am Dienstagabend.

Sänger und Songwriter Till Lindemann beim Rammstein-Konzert am Dienstagabend.

Ihre feuerwerksverliebten Shows sind legendär. Auch an diesem Dienstagabend in der Münchner Olympiahalle enttäuscht Deutschlands erfolgreichste und wohl auch umstrittenste Band nicht. Mikrophone brennen, Raketen explodieren und immer wieder steht die Bühne in Flammen. Dazu gibt es Bombast-Sound und die typisch provozierende Lyrik, mit der Rammstein weltweit so erfolgreich sind. In Russland, Japan, in den USA. In New York brauchte die Band kürzlich gerade einmal eine halbe Stunde, um den Madison Square Garden zu füllen, 20.000 Tickets in dreißig Minuten.

Auch in München ist das Konzert seit langem ausverkauft. Dabei hat Rammstein kein neues Album dabei, sondern präsentiert bei der Made in Germany-Tour nur ein Best-of der vergangenen 16 Jahre. In der Olympiahalle spielt die Gruppe an diesem Abend zwei Stunden lang all ihre alten Songs. Nur Mein Land, ihren einzigen neuen Titel und immerhin auf Platz fünf der aktuellen Charts, spielt sie nicht. Dafür Rammstein aus dem Jahr 1995, als sie noch als Vorgruppe von musikalischen DDR-Überbleibseln durchs Land tourte. Und Mein Teil, das mit der Vorzeile "suche gutgebauten Achtzehn- bis Dreißigjährigen zum Schlachten" in Anspielung auf den "Kannibalen von Rotenburg" einst für wütende Proteste sorgte.

Provokation nach Plan

Irgendwie abartig sind die Texte von Rammstein fast immer, eindeutig eher selten. Und nicht immer gelang die Ironie: Lange wurde der Band eine Nähe zu Rechtsaußen unterstellt. Erst seit dem Bekennersong Links 2 3 4 ist das Thema durch - ihre "proto-faschistischen Posen" wurden fortan vom konservativem Feuilleton als "Lifestylephänomen" akzeptiert. Inzwischen gesteht man Sänger und Songwriter Till Lindemann, 48, Sohn des DDR-Kinderdichters Werner Lindemann, sogar zu, aus Tabuthemen Kunst zu machen. Immer mehr Intellektuelle interessieren sich für seine Songtexte, für die er sich mal bei Brecht, mal bei Goethe bedient, immer aber ein außerordentliches Sprachgefühl beweist - und so Millionen weltweit für die deutsche Sprache interessiert.

Provozieren tut die Band allerdings immer noch gerne. Auch dem Auftritt in München ging ein Skandälchen voraus: Sie wollten am Totensonntag spielen. Was für ein Sakrileg im Land der christlich-sozialen Bayern. Doch "brennende Menschen" und "wilde Texte" an so einem Tag, das ging dem zuständigen Münchner Kreisverwaltungsreferat (KVR) dann doch zu weit und das Konzert wurde um zwei Tage verlegt.

Inszenierung aus der Mottenkiste

Am Eingang stehen nun vorsorglich Polizisten. Hätte das KVR gesehen, wie sich Lindemann bei Bück dich erst von seinem als blonde Domina verkleideten Schlagzeuger an einer Kette über die Bühne prügeln lässt und dann mit einem Kunststoffpenis um die Lenden eine milchige Flüssigkeit auf das Publikum spritzt oder der Gitarrist seine brennende Gitarre dem Publikum reicht, man hätte sich wohl in den nüchternen Gängen der Behörde bestätigt gefühlt.

Fulminantes Gesamtkunstwerk

Allerdings kommt einem die Show bisweilen seltsam bekannt vor: Etwa als Lindemann bei dem bewusst geschmacklosen Mein Teil als blutiger Metzgermeister mit Messermikro erscheint. Oder als bei Haifisch Flake Lorenz, der den restlichen Abend auf einem Laufband vor seinem Keyboard joggt, in einem Gummiboot über der Menge schaukelt.

Ganz ohne Special Effects kommt nur der melancholische Song Ohne Dich aus. Statt Flammenwerfern auf der Bühne leuchten nun vereinzelt Feuerzeuge im Publikum, das endlich Luft holen und sich auf die Musik konzentrieren kann. Nur: Balladen sind nicht gerade die Stärke von Lindemann und seinem sonst so charismatischem Sprechstil mit dem rollenden R.

Ansonsten bleibt es explosiv. Der Auftritt von Rammstein ist wieder einmal ein fulminantes Gesamtkunstwerk, Fehler gibt es nicht, dürfte es auch nicht, wenn sich die Spielorte nicht regelmäßig zu Brandkatastrophen auswachsen würden. Und so erfolgen die Feuerbälle genauso taktgenau wie die Gitarrensolos. Überhaupt ist die Band bekannt für die Tugenden, die man heute auch gern ironisch den Deutschen nachsagt: Für Genauigkeit und Perfektion.

Für den Dialog mit dem Publikum, für Spontanität und Improvisation, für all das, was einen gelungenen Liveauftritt eben normalerweise von einem Studioalbum unterscheidet, ist im Drehbuch kein Platz. Stattdessen dirigiert Lindemann die Masse, reckt den Daumen hoch, wenn der Text sitzt. Doch genau an dieser perfekten Inszenierung krankt zumindest anfangs die Stimmung ein wenig.

Erst bei den Zugaben dreht das Publikum auf. Jetzt geben auch die Männer auf der Bühne noch einmal alles. Bei Engel kommt Lindemann mit metergroßen brennenden Flügeln auf die Bühne, dann sitzt er plötzlich auf etwas, das wie ein riesiger Schwanz aussieht, und weißen Schaum über das gesamte Publikum sprüht. Aber ist das provokant? Eher hat man das Gefühl, hier sind Jungs am Werk, die nur spielen wollen. Mit Feuer, mit Explosionen und mit ein wenig Schaum.

Einen echten Schocker präsentiert Rammstein nach fast zwei Jahrzehnten auf der Bühne nicht mehr. Das, was der schwedischen Vorband zuvor mühelos gelang. Ganz ohne große Show oder provozierende Texte - zumindest gehen die im Lärm der Gitarren unter. Eine Pause nutzt der Sänger der Deathstars allerdings, um seine Phantasien mit dem Publikum zu teilen: "Ich hasse Schweden, Schweden und diese ganzen blonden Schwedinnen. Hasst ihr sie auch?" schreit er immer wieder. "Ich will sie zerstören, zerstören."

Und plötzlich ist es für einen Moment still in der Olympiahalle.

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