Rammstein in München:Blümchensex mit dem Flammenwerfer

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Böller, Brachialrock und eine Sehnsucht nach Wohlklang: Deutschlands erfolgreichste Rockband Rammstein stürzt die Zuschauer in ihr morbides Panoptikum.

J. Temsch

So viel Getöse, wie es um ihr neues Album "Liebe ist für alle da" gegeben hat, können Rammstein live gar nicht erzeugen. Dabei stürzen sie das Publikum in der ausverkauften Olympiahalle beim ersten Deutschlandkonzert ihrer Europatour unmittelbar in ihr morbides Panoptikum.

Federboa zur blutroten Fleischerschürze: Till Lindemann vom Rammstein beim Konzert in der Olympiahalle München. (Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Wie aus Katakomben hacken und schweißen sich die Musiker durch Steinwände und Stahltüren ihren Weg auf die Bühne. Sänger Till Lindemann trägt eine Federboa zur blutroten Fleischerschürze und geriert sich mit ausladenden Gesten als geisteskranker Diktator. Hinter ihm knallt und brennt es.

Die Hosenbeine flattern im Phonsturm der Eröffnungshymne "Rammlied", einer Mischung aus religiösem Singsang und Stadiongegröle. Mit "B********", "Waidmanns Heil", "Keine Lust" und "Weißes Fleisch" hämmern gleich die neuesten und die mit 13 Jahren ältesten Abgeh-Nummern der Band hinterher.

Wuchtige Gitarren-Akkorde, donnerndes Doppelbass-Getrommel, Synthesizer und Jagdhorn-Samples formen Krachgewitter, aber auch Soundbrei, der sich nur langsam verbessert. Die Euphorie steigt. Aber Überraschungen fehlen. Härter noch: Dieser Wanderzirkus des Wahnsinns war schon einmal einfallsreicher.

Feuer ist immer noch das wichtigste Element bei der stadiontauglichen Inszenierung des Rammstein'schen Breitwand-Klangs. Wenn die Flammenwände lodern, spürt man die Hitze noch zehn Meter von der Bühne entfernt. Aber beim Zündeln war die Band schon viel irrer, als es bei ihr noch keine VIP-Bereiche von Privatsendern und 250 Euro teure Plätze mit Champagner-Catering gab.

Mit Flammenwerfern hantierten sie schon bei ihren ersten Münchner Auftritten in kleinen Klubs - aber damals noch knapp über den Köpfen der schocksteifen Zuschauer. Auch die jetzt benutzten Feuerspei-Utensilien sind aus früheren Konzerten bekannt. Damals zündete sich Till Lindemann auch noch selbst an, heutzutage lässt er dafür einen Komparsen über die Bühne hampeln.

Auch andere alte Gags, etwa Keyboarder Christian Lorenz' Gummiboot-Ausflug auf den Händen des Publikums, wirken abgenudelt. So eine Bootsnummer macht inzwischen sogar Schlagerkasper Dieter Thomas Kuhn.

Aber die Wiederholung bewährter Schau-Elemente wäre nicht weiter tragisch - Angus Young von AC/DC lässt ja auch immer noch die Hosen herunter - hätten Rammstein nicht selbst verkündet, showmäßig ständig aufrüsten zu müssen, weil die Leute das so verlangten.

Einerseits ist die Band vor vier Jahren das letzte Mal auf Tour gewesen, da wäre jetzt tatsächlich etwas Neues vorstellbar gewesen. Vor allem aber klingt das Eingeständnis ein wenig zwanghaft danach, dass Lindemann und Kollegen sich zunehmend als Gefangene dessen sehen, was sie glauben, künstlerisch tun zu müssen.

Zumal Rammstein es musikalisch durchaus geschafft haben, mit "Liebe ist für alle da" die Hörgewohnheiten alter Fans zu befriedigen und trotzdem Erwartungshaltungen zu brechen.

Es ist nicht nur dem kalkulierten Skandal um das "Rammelstein"-Video und der aktuellen Indizierung zu verdanken, dass Rammstein-Konzerte so schnell ausverkauft sind, während der andere große Fachmann fürs Abartige, Marilyn Manson, inzwischen in halbleeren Hallen auftritt.

Rammstein lassen aus dem Brachialrock auf Basis kühler bis pathetischer Maschinensounds neuerdings eine interessante Sehnsucht nach Wohlklang durchklingen. Die möglichst krasse Orchestrierung von Lindemanns Düsterlyrik über die Schattenseiten menschlichen Daseins passt auf einmal wunderbar zu Chanson-Zitaten Bert Brechts, Kurt Weills und Edith Piafs. Im Zusammenhang der Härte des Albums hat die poppig verkleidete Satire auf den Sextourismus, der Song "Pussy", auch einen musikalischen Witz.

Den bewahren Rammstein live sogar in der umgeschriebenen Version des indizierten Songs "Ich tu Dir weh", wo nun eine Fahrt auf die grüne Wiese - zum ironischen Blümchensex - vorkommt.

Wenn der letzte Böller verpufft ist, wird man auch bei Rammstein merken, dass gute Ideen immer noch am besten zünden.

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