Ramersdorf:Schreck-Moment

Siemens-Standort St.-Martin-Straße an der Grenze von Giesing und Ramersdorf

Die Ruhe vor dem Sturm? Die Pläne der Investoren für das einstige Siemens-Betriebsgelände, das sich von der St.-Martin- bis zur Werinherstraße (Bild) erstreckt, haben Anwohner und Lokalpolitiker aufgeschreckt.

(Foto: Florian Peljak)

Die Neuplanungen für den ehemaligen Siemens-Standort an der St.-Martin-Straße laufen an. Die Lokalpolitiker befürchten einen massiven Eingriff in das Viertel mit erheblichen Folgen für die Umgebung und die Infrastruktur

Von Hubert Grundner, Ramersdorf

Die Mitglieder im Unterausschuss (UA) Bauvorhaben, Stadtplanung und Bürgerbeteiligung sind Zumutungen gewohnt. Die Wünsche der Bauherren und die Gestaltungskraft der Architekten gehen ja auch nicht immer eine glückliche Liaison ein. Doch neben den ästhetischen Kriterien lässt oft die schiere Größe eines Vorhabens den Lokalpolitikern den Atem stocken. Als ihnen nun ein Architekt die Pläne zur Umgestaltung des früheren Siemens-Betriebsgeländes an der St.-Martin-Straße 76 und 51 erläuterte, war es wieder so weit: "Die UA-Mitglieder waren echt erschrocken", schilderte Andrea del Bondio (SPD) im Bezirksausschuss (BA) Ramersdorf-Perlach die Reaktion ihrer Kollegen. Der Vorsitzende des Gremiums, Thomas Kauer (CSU), ergänzte, dass diese Pläne eine "riesige Konversion" des Areals bedeuteten - mit enormen negativen Folgen für die angrenzenden Quartiere. Der BA fordert deshalb in einem einstimmig gefassten Beschluss, "alle gestellten Bauanträge und Vorbescheidsanträge sofort zu stoppen". Diese würden in der derzeitigen Form mit Nachdruck abgelehnt.

Bei dem Grundstück St.-Martin-Straße 76 handelt es sich um das ehemalige Betriebsgelände der Siemens AG. Es reicht im Süden bis zur Werinherstraße und im Westen bis direkt an die S-Bahn-Gleise. Augenblicklich steht es großteils leer und weist fast ausschließlich gewerblich zu nutzende Flächen und Räume auf. Auf dem Areal findet sich eine Vielzahl mehrgeschossiger Gebäude. Zusätzlich gibt es an der zur Germersheimer Straße gerichteten Seite einen Komplex, in dem neben Büroflächen früher auch die Mitarbeiter-Kantine von Siemens war. Laut dem Unterausschuss ist zunächst eine Modernisierung und Erweiterung der vorhandenen Büroflächen in vier Bauabschnitten - aufgeteilt nach den jeweiligen Gebäuden - geplant. Während in den Abschnitten eins und zwei nur Sanierungsarbeiten innerhalb des Bestands ausgeführt werden sollen, gehe es in Nummer drei und vier darum, die vorhandenen Strukturen um Ergänzungsbauten zu vergrößern und um ein Geschoss zu erhöhen. Die dort jeweils offenen Eckbereiche der Bürokomplexe sollen geschlossen werden. Die Planer wollen auf diese Weise eine optisch ansprechende Fassadengestaltung ermöglichen. In einem zusätzlichen fünften Bauabschnitt käme dann der Abriss des ehemaligen Kantinengebäudes an die Reihe. An seine Stelle könnte ein Neubau mit bis zu acht Stockwerken treten.

Für die Bauteile eins und zwei wurden bereits Anträge eingereicht, mit deren Genehmigung der Bauherr offenbar auch schon rechnet. Die Anträge zu den Abschnitten drei und vier sind ebenfalls gestellt und sollen von der Lokalbaukommission bereits positiv beurteilt worden sein. Für den Bauteil fünf, die ehemalige Kantine, ist ein Abriss vorgesehen. Für diesen Bereich seien drei Varianten einer achtgeschossigen Neubebauung im Wege eines Vorbescheids abgefragt worden, hieß es im BA. Zur Debatte stehen demnach entweder circa 150 familiengerechte Wohnungen oder rund 500 Studenten-Apartments (in zwei unterschiedlich situierten Baukörpern). Insgesamt sollen bis zu 15 000 Quadratmeter Gewerbeflächen zu den bestehenden hinzukommen. Die Vermarktung soll, wie zu erfahren war, in Kürze starten.

Beim Anwesen St.-Martin-Straße 51 handelt es sich um das Parkhaus, das derzeit nur mäßig ausgelastet ist und abgerissen werden soll. In einer mehrere Varianten umfassenden Vorbescheidsanfrage ist ein Neubau mit bis zu neun Geschossen avisiert. Der wiederum soll auf einer Tiefgarage mit bis zu fünf Untergeschossen stehen. Die abgefragten Nutzungen reichen von Flächen für Handel und Gewerbe im Erdgeschoss über Büro- und Gewerberäume in den Obergeschossen bis hin zu Wohnnutzungen von 30 und 50 Prozent.

Ein Bebauungsplan liegt für beide Flächen im Übrigen nicht vor. Die Zulässigkeit der Projekte beurteilt sich deshalb nach Paragraf 34 Baugesetzbuch, dem oft umstrittenen "Einfügungsgebot".

Ihr Erschrecken über die genannten Vorhaben erklärten die Lokalpolitiker allein schon mit deren Größe und dem ganz erheblichen Eingriff in die vorhandenen Nutzungsstrukturen. Der Verwaltung werfen sie vor, sich nicht einmal im Ansatz mit den zu erwartenden Auswirkungen auf die Nachbarschaft und das gesamte umliegende Gebiet beschäftigt zu haben. Eine Bürger- und Nachbarbeteiligung, an die offenbar nicht gedacht ist, halten sie für zwingend erforderlich. Die geplante Nutzung werde auch mit dem Betrieb des einstigen Siemens-Standorts nicht mehr vergleichbar sein. Die Zahl der Beschäftigten wie auch die benötigte Infrastruktur - Kindergärten, Schulen, öffentlicher Nahverkehr - werde um vieles größer ausfallen. Das zeige sich an der benachbarten "neuen Balan", dem einstigen Infineon-Gelände. Kauer erwartet jedenfalls einen "tiefen Einschnitt" für den Stadtbezirk: Die Entwicklung an der St.-Martin-Straße dürfe "so nicht kommen", wie sie jetzt geplant sei.

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