Ramersdorf:Plötzlich geht der Baumschutz vor

Ramersdorf: Ob und wie das "Erdbeerfeld" und benachbarte Grundstücke an der Ottobrunner Straße bebaut werden können, das ist seit vielen Jahren ein Streitthema in Ramersdorf.

Ob und wie das "Erdbeerfeld" und benachbarte Grundstücke an der Ottobrunner Straße bebaut werden können, das ist seit vielen Jahren ein Streitthema in Ramersdorf.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die Betreiber des Gartencenters "Seebauer" wollen ermitteln, wie viel eines ihrer Grundstücke wert ist. Erst stellt die Stadt den Bescheid in Aussicht, dann vollzieht sie kurzfristig eine Kehrtwende. Die CSU erwägt rechtliche Schritte dagegen.

Von Sebastian Krass

Ein Stadtrat aus der Opposition droht damit, vor Gericht zu ziehen, und ein Grundstückseigentümer beklagt "einen krassen Vertrauensverlust in die Stadt als Verhandlungspartner": Ein plötzlicher Sinneswandel des Planungsreferats und die Unterstützung, die es dafür in der Abstimmung von der grün-roten Rathausmehrheit sowie der Linken und der München-Liste bekam, haben am Mittwoch Reaktionen in einer Heftigkeit ausgelöst, wie es sie nur selten gibt im Stadtrat.

Kurz vor Beginn des Planungsausschusses kursierte ein auf denselben Tag datierter "2. Hinweis/Ergänzung" des Referats zur Beschlussvorlage, wie die Stadt mit einem Grundstück an der Ottobrunner Straße 3 in Ramersdorf und in der Folge mit benachbarten Flächen, insgesamt bekannt als "Erdbeerfeld", umgehen soll. Das Grundstück an der Ottobrunner Straße 3 gehört der Familie Gerstenkorn, die das unweit gelegene Gartencenter "Seebauer" betreibt. Die Gerstenkorns wollen das Grundstück, das einen dichten Baumbestand hat, verkaufen, nach eigenen Angaben am liebsten an die Stadt, um damit die Erweiterung ihres Betriebs und den Bau von Wohnungen für Beschäftigte zu finanzieren.

Sie haben bei der Lokalbaukommission (LBK) einen Antrag auf Vorbescheid für ein Bauvolumen gestellt, das grob gerechnet etwa 100 Wohnungen entspräche. Aus dem Bescheid ergäbe sich ein Marktwert des Grundstücks. Der Antrag wäre nach Angaben der stellvertretenden Stadtbaurätin Jacqueline Charlier wohl zulässig, und weil er fast drei Monate vorliege, müsse der Bescheid eigentlich schnell ergehen. In früheren Versionen der Beschlussvorlage, die jüngste datierte auf den 26. Januar, hieß es noch: "Das bestehende Baurecht wird zugunsten des Baumerhalts nicht entzogen."

In den vergangenen Tagen aber, erläuterte Charlier, seien Gutachten zu Fragen des Artenschutzes und des Baumschutzes eingegangen und daran anschließend "Fragen aus der Politik". Deshalb habe man die Sache neu bewertet. Nun plädierte das Referat dafür, für das Grundstück und benachbarte städtische Flächen einen Bebauungsplan aufzustellen mit dem Planungsziel, "eine ausgewogene bauliche Entwicklung (...) unter Berücksichtigung der Belange des Baum- und Artenschutzes" zu erreichen. Damit einher geht, dass die Familie Gerstenkorn keine Auskunft zum Baurecht bekommt, weil ihre Anfrage zurückgestellt wird. Zudem könnte der Stadtrat mit einem Bebauungsplan für das Gebiet, den das Referat um weitere Grundstücke erweitern will, anderes Baurecht schaffen - und zwar nach den Regeln der Sozialgerechten Bodennutzung (Sobon) für bezahlbaren Wohnraum, die beim ursprünglichen Vorgehen nicht gegriffen hätten.

Grundstückseigner Gerstenkorn sieht sich "jetzt als Depp" dastehen

CSU-Stadtrat Winfried Kaum hält die "180-Grad-Wende" für "politisch motiviert". Die extreme Kurzfristigkeit und die Ablehnung einer Vertagung seien "eine Missachtung unseres Rechts aus der Gemeindeordnung". Um sein Mandat "ordentlich wahrzunehmen", müsse man "rechtzeitig informiert werden". Deshalb behalte er sich vor, den Beschluss anzufechten. Stadtbaurätin Elisabeth Merk hielt dem entgegen: "Ich habe das Recht, einen Antrag auch während einer Sitzung zu ändern. Wenn Sie das nicht richtig finden, können Sie anders entscheiden." Allerdings wusste sie zu dem Zeitpunkt, dass Grün-Rot ihr folgen würde. Jörg Hoffmann (FDP) wollte wissen, "was zwischen dem 26. Januar und heute passiert ist". Paul Bickelbacher (Grüne) sagt dazu, man habe das Referat lediglich gefragt, ob es mehr für den Baumschutz tun könne. Die Lösung mit dem Bebauungsplan sei überraschend gekommen.

Grundstückseigentümer Bernhard Gerstenkorn sieht sich "jetzt als Depp" dastehen: "Jeden Monat habe ich einen Bauträger dastehen, der mir das Grundstück abkaufen will." Stets habe er das "zurückgestellt", weil er auf den Deal mit der Stadt hingearbeitet habe. Jetzt wolle die Stadt "den Preis drücken", sagt Gerstenkorn. Jacqueline Charlier vom Planungsreferat versucht zu beschwichtigen: "Wir sagen nicht, dass er das Baurecht nicht bekommt." Man wolle nur in größerem Rahmen planen, "wir stehen für Gespräche bereit".

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