Ralph Siegel über Schlager und Scheitern:"Ich verdiene seit Jahren kein Geld mehr"

Der Musikproduzent Ralph Siegel über Erfolge und Scheitern beim Grand Prix, "Deutschland sucht den Superstar" und warum der Schlager länger leben wird als Rapmusik.

Michael Ruhland

SZ: Am 24. Mai findet das Finale des Eurovision Song Contest in Belgrad statt ...

Ralph Siegel über Schlager und Scheitern: Ralph Siegel, Musikproduzent und Dauergast beim Grand Prix.

Ralph Siegel, Musikproduzent und Dauergast beim Grand Prix.

(Foto: Foto: ddp)

Ralph Siegel: ... damit habe ich nichts zu tun.

SZ: Sie hatten keine Schlager eingereicht?

Siegel: Wir haben auch etwas eingereicht, der NDR hat sich aber leider anders entschieden. Damit muss ich wohl wieder auf nächstes Jahr warten.

SZ: Und für ein anderes Land sind Sie nicht aktiv geworden?

Siegel: Ich habe ein nettes Lied nach Malta geschickt, da waren wir dann unter den letzten 20. Schauen Sie, inzwischen werden etwa 10 000 Lieder angeboten - das ist eine lange, lange Prozedur. Es ist ein ganz schwerer Wettbewerb von inzwischen 43 Ländern geworden. Die Welt geht für mich deshalb nicht unter. Ich wollte etwas für Deutschland machen, jetzt hoffe ich, dass sich die Teilnehmer gut schlagen.

SZ: Der deutsche Schlager wurde wahrscheinlich ähnlich oft totgesagt wie das Buch. Wie kommt es, dass trotzdem Millionen vor dem Fernseher hocken, wenn die Vorauswahl zum Grand Prix läuft?

Siegel: Es gibt eine gewisse Spezies von Menschen, die den Schlager totsagen. Das sind genau die, die sich nicht damit identifizieren können. Das ist ja kein Problem - jeder soll seinen eigenen Geschmack haben. Es gibt aber Menschen, die sich das ganze Jahr über damit beschäftigen, uns niederzumachen. Warum sie das tun, weiß ich nicht.

Wenn man sieht, dass Andrea Berg die erfolgreichste CD aller Zeiten in Deutschland gemacht hat, dann muss man sich fragen, warum es immer wieder Menschen gibt, die sich nur darüber lustig machen.

Ich sage langfristig den Rap in Deutschland auch bald tot - das kann man ja in englisch nicht mehr ertragen. Es ist alles relativ, und trotzdem finde ich einige Rapper richtig toll. Ich glaube, der Schlager wird länger leben als jeder Rap dieser Welt.

"Ich verdiene seit Jahren kein Geld mehr"

SZ: Ist der partielle Schlagerhass eine deutsche Spezialität?

Siegel: Es ist tatsächlich eine kranke Situation in unserem Land. In Amerika akzeptieren die Countrysänger die Popsänger, die Popsänger die Bluessänger und die Bluessänger die Rocksänger. Die lassen sich gegenseitig leben in ihrem Bereich.

SZ: Dennoch wird die Klientel immer älter. Ist es nicht nur noch eine Frage der Zeit, bis sich der Grand Prix biologisch erledigt?

Siegel: Das ist grundsätzlich falsch. Wenn Sie sich ansehen, wie viele Schlagerpartys es gibt - ich spreche jetzt nicht vom Ballermann, was nicht unbedingt angenehm ist. Wenn eine Andrea Berg auf Tournee geht oder eine Nicole, dann kommen Acht- bis Achtzigjährige zum Konzert. Das Publikum ist absolut gemischt. Die Vorstellung, dass es nur Alte sind, ist ja schrecklich.

SZ: Jugendliche hören aber mit Sicherheit eher Popmusik.

Siegel: Sie dürfen nicht vergessen, dass die sogenannte Pop-Rock-Musik eine viel größere Verbreitungsmaschinerie hat. Es gibt vier Fernsehkanäle in Deutschland, wo von früh bis spät Popmusik gespielt wird. Stellen Sie sich vor, wir hätten die gleiche Präsenz mit dem Sender Goldstar. Dann würde sich die Welt wohl ein bisschen drehen. Stattdessen setzen die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Schlagersendungen ab.

SZ: Weil sie nicht so gut vermarktbar sind?

Siegel: Viva und MTV könnten ohne die Industrie nicht existieren, weil die ihre Videos herstellt, mit denen sie überleben. Das geht deshalb leicht, weil die meisten Sachen doch Pop und damit international verwertbar sind. Es gibt ein paar gut gemachte deutsche Künstler von Juli bis Silbermond und vielleicht noch ein paar Rapper.

Der deutsche Schlager hat hier einfach ein viel zu kleines Podium, um sich durchzusetzen und sich auch bei der Jugend ins Herz zu pflanzen. Da fehlt uns das einfachste Mittel, was wir früher hatten: die ZDF-Hitparade. Einmal im Monat gab es eine Sendung, in der neue deutsche Sänger ihre Präsenz hatten. Es gab auch noch die Starparade und andere Sendungen. Alles vorbei.

SZ: Sie haben sich ziemlich ins Zeug gelegt, um die Hitparade zu retten.

Siegel: Ich habe versucht, den damaligen Intendanten Professor Stolte mit allen Argumenten und Liebesschwüren stellvertretend für die deutschen Interpreten und Künstler davon zu überzeugen, die Sendung aufrechtzuerhalten. Sie haben sich nicht dazu entschließen können, was uns allen sehr wehgetan hat und heute noch wehtut.

Die ganzen großen Künstler inklusive Peter Maffay sind alle durch die ZDF-Hitparade gekommen. Auch wenn es heute keiner mehr hören und wissen will: Die haben alle dort angefangen und ihre ersten Sporen verdient. Jetzt hat man die Volksmusik auch noch kastriert, indem man einige Sendungen abgesetzt hat. Das macht es uns nicht leichter.

"Ich verdiene seit Jahren kein Geld mehr"

SZ: Empfinden Sie es als Kränkung, wenn Sie jemand mit den Attributen altmodisch oder dinosaurierhaft belegt?

Siegel: Altmodisch ist dummes Zeug, weil ich das nicht bin. Das kommt von Leuten, die sich gar nicht mit dem auseinandersetzen, was ich alles mache. So nach dem Motto: Hat der nicht "Ein bisschen Frieden" oder "Dschingis Khan" gemacht?

SZ: Nun ja, kein Produzent hat so viele Beiträge für den Grand Prix hervorgebracht wie Sie. Sie sind seit 35 Jahren dabei, die meisten Lieder haben Sie selbst komponiert. Medien nennen Sie den Mister Grand Prix.

Siegel: Es waren 18 eigene Titel von mir im europäischen Wettbewerb, die habe ich mir auch erarbeitet. Ich hatte ein einziges Direktmandat mit Mekado, und die wurden immerhin dritter. Alle anderen musste ich durch Jurys bringen - früher war das noch fair: Da wusste die Jury nicht, von wem die Songs produziert waren, sondern bewertete aus tausend Liedern neutral und musste dann oft feststellen, dass der Song schon wieder von mir war.

Dann kam die Zeit, wo einige Redakteure bestimmt haben, wer bei der Vorauswahl dabei ist. Dann wird es halt schwer. Deshalb war ich die letzten Jahre auch nicht dabei, weil man mir keine Chance gibt. Man wird entweder ausgeladen oder eingeladen.

SZ: Man könnte meinen, es ist eine Art Besessenheit, immer wieder dabei sein zu wollen.

Siegel: Nein, das ist es nicht. Wenn Sie den Beckenbauer fragen: "Jetzt sind`S seit 40 Jahren beim Fußball dabei, haben`S nichts Besseres zu tun gehabt", wird er sagen: "Wissen Sie, mein Herz liegt beim Fußball." Und mein Herz liegt eben in der Musik.

SZ: Beckenbauer spielt aber nicht mehr in der Nationalmannschaft mit.

Siegel: Wenn Sie in der Musik tätig sind, dann sind Wettbewerbe natürlich ein Thema. Und wenn man die Chance hat, selbst Lieder einzubringen oder Künstlern die Möglichkeit gibt, international ihren Weg zu machen, dann nimmt man die natürlich wahr. Ganz ehrlich gesagt: Ein Lied, das man sich im Keller ausgedacht hat, irgendwann vor 600 Millionen Menschen vorzuführen, ist halt eine tolle Geschichte. Wie oft kommt man im Leben mit einem Lied noch zu "Wetten, dass...?", und da schauen nur 13 Millionen zu.

SZ: Als Sie 2002 mit dem Song "I can´t live without music", gesungen von Corinna May, abgeschlagen auf Platz 21 landeten, haben Sie das schlechte Abschneiden als "persönliches Waterloo" bezeichnet.

Siegel: Es war einfach nicht der Abend, der Auftritt in Tallin war eine Katastrophe. Wir waren sechs Wochen vor dem Wettbewerb international in allen Votings auf den ersten zwei Plätzen. Man muss aber auch sagen: Richtig abgestürzt sind wir erst, als die Telefonabstimmung kam. Ich hatte ja zuvor nicht nur mit Nicole den ersten Platz.

Ich habe ja noch dreimal den zweiten gemacht, mit "Lass die Sonne in dein Herz", "Johnny Blue" und "Theater". Und noch zweimal den dritten und zweimal den vierten. Was ich sehr unangenehm in Erinnerung habe, ist, wie die Medien Corinna hinterher behandelt haben. Da haben einige Leute sie parodiert, wie eine Blinde von der Bühne fällt. Das war unter der Gürtellinie, das hat sie nicht verdient. Sie ist eine große Künstlerin.

"Ich verdiene seit Jahren kein Geld mehr"

SZ: Was war an der Telefonwahl so schlimm?

Siegel: Der gravierendste Unterschied zu früher war, dass der jeweilige Juror -in diesem Fall Zuschauer - sich nur noch eine Nummer 1 aussuchte. Wenn du in den Ohren oder Augen an diesem Abend nicht die Nummer 1 bist, bekommst du keinen einzigen Punkt. Man kann in zwei Millionen Köpfen die Nummer 2 sein - das kriegt aber keiner mit. Es ist eine absolute Glückssache geworden.

SZ: Sie haben in Ihrem Leben eine Fülle von goldenen Schallplatten und weiteren Preisen gewonnen. Wie schwer fällt es Ihnen zu verlieren?

Siegel: Es gibt Dinge, an die glaubt man hundertprozentig. Man ist mit vollem Elan dabei. Und es gibt Dinge, da freut man sich dabei zu sein und weiß, man hat keine Chance. Das trenne ich auch so. Wenn ich zum Beispiel an Lou denke, wusste ich, dass wir keine Chance zum Gewinnen hatten. Wir sind immerhin elfter geworden, da müssen sich die Herrschaften der letzten Jahre schon anstrengen. Bewusst auf Erfolg angelegt waren zum Beispiel Sürpriz mit "Reise nach Jerusalem".

Für mich ist es jedesmal eine unendliche Herausforderung, wenn mein Lied für Germany kommt. Es sehen 600 Millionen zu, was wird es auslösen? Wenn diese 40 Minuten Wertung kommt - was da in dir abgeht, das kann man überhaupt niemandem erklären.

Zwischen hohem Glück und niederschmetterndem Schmerz ist alles dabei. Der Wettbewerb hat mich außerdem schon ein Vermögen gekostet. Zwei Wochen ist man dort mit einem Team von Leuten, Visagisten, Stylisten, Band, Fotografen, das geht wahnsinnig ins Geld.

SZ: Nie wirklich zornig geworden?

Siegel: Doch. Geärgert habe ich mich einmal ganz fürchterlich, als wir auch mit Corinna eines der besten Lieder meines Lebens hatten. Das hieß "I believe in God", und jeder, der das gehört hatte, sagte: Das ist unschlagbar. Und dann kam der gute, clevere Stefan Raab mit seinem "Wadde hadde dudde da", und wir waren weg vom Fenster.

Wenn einer zwei Monate lang in Pro Sieben sich und sein Wauwau-Lied promotet, hast du keine Chance mehr. Da tat es mir vor allem um Corinna Leid. Es gibt Menschen, die haben einfach Pech. Ich selbst darf mich nicht beklagen. Ich bin im Leben so reich beschenkt worden, durch meine Eltern, durch meine Erziehung, durch meine Ausbildung, die ich genießen durfte.

"Ich verdiene seit Jahren kein Geld mehr"

SZ: Wie prägend war Ihr Vater für Sie?

Siegel: Er war ein großer Komponist, Textdichter und Verleger. Eine starke Persönlichkeit, der mir sehr viel Talent mitgegeben hat. Er war ein großes Vorbild für mich. Er hat ja sehr viele Schlagertexte geschrieben, vom Chianti-Lied angefangen bis "O mia bella Napoli" und "Ich hab´noch einen Koffer in Berlin". Meine Mutter war eine Operettensängerin, die sich ein Leben lang nur für mich engagiert hat.

Bei uns zuhause waren die ganzen großen Künstler der Zeit wie Mona Baptiste, Peter Kraus und Udo Jürgens. Ich bin ja praktisch in diesem Beruf aufgewachsen und habe mein ganzes Leben darin verbracht.

Ich bin ein beschenktes Kind und kenne auch keinen Neid. Ich kann manche Menschen verstehen, die neidisch sind, weil sie keine Ausbildung haben. Ich durfte lernen, und das ist das größte Glück, das ein junger Mensch haben kann.

SZ: Sie haben zu Ihrer Musikausbildung Verlagswesen in Paris und Nashville/Tennessee gelernt. Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie zum Komponieren von Schlagern brachte?

Siegel: Ich weiß nicht. Ich habe mit meinem fünften Lebensjahr angefangen, Akkordeon zu spielen. Ich spielte dann bald parallel Gitarre und Klavier, hatte die erste Kinderband mit acht, neun Jahren, die erste bessere Band mit 14.Weil ich immer mitbekam, wie mein Vater komponierte, fing ich irgendwann auch an zu komponieren. Inzwischen sind es über 2000 Lieder geworden, alle aufgenommen. Die meisten habe ich selbst produziert.

SZ: Stimmt die Anekdote, dass Ihr Vater Ihnen das Versprechen bei einem Gershwin-Konzert am Broadway abnahm, sie sollten nach Höherem als Schlagermusik streben?

Siegel: Nicht ganz. Bei mir gab es nur zwei Idole. Der eine war Gershwin, der andere Peter Ustinov. Gershwin deshalb, weil er sowohl Schlager komponierte als auch Klavierkonzerte und Opern. Dieser breite Weg hat mir sehr gut gefallen. Als wir auf einem Konzert waren, sagte ich zu meinem Vater: "Mein größter Wunsch ist es, dass ein Musical von mir in den USA eines Tages gespielt wird." Das versuche ich sei zwanzig Jahren und habe es immer noch nicht geschafft.

SZ: Sie haben vor anderthalb Jahren in Cuxhafen das Musical "Lachen - Die Zeit der Clowns" komponiert. Das muss sich doch so angefühlt haben, wie wenn ein Hundert-Meter-Sprinter plötzlich bei einem Marathon antritt.

Siegel: Nein, gar nicht. Ich habe in meinem Leben alles gemacht: Angefangen von Wiener Liedern über französische Chansons, ich habe Filmmusik komponiert, Musik für Fernseh- und Werbesendungen, ich habe auch schon Musicals geschrieben. Viele haben die Vorstellung, ein Schlagerkomponist schreibt nur Schlager. Wissen Sie: Die meisten Schlagerkomponisten haben noch nie einen geschrieben. Ein Schlager ist es erst dann, wenn es ein großer Erfolg ist.

"Ich verdiene seit Jahren kein Geld mehr"

SZ: Lassen Sie uns die Produktion eines Schlagers mit dem Backen einer Hochzeitstorte vergleichen. Was wäre der Teig? Was die Füllung? Und was die Garnierung?

Siegel: Es gibt Lieder, die leben jahrelang und sind nie ein Schlager. Das beste Beispiel: "Ein Stern, der deinen Namen trägt." Das Lied war schon lange da. Plötzlich kam eine Plattform dazu, erst als DJ Ötzi das Lied sang. Wenn das Lied gut ist, der richtige Interpret, mit der richtigen Produktion, dem richtigen Sound zur richtigen Zeit die Herzen trifft, dann kann es ein Schlager werden. Nicht anders war das bei "Anton in Tirol".

SZ: Wie viel ist Handwerk, wie viel Intuition?

Siegel: Es gibt ein berühmtes Beispiel: "Wien, Wien - nur du allein" hat ein Metzger geschrieben. Opus one und nie mehr ein anderes. Ein großer Handwerker und Komponist, Eberhard Storch, hat 300 oder 400 Lieder geschrieben. Es kam aber nur einmal "Auf Wiedersehen" heraus. Den bekannten Ententanz hat ein Organist geschrieben. Aus seinen 60 anderen Liedern wurde nie etwas. Man kann gute Lieder also nicht unbedingt programmieren.

SZ: Bei Ihnen hat sich der Erfolg aber durchaus regelmäßig eingestellt.

Siegel: Gut, es gibt ein paar Leute, die das professionell ein Leben lang machen und dafür geboren wurden. Einer davon ist Christian Brun, der 50 Schlager geschrieben hat, Herr Siegel, der 100 und Herr Lissmann und Herr Holm, die 50 oder 60 Schlager geschrieben haben. Die verbringen aber Tag und Nacht damit, ganz gezielt zu suchen. Verantwortlich, ob es ein Erfolg wird, ist zu 90 Prozent der Produzent. In vielen Fällen läuft das in Personalunion.

SZ: Wie betreut man einen Star?

Siegel: Ich habe 14 Jahre lang Peter Alexander betreut. Damit habe ich die Aufgabe, das ganze Jahr über acht bis zehn phantastische Lieder zu suchen, die genau auf ihn passen. Entscheidend ist zu schauen, was sein Publikum ist und was seine Stärken und Schwächen sind. Also haben wir gemacht: "Der Papa wird`s schon richten", "Steck dir deine Sorgen an den Hut", "Die kleine Kneipe".

Für eine 17-Jährige wie die kleine Nicole sucht man natürlich etwas anderes. Die Persönlichkeit ist entscheidend. Nehmen wir Katja Ebstein. Sie war, als sie zu mir kam, schon eine reife Frau, die schon verheiratet war und schon mehrere Hits und ihre ganz eigenen Vorstellungen hatte. Wir haben dann "Theater" und "Dann heirate doch dein Büro" gemacht.

Ganz anders als bei Chris Roberts, wo man wusste, dass die Mädels irgendetwas Nettes hören wollen. Wir machten "Du kannst nicht immer 17 sein" und "Ich mach ein glückliches Mädchen aus dir" oder "Do you speak english".

"Ich verdiene seit Jahren kein Geld mehr"

SZ: Solche Songs entstehen doch nicht in einer Nacht?

Siegel: Nein, es ist wie beim Grand Prix. Ich habe immer 50, 60 Ideen entwickelt und schränke das dann immer mehr ein bei der Arbeit. Man merkt mit ein wenig Abstand, was doch nicht so gut ist. Und dann kristallisieren sich vielleicht ein oder zwei Lieder heraus, bei denen man sagt: "Hey, das wird immer besser."

SZ: Was muss man tun, um von Ralph Siegel produziert zu werden?

Siegel: Man kann mir ein Bild und ein Band schicken und einen Brief dazu schreiben. Ich lese meistens schon heraus, ob professionelles Denken, also gewollte Zukunft, dahinter steckt, oder ob einer meint: "Da singe ich mal ein Lied, dann ist meine Familie stolz und wir werden reich." Wenn jemand kommt, interessiert mich zunächst, welche Persönlichkeit er hat. Und: Sieht er gut aus oder nicht.

SZ: Letzteres ist ein K.O.-Kriterium?

Siegel: Nicht unbedingt. Wenn er nicht gut aussieht, ist das nicht schlimm. Er braucht aber eine sehr stake Persönlichkeit. Natürlich ist die Stimme wichtig. Sie sollte nicht nur gut sein, sondern eine Eigencharakteristik haben. Das beste Beispiel; Adriano Celentano, da weiß man sofort, das ist Celentano. Karel Gott erkennst du beim ersten Ton, Peter Alexander, Peter Maffay genauso.

SZ: Was halten Sie von Castings wie "Deutschland sucht den Superstar"?

Siegel: Ich ärgere mich immer wieder, wenn diese Leute nicht gut behandelt werden. Sie sind nämlich teilweise sehr, sehr gut. Von den letzten zehn, die Dieter Bohlen herausgefunden hat, würde ich mindestens drei Leute gerne machen.

SZ: Warum kommen die nicht ganz nach oben?

Siegel: Die kriegen nicht genügend Chancen von der Industrie. Das liegt wiederum an den Medien, die sie als Verlierer abstempeln anstatt zu sagen: "Mensch, das ist doch toll, wie weit du gekommen bist." In Amerika und England ist das völlig anders: Die ganzen Casting-Gewinner sind heute die großen Stars. Bei uns sagt man abschätzig: "Das ist doch nur irgendeiner von den Superstars." Man tut den Leuten, die sich unter Zehntausend nach vorne singen, einfach unrecht.

"Ich verdiene seit Jahren kein Geld mehr"

SZ: Was bräuchten sie für Unterstützung?

Siegel: Die Rundfunklandschaft ist für die deutschen Interpreten eine Katastrophe. Wenn jemand von DSDS kommt, braucht man das den Radioleuten gar nicht schicken, weil sie es nicht spielen. Man fördert hier in diesem Land die Talente nicht genug.

SZ:Hat Claudia Korek zum Beispiel das Zeug zum nationalen Star?

Siegel: Ein ganz super Mädchen, mir gefällt sie unheimlich gut. Ob sie es schafft, weiß ich nicht. Ich glaube, die Nummer 47 aus Australien hat es bei uns leichter als unsere Nachwuchskünstler.

SZ: Im Radio scheint die Vielfalt auch abgenommen zu haben.

Siegel: Der Bayerische Rundfunk hatte früher 35 000 Songs im Repertoire, jetzt sind es noch 3000. Wenn man dann nachfragt, heißt es: "Die Antenne Bayern macht es uns vor." Ich sage: "Halt, was soll das?" Ich hoffe, das läuft sich irgendwann tot.

In Italien hört man 80 Prozent italienische Songs und in Frankreich ist es ähnlich. Die Engländer haben sogar schon eine Petition eingereicht, dass nicht so viel amerikanische Musik in ihren Sendern läuft, weil ihre eigenen Autoren darunter leiden. Sie sind leider nicht durchgekommen.

"Ich verdiene seit Jahren kein Geld mehr"

SZ: Angeblich schlafen Sie nur vier Stunden pro Nacht.

Siegel: Ich gehe nicht vor 2 Uhr ins Bett, um Halbsieben stehe ich wieder auf. Das reicht mir. Alle drei Wochen mache ich dann mal einen Sonntag, an dem ich nur relaxe. Bei uns gibt es keine 36-Stunden-Woche. Da hab ich mich schon totgelacht - was mach ich denn am Donnerstag? Früher habe ich 18 Stunden am Tag gearbeitet, jetzt sind es noch 12. Das ist halt mein Beruf.

SZ: Sie können nicht anders?

Siegel: Doch. Aber es macht mir Spaß und macht mich glücklich. Wenn ich aufhören würde zu arbeiten, würde ich wohl ziemlich bald eingehen.

SZ: Spielt Geld noch eine große Rolle?

Siegel: Ich verdiene seit Jahren kein Geld mehr, denn es kostet alles sehr viel und die Umsätze sind nicht mehr groß genug. Ich kann zum Glück gut von dem leben, was ich die letzten 40 Jahre erarbeitet habe. Das sind ja tausende von Werken. Das, was ich heute mache, kostet Geld. Ich mache es aus Spaß und hoffe, dass irgendwann wieder etwas toll funktioniert. Vielleicht auch beim Grand Prix.

SZ: Im Parfum destilliert der Antiheld einen Duft, der die Menschen in einen Rausch versetzt, sie letztlich in den Wahnsinn treibt. Ist so etwas bei einem Song denkbar?

Siegel: Rausch ja. So etwas kann nur aus einer Emotion heraus passieren, die alle nachvollziehen können. Das beste Beispiel ist "Candle in the wind". Der Song war vor Dianas Tod nur ein netter Song, der ganz gut lief. Und dann schaut die Welt zu, wie der gute Elton John bei Dianas Beerdigung den Song spielt. Dieses Lied berührt in diesem Moment alle. Es wurde dadurch ein großes Lied für alle Zeiten.

Es ist also schon eine Frage, wie ein Lied konsumiert wird. So war es auch bei der Eurovision. 600 Millionen Menschen haben dieses Mädchen mit der weißen Gitarre gesehen und ihrem Lied "Ein bisschen Frieden gelauscht." Das war pure Emotion.

Das Interview ist in der März-Ausgabe des Kulturmagazins "Leonart" erschienen.

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