Radverkehr:"Wir müssen Autofahrern Raum wegnehmen"

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Münchens grüner Bürgermeister Hep Monatzeder fordert eine Wende in der Verkehrspolitik: Den Radfahrern soll die Zukunft gehören.

J. Bielicki und M. Ruhland

Süddeutsche Zeitung: Wann sind Sie zum letzten Mal an der Lindwurmstraße Rad gefahren?

Radverkehr in München: "Ein Gesamtkonzept war bisher nicht zu erkennen." (Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Monatzeder: Das ist lange her, ich glaube im Sommer letzten Jahres.

SZ: Hatten Sie Angst um Ihre Gesundheit?

Monatzeder: Angst nicht, aber ich kenne natürlich die schwierige Situation für Fußgänger und Radfahrer, die dort zu wenig Platz haben. Andererseits ist die Lindwurmstraße, eine Ausfallstraße. Es geht also auch um die grundsätzliche Frage, wie ich Verkehr leite. Dazu soll es im Mai im Stadtrat einen "Grundsatzbeschluss Radverkehr" geben. Es macht ja keinen Sinn, immer nur Teilaspekte zu lösen. Wir brauchen eine integrierte Gesamtlösung.

SZ: Vieles ist Stückwerk in München: Ob Rosenheimer Straße, ob Einstein- oder Orleansstraße - in Teilstücken gibt es Radwege, dann muss der Radler oft unter Gefahr für Leib und Leben wieder auf die Straße einfädeln. Ein Gesamtkonzept war bisher nicht zu erkennen.

Monatzeder: Wie gesagt, daran arbeitet die Verwaltung. Was wir bislang im Radverkehr gemacht haben, waren die einfacheren Unternehmungen. Jetzt geht es darum, die dicken Bretter zu bohren.

SZ: In den vergangenen 12 Monaten wurden mehrere Radfahrer getötet, die Fahrradwege vorschriftsmäßig benutzten. Sie wurden schlichtweg von Lastwagen- oder Autofahrern übersehen.

Monatzeder: Besonders rechtsabbiegende LKWś sind für Radler gefährlich. Mit Hilfe des "Knotenpunktprogramms" wollen wir in sensiblen Kreuzungsbereichen noch mehr Sicherheit für Fahrradfahrer erreichen. Am Sendlinger-Tor-Platz ist uns das schon gut gelungen.

SZ: Sie meinen die rot abmarkierte Radlerfurt?

Monatzeder: Ja, und die größeren Aufstellbereiche. Das Gleiche gilt für die Rosenheimer Straße...

SZ: ... auf der der Fahrradfahrer zwischen Orleansstraße und Rosenheimer Platz gar keine eigene Spur hat.

Monatzeder: Das ist in der Tat eine der wichtigsten Überlegungen: Wie verteile ich den Straßenraum "gerecht" zwischen den verschiedenen Verkehrsteilnehmern. Gerade im Hinblick auf den Feinstaub und die Klimaerwärmung müssen wir uns noch viel stärker auf den Umweltverbund, also die öffentlichen Verkehrsmitteln, Radfahrer und Fußgänger konzentrieren.

SZ: Mit anderen Worten: Jetzt muss man dem Autoverkehr auch Platz wegnehmen.

Monatzeder: Genau. Autofahrer müssen auf Raum verzichten, um den Radfahrern zu ermöglichen, dort zu fahren, z.B. auf eigenen Spuren für den Radverkehr.

SZ: Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub setzt sich für Mischverkehr ein, weil es die sichere Variante ist. Radler rauf auf die Straße, dann werden sie auch wahrgenommen.

Monatzeder: Es ist aber nicht einfach damit getan, Schilder wegzunehmen und die Pflicht, auf den Radwegen zu fahren, aufzuheben. Wir müssen auch oft bauliche Maßnahmen ergreifen, um den Radverkehr auf der Straße zu führen. Ich bin dem ADFC sehr dankbar für die guten Vorschläge. Ich gebe zu, dass manches nicht in der Eile passiert, wie sich das die Radler vorstellen.

SZ: Mit Verlaub: Rot-Grün ist seit 19 Jahren in München an der Macht. Ein Radverkehrsanteil von zehn Prozent ist zwar ein kleiner Erfolg. Andere Großstädte sind da aber weiß Gott weiter: Kopenhagen kommt zum Beispiel auf 33 Prozent. Warum ist so wenig passiert.

Monatzeder: Auf die zehn Prozent berufen wir uns seit 7 Jahren. Ich bin der Überzeugung, dass die Zahlen inzwischen wesentlich höher liegen. In der Altstadt hat der Radverkehr enorm zugenommen, gleichzeitig hat sich der motorisierte Individualverkehr hier verringert. Für mich ist Kopenhagen auch das Vorbild, weil die Stadt unglaublich viel speziell für den Radverkehr tut.

SZ: Warum sind uns die Dänen so weit voraus?

Monatzeder: Sie haben offensichtlich auch eine andere Mentalität. Bei uns denken die Menschen sehr stark in "Streifen": der Autofahrer, der Radler, der Fußgänger - jeder verteidigt seinen Bereich, deshalb auch die häufigen Konflikte. In Kopenhagen läuft alles auf der gleichen Spur und man nimmt gegenseitig Rücksicht. Schauen Sie doch mal in den Bereich vom Oberanger bis zur Feldherrnhalle an: zu viele Radler düsen da leider immer noch durch. Konflikte mit Fußgängern sind die Folge.

SZ: Auf der Autobahn gibt es leider auch immer eine Gruppe von Rasern. Deshalb sollte man nicht alle Autofahrer respektive Radler diskreditieren. Es geht doch darum. Wenn München sein nächstes Ziel von 15 Prozent Radfahranteil erreichen will, muss man den Radfahrern Raum geben und nicht auf Kosten der Fußgänger. Warum nicht ein Zeichen setzen und eine Parkspur aufgeben?

Monatzeder: Das ist der richtige Ansatz, aber gleichzeitig auch eine eminent politische Entscheidung. Ich brauche die Parteien nicht aufzuführen, die als erste aufjaulen werden, wenn es darum geht, den Autos Parkplätze zu nehmen.

SZ: Sie sind aber in der Verantwortung.

Monatzeder: Richtig. Und die nehme ich auch wahr. Ich bin aber leider nur der 3. Bürgermeister...

SZ: Es gibt die Umweltzone als nicht ganz freiwillige Reaktion auf die Feinstaubproblematik, es gibt den Konvent der Bürgermeister, bei dem sich München zur drastischen Einsparung von CO2 verpflichtet hat. Radeln ist Klimaschutz pur. Es geht insofern um einen Paradigmenwechsel.

Monatzeder: Diesen Paradigmenwechsel muss es geben. Zum Teil vollziehen wir ihn auch bereits. Ganz konkret bei der Neuverteilung von Verkehrsflächen und der Bereitstellung der Infrastruktur für die Radfahrer.

SZ: Die bisherige "Radverkehrspauschale" beträgt 1,5 Millionen Euro im Jahr. Sie soll jetzt auf 4,5 Millionen aufgestockt werden. Das ist immerhin ein Zeichen. Aber mal ehrlich: Die Tunnelprojekte kosten der Stadt hunderte Millionen Euro. Wenn Sie auch nur die Hälfte davon für Radverkehrsinfrastruktur geben würden, würde München plötzlich ganz vorne stehen in der Skala der radfreundlichen Städte.

Monatzeder: Die 4,5 Millionen sind nur für die reine Fahrradinfrastruktur da. Wenn wir beispielsweise einen Tunnel bauen, dann läuft der Radverkehr automatisch mit, ohne dass die Kosten extra herausgerechnet werden. Man kann aber in der Tat einmal die Rechnung aufmachen - und das tut meine Fraktion auch - wie viel Geld für den motorisierten Individualverkehr ausgegeben wird und da nimmt sich der Radverkehr in der Relation bescheiden aus.

SZ: Laut dem Fahrradbericht der Bundesregierung 2007 liegen 50 Prozent der Autofahrten in Ballungsräumen im Bereich der Kurzstrecke von bis zu 5 Kilometern. Das Rad ist genau bei diesen Strecken das überlegene Verkehrsmittel. In den Niederlanden nutzen die Menschen für 27 Prozent aller Wege das Rad. In Deutschland sind es gerade einmal 9 Prozent. Das müsste den Ehrgeiz von Rot-Grün doch beflügeln.

Monatzeder: Das Fahrrad muss ein ganz anderes Image bekommen und auch eine ganz andere Bewertung gerade in diesem Radius von fünf Kilometern. Die Gesundheitswelle leistet ebenfalls einen Beitrag dazu, dass das Fahrrad wieder beliebter wird. Wir machen demnächst genau in diese Richtung Werbung: Du bist im Radius von fünf Kilometern unschlagbar schnell, du machst etwas für die Umwelt und du hältst dich selbst fit.

SZ: Schön, nur müsste die Stadt den Radlern auch mal sichere und komfortable Stellplätze anbieten. In Bremen gibt es inzwischen zwei Radstationen für weit mehr als 1000 Räder, Tokio hat unterirdische Fahrradgaragen gebaut, das Einchecken geht so leicht, wie einen Schokoriegel am Snackautomaten zu ziehen. In München gibt es nichts dergleichen. Warum?

Monatzeder: Es gibt in München 25 000 Stellplätze, auch überdachte ...

SZ: ... aber kein einziges Fahrradparkhaus.

Monatzeder: Seit ich Bürgermeister bin, setze ich mich für das Radlparkhaus am Hauptbahnhof ein.

SZ: Die 300 000-Einwohner-Stadt Utrecht bietet am Bahnhof allein 22 000 Stellplätze für Radler an. In Amsterdam bietet ein vierstöckiges Parkhaus am Bahnhof Platz für 7000 Räder. In München: nur Chaos und Ärger. Da hat auch die Stadt versagt.

Monatzeder: Das ist so nicht richtig. Wir haben jahrelang Gelder in den Haushalt eingestellt, aber die Bahn kommt nicht in die Gänge. Solange sie nicht weiß, wie die Umgestaltung des Hauptbahnhofes ausschaut, kommen wir bei dem Projekt nicht weiter. Das ist schade.

SZ: Die Stadt könnte aber selbst an anderer Stelle aktiv werden. Monatzeder: Wir haben tatsächlich zu wenig Stellplätze für Fahrräder in der Stadt gerade auch für Kurzparker. Dort wo ein Auto parkt, bringe ich mindestens sechs Radl unter. Um einen Parkplatz für Räder freizumachen, brauche ich aber die Mehrheit des Münchner Stadrates.

SZ: Rot-Grün hat doch die Mehrheit.

Monatzeder: Der große Partner sperrt sich aber oft. Beispielsweise bei der Sendlinger Straße. Wir wollten sie schon lange zur Fußgängerzone machen und Parkplätze für Radler schaffen.

SZ: Was ist so schwer daran, bei Baugenehmigungen nicht nur Stellplätze für Autos zu verlangen, sondern auch überdachte, sichere Garagen für Räder?

Monatzeder: Mein Wunsch wäre, dass sich in der Bayerischen Bauordnung etwas ändert. Wer eine Wohnung baut, muss Auto-Stellplätze nachweisen. Kein Bauherr muss heute Stellplätze für Fahrräder nachweisen. Man müsste über die Bauordnung auch Unternehmen dazu zwingen können, solche Parkplätze zur Verfügung zu stellen. Wir versuchen über das Mobilitätsmanagement derzeit, entsprechend auf Unternehmen einzuwirken.

SZ: Auf dem Marienhof ist die Stadt auf niemanden angewiesen.

Monatzeder: Dort haben wir doch auch eine Menge Radlständer hingebaut. Die Grünen werden auch einen Antrag zum Tal stellen, damit die Straße fußgänger- und radlerfreundlicher wird. Die Konzepte gibt es ja schon länger, es hapert aber bei der Beschlussfassung des Stadtrats.

SZ: Beim letzten Fahrradklimatest des ADFC im Jahr 2005, bei dem zwanzigtausend Fragebögen ausgewertet wurden, landete München auf Platz 11, den gleichen wie 1991, nachdem es zwischenzeitlich auf den 17. Platz abgerutscht war. Das sind nicht gerade große Erfolgsmeldungen.

Monatzeder: Ich bitte doch darum, nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Wir haben pro Tag 450 000 Einpendler in München, so viele Einwohner haben die Städte, die im ADFC-Test vor uns liegen, nicht einmal. Ich möchte mich aber durchaus mit skandinavischen Großstädten messen können, die vorbildlich sind. Dafür brauche ich aber politische Mehrheiten.

SZ: Eine simple, aber effektive Methode ist es, Einbahnstraßen für Radler zu öffnen. In München sind gerade einmal 160 von 750 geöffnet worden, andere Städte sind da wesentlich weiter. Warum dauert es solange?

Monatzeder: Richtig. Man muss aber auch sehen, dass wir bis vor fünf Jahren trotz Diskussion überhaupt keine geöffnet hatten. Die Polizei befürchtete einen Toten nach dem anderen...

SZ: ... die es aber nie gab.

Monatzeder: Es gab keinen einzigen schweren Unfall. Nach Pilotversuchen ging es plötzlich sehr schnell. Jetzt ist die Bereitschaft da, und wir haben schon wieder 26 Einbahnstraßen in der Pipeline, die uns der ADFC vorgeschlagen hat. Sie müssen natürlich vom Platz her geeignet sein und in die Quartiers-Erschließung passen. Wir haben inzwischen zudem 16 Fahrradstraßen, in denen Radler Vorrang haben.

SZ: Der Frühling kommt schleppend, Eis und Schnee auf den Geh- und Radwegen sind endlich geschmolzen. Kümmert sich die Stadt in Zukunft besser darum, dass im Winter nicht nur Autos vorankommen?

Monatzeder: Innerhalb des Mittleren Rings wird geräumt, außerhalb muss in der Regel jeder Grundstücksbesitzer selbst dafür Sorge tragen. Auf Salzstreuung auf Geh- und Radwegen haben wir wegen der Bäume und der Hunde verzichtet. Wir streuen also nur Split. Das Problem lässt sich leider nicht für alle zufriedenstellend lösen.

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