Demonstration in München:Fahrräder, fröhliche Menschen - und kein Stau

Demonstration in München: Die zentrale Kundgebung fand am Königsplatz statt.

Die zentrale Kundgebung fand am Königsplatz statt.

(Foto: Tom Soyer)
  • Etwa 12 000 bis 15 000 Menschen nahmen am Sonntag in München an einer Demonstration für eine bessere Infrastruktur für Radfahrer teil.
  • Die Initiatoren eines Radentscheids sammeln im Moment Unterschriften für eine Priorisierung für den Radverkehr.
  • Mit einem zweiten Begehren fordern sie einen Ringschluss für einen Altstadt-Radlring.

Von Tom Soyer

Der Anteil des Fahrradverkehrs am Münchner Gesamtverkehr liegt bei 18 Prozent nach jüngsten Erhebungen - der Anteil vernünftiger, sicherer Radwegeverbindungen in der Stadt hingegen gefühlt höchstens bei acht Prozent. Da hilft nur eine neue Erhebung - und zwar die der Radfahrer per Großdemonstration. Geschätzte 12 000 bis 15 000 Radler folgen deshalb am Sonntagnachmittag einem Aufruf zur Sternfahrt an den Königsplatz mit anschließender Altstadtring-Ehrenrunde. Wobei: 12 000 erfasst als Zahl gar nicht, was das für eine Bewegung ergibt. So viel jedenfalls, dass die rollende Kundgebung für eine ganze Weile den kompletten Altstadtring für sich hat. Überall Fahrräder statt Autos, überall fröhliche Menschen - und kein Stau.

Das gefällt Vielen, aber nicht allen. Denn vor allem während der Altstadtring-Runde bildet sich hinter manchem Polizisten an den Einmündungen eben doch ein Stau, ein großer Auto-Rückstau. Pech hat, wer in einer Einbahnstraße zur Schleißheimer Straße gefahren ist, im Angesicht der Polizei kann man nun kaum anders, als sehr geduldig abzuwarten. Und auch jene Dame, die an der Ampel beim Siegestor seufzt, sie habe "jetzt schon fünf Mal Grün gehabt", aber die Ludwigstraße immer noch nicht queren können, durfte wohl noch eine Weile weiterseufzen: Das war gerade erst der Beginn des gewaltigen Radl-Wurms durch die Innenstadt.

Ausgesprochen gut ist die Stimmung schon draußen an den Startpunkten für die Sternfahrt zum Königsplatz. Da kommen Senioren mit Kleinen auf ihrem "Puky"-Kinderfahrrad an der Studentenstadt ins Ratschen, große Familienpulks sind dabei, mittelalte Rennrad-Freaks tauschen sich übers neue Retro-Bike oder das wieder vom Speicher geholte 70er-Jahre-Modell des Vaters aus, und fleißige Fahrrad-Club-Vertreter mit gelben Warnwesten sammeln Unterschriften für zwei Münchner Radbegehren: Das eine, welches allgemein eine Priorisierung für den Radverkehr und deutlich bessere Bedingungen dafür fordert, und das zweite Begehren, das aus rechtlichen Gründen separat gemacht werden muss und das den Ringschluss für einen Altstadt-Radlring fordert.

Für beide Begehren läuft derzeit die Eintragungsfrist, damit sie überhaupt zugelassen werden, und zumindest an diesem Sonntag läuft es ausgezeichnet für die Initiatoren. Das breite Bündnis aus Allgemeinem Deutschen Fahrrad-Club (ADFC), Grünen, ÖDP, Linke, Bund Naturschutz, Green City und etlichen weiteren Unterstützer, darunter die "Fridays for future"-Kampagne, muss bei der Kundgebung nicht groß werben - die Fahrrad-Gelbwesten sind gesucht und erleben einen richtigen Run.

Eintragen können sich nur Münchner, sehr zur Enttäuschung der vielen Rosenheimer, Fürstenfeldbrucker, Dachauer und Freisinger, die mitradeln, teils in ADFC-Kluft, teils sogar mit Sternfahrt-Fahnen. Dafür sind alle begeistert vom herrlichen Frühlingswetter im April, sie werten das als freundliches Zeichen des Himmels für ihre Mission.

Am Königsplatz, wo die Sternfahrten von Schloss Nymphenburg, vom Ostbahnhof, von der Studentenstadt und vom Westpark her enden, finden gar nicht alle Demo-Teilnehmer Platz. Von der Bühne vor den Propyläen schwärmen der Münchner ADFC-Vorsitzende Andreas Groh und andere Redner, was für ein herrliches Bild sie da vor sich haben: "Radler, so weit das Auge reicht, bis zum Obelisken" - in der Tat weitet sich die Veranstaltung bis zum Karolinenplatz aus, weil der Platz nicht reicht.

Radsternfahrt, Startpunkt vor Schloss Nymphenburg

Vor Schloss Nymphenburg war ein Startpunkt für die große Radsternfahrt am Sonntag.

(Foto: Florian Peljak)

Die Schätzung der Teilnehmerzahl wächst mit der Begeisterung: Mit 5000 hatten die Organisatoren vom ADFC gerechnet, anfangs ist mal von "8000" die Rede, später - und immer noch während der Kundgebung auf dem Königsplatz - von "12 000", und zwar nach Veranstalterangaben auch so von der Polizei bestätigt. Später, während die endlose Radler-Schlange auf dem Altstadtring kreist, ist sich dann sogar die Polizei nicht mehr sicher, ob es nicht auch "15 000" sein könnten. Das sei jetzt irgendwie nicht mehr gut abzuschätzen, heißt es aus dem Polizeipräsidium, wo erste Fantasien aufkeimen, was denn wäre, wenn die Altstadtring-Karawane nun einfach nicht mehr aufhörte.

Für den Ringschluss der Radlerinnen und Radler auf dem Altstadtring hätten 5000 Radler schon ausgereicht, immer drei nebeneinander gerechnet. Klar, mit 12 000 oder 15 000 Radlern gelingt dann eben die perfekte Umarmung der Stadt.

Wer es währenddessen mit dem Auto probieren will, scheitert grandios. Die klingelnde, winkende, lachende Masse der Menschen auf Rädern genießt den ausnahmsweise gewährten Vorrang. Und lächelt die Starnberger SUV-Fahrerin in der Schwabinger Wilhelmstraße wahrscheinlich deshalb besonders freundlich an, weil sich über diese Spezies vorher auf dem Königsplatz Hans Well und seine "Wellbappn" gerade lustig gemacht haben. Dass bei der angeblichen "Radlhauptstadt" München "der Wurm drin" ist, singen die Well-Musikanten und empfehlen der Stadt als Lösung: "Radl auf d'Straß und Autos aufm Radlstreifen!"

Da ist der Wurm drin, und der muss raus - "und schaut wia da Andreas Scheuer aus". Zusammen mit der Unterbiberger Hofmusik unter Franz Himpsl pumpen sie die Menschenmenge voll beste Laune, preisen die Veranstaltung als "Sunday for future" und spotten auf den Bundesverkehrsminister, der Dieselautos noch schone, obwohl die "net amal mehr gstohlen" würden.

Das Ende von "Kleinstmaßnahmen" und "Pilotprojekten", dafür eine echte Verkehrswende für Radfahrer fordert schließlich Grünen-Stadträtin Katrin Habenschaden in München. "Wir sind ein Teil der Lösung für eine umweltfreundliche, schadstoffarme Politik!", ruft sie der Menge energisch zu. "Glück kann man sich nicht kaufen - aber ein Radl kann man sich kaufen, und damit ist man schon ganz nah dran." Wenn München mehr für Radler tut.

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