Tarek Rasouli weiß noch genau, wie sich der Tabletop anfühlt. Mit dem Mountainbike abzuheben, an Höhe zu gewinnen, das Rad kurz in die Horizontale zu klappen und danach zu landen, im Idealfall weich. Und das, obwohl sein letzter Sprung nun fast 18 Jahre her ist. Damals, im Sommer 2002, landet er nicht weich, sondern auf seinen Füßen. Bei einem Probesprung für einen Videodreh verschätzt er sich, springt zu hoch und zu weit, er stürzt aus einer Höhe von sechs Metern. Der unterste Lendenwirbel verkraftet den Aufprall nicht, er bricht.
Der Unfall versetzt Tarek Rasouli in den Rollstuhl. Seine Liebe zum Sport mindert er nicht, im Gegenteil. "Da stecken für mich immer noch unendlich viele Emotionen drin", sagt der Münchner im Videotelefonat. "Wenn ich meinen Sportlern zusehe, dann ist es ein bisschen so, als wäre ich selbst auf dem Bike. Ich kann mir die Momente von früher zurückholen."
Momente zum Zurückholen dürfte es einige geben. Als Jugendlicher gewinnt Rasouli die deutschen Meisterschaften im BMX, darauf folgen Weltcup-Teilnahmen und ein vierter Platz bei den Weltmeisterschaften 1992. Er steigt aufs Mountainbike um, es folgen Aufträge von Herstellern, deren Räder er vor der Kamera und auf Shows fährt. Sein Talent - und die vielen Titelseiten, auf denen er schon erschienen ist - führen dazu, dass er als erster Europäer in eine prominente nordamerikanische Gruppe von Freeridern aufgenommen wird, die für ihre besonders gewagten Abfahrten, Sprünge und Stunts bekannt ist. "Danach ist es schon häufiger vorgekommen, dass man auf Events um ein Autogramm gebeten wurde."
Wenn man so will, ist Tarek Rasouli bereits Influencer, noch bevor der Begriff für Reichweitenstärke in den Sozialen Netzwerken steht. Doch dann kommt der Sturz, die Karriere findet ein abruptes Ende: "Ich war 27, als der Unfall passierte, und hatte fast nichts - bis auf mein Netzwerk."
Tarek Rasouli, heute nicht mehr 27, sondern 45, möchte aber gar nicht ausschließlich von sich und seiner Geschichte sprechen. Viel lieber will er erzählen von dem Unternehmen, das aus seinem Netzwerk entstanden ist, und durch dessen Räume er seinen beweglichen Schreibtisch im Laufe des Videotelefonats noch fahren wird, um Büros, Konferenzzimmer und freundlich winkende Mitarbeiter zu zeigen. "Nach dem Unfall habe ich mich als Freelancer durchgeschlagen und für das Magazin Bike geschrieben. Dann habe ich ein Event organisiert. Das ist wirklich gut gelaufen, es kamen weitere Anfragen, und mir wurde klar: Ich muss eine Agentur gründen, am besten gemeinsam mit jemandem, der auch die kaufmännische Seite versteht."

Rasouli findet eine Mitgründerin, der Plan geht auf. "Wir haben uns eine eigene Nische geschaffen. Unser Netzwerk ist weiterhin eine unserer größten Stärken. Wenn wir morgen einen Videodreh in Neuseeland organisieren müssten, wüsste ich heute schon, wen ich dafür anrufen würde."
In diesem Jahr feiert Rasoulution, die Agentur, ihr 15-jähriges Bestehen. Die Mitgründerin ist heute nicht mehr dabei, dafür Rasoulis Schwester Nathalie Tanos. Als stellvertretende Geschäftsführerin leitet sie den Eventbereich. Vor allem im Tagesgeschehen sei sie es, "die den Laden am Laufen hält", sagt Rasouli.
Wenn die Welt nicht gerade wegen einer Pandemie den Atem anhält, organisieren sie und ihre zwölf Mitarbeiter von Schwabing aus internationale Radsport-Events, machen Pressearbeit für Weltcups und Weltmeisterschaften, organisieren Foto- und Videoproduktionen und betreuen Athleten - Sportler, die es Tarek Rasouli erlauben, sich dem Sport immer noch so nahe zu fühlen. Etwa der österreichische Trial- und Downhillfahrer Fabio Wibmer, der schottische Trial-Profi Danny MacAskill, oder der Freerider und Slopestyler Erik Fedko aus Fröndenberg: Rasouli berät sie, begleitet sie zu Events, handelt Verträge mit Sponsoren und Partnern für sie aus. Die Saisonunterbrechung steckten sie bislang "eigentlich ganz gut" weg - oder nutzten sie, um ihr Home-Office auf den Kopf zu stellen.
Aus jenem hat unlängst einer dieser Athleten ein nicht ganz ernst gemeintes und dafür umso aufwendiger produziertes Video ins Internet gestellt. Schreibtisch und Laptop kommen darin nicht vor, dafür aber viele Sprünge mit dem Rad - die Treppe runter, vom Dach in einen Baum, von der Terrasse in den Pool oder auf eine im Wohnzimmer platzierte Waschmaschine. Rasoulis Agentur unterstützte die Organisation des Drehs. Dass das Video innerhalb weniger Tage mehrere Millionen Views auf den einschlägigen Social-Media-Plattformen sammelte, bereitet Rasouli auch heute noch Freude: "Das war ein Wahnsinnsprojekt, es freut mich wirklich sehr, dass das Video so abgegangen ist." Je mehr Wahrnehmung die Bike-Szene erfahre, desto besser, findet er. "Das ist so ein hammergeiler Sport, der die Leute extrem unterhält. Uns ist viel daran gelegen, diesen Sport zu kommunizieren, so hochwertig, wie er es verdient hat, und ihn so in die Medien und in die Öffentlichkeit zu tragen."

Diese Öffentlichkeit entsteht, nicht nur in diesen veranstaltungs- und wettkampflosen Tagen, auch immer stärker im Digitalen. Kein Sportler, der nicht wenigstens ein paar Zehntausend Follower hat, im Fall von MacAskill und Wibmer sind es mehrere Millionen. Sie sind nicht nur Sportler, sie sind auch Influencer - dem heutigen Sinne des Wortes entsprechend. Die Hochglanzvideoproduktionen sind Teil ihres Jobs. Für einige sind sie sogar wichtiger als das Abschneiden bei Wettkämpfen. "Es gibt Sportler, die werden für ihre sportlichen Erfolge entlohnt. Aber gerade bei Athleten mit großen Kanälen geht es den Sponsoren auch oft darum, dass sie ihre Reichweiten nutzen und Inhalte veröffentlichen, die Marken in den Vordergrund stellen", sagt Rasouli. Völlig neu sei die Dynamik allerdings nicht: "Das war damals auch schon so. Da ging es dann halt darum, auf wie vielen Titelblättern man schon aufgetaucht ist, in welchen Filmen man mitgemacht hat. Wenn der eigene Name irgendwo im Abspann auftauchte, wurde man über Nacht zum Star." Auch heute noch freue er sich "wie an Weihnachten", wenn er einen seiner Athleten auf dem Cover eines Magazins unterbringe. "Aber klar, ein Großteil unserer Arbeit beschäftigt sich heute eher mit digitalen Plattformen."
Im Falle seiner Agentur führe das auch dazu, dass sie von Veranstaltungsverboten nicht ganz so hart getroffen ist. "Natürlich spüren auch wir die Auswirkungen der Krise, uns ist unter anderem der Red Bull District Ride in Nürnberg weggefallen, ein Event mit knapp 80 000 Zuschauern, bei dem wir die sportliche Leitung übernommen hätten. Andere Veranstaltungen sind in den Spätsommer verschoben worden - aber ansonsten können wir uns nicht beklagen, wir haben wirklich gut zu tun." Was auch dazu führt, dass Tarek Rasouli derzeit viel zu selten dazu kommt, Touren auf seinem Handbike zu fahren. Ob er mal mit dem Gedanken gespielt habe, damit regelmäßig an Wettbewerben teilzunehmen? Nein, winkt Rasouli ab. "Dafür trainiere ich zu selten. Das verträgt sich einfach nicht mit meiner Arbeit." Wobei er seinen Job nicht wirklich als Arbeit verstehe. "Dafür macht es mir einfach zu viel Spaß."