Radikal Jung:Der Regisseur hält sich bedeckt

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Wütender Punk begleitet "R & J", Galyna-Mariya Pavlyik ist Julia, statt in Verona auf dem Maidan von Kiew. (Foto: RYFIAK)

Gleichnis eines Konflikts: Sashko Bramas Version von "Romeo und Julia" spielt auf dem Maidan

Von Petra Hallmayer

Manchmal, in kurzen Momenten des Glücks, vergessen sie alles, den Hass, die Gewalt, da sind sie nur jung und wahnsinnig verliebt. Doch die politischen Realitäten holen sie unerbittlich ein. In Sashko Bramas Version von Shakespeares Tragödie "R & J" verlieren Romeo und Julia ihre Herzen nicht auf einem Fest in Verona, sondern auf dem Maidan in Kiew. Eine gemeinsame Zukunft haben der junge Roman aus dem westukrainischen Lemberg und Julia aus Donezk im Donbass natürlich nicht. In zornig- punkigen Songs, zarten lyrischen Balladen und Textpassagen erzählen die Schauspielerin und Sängerin Galyna-Mariya Pavlyik und der Gitarrist Nazar Pavlyk bei "Radikal jung" die Geschichte einer unmöglichen Liebe und der modernen Ukraine. Diese "Musical Stage Performance", erklärt der Festivalleiter Kilian Engels, zeige "eine junge Generation, die gefangen ist in einem uralten Konflikt. Sie wird erdrückt und zerrieben von der Last der Geschichte ihrer Väter und Großväter."

"Donezk!/ Seit tausend Jahren versteckst du/ Das Sonnenlicht in deinem Schoß", singt Julia. "Wir sind Kinder der verlorenen Epoche/ Ohne Ziele und ohne Glauben." Für Sashko Brama dient die Vergangenheit vorwiegend als ein Propagandainstrument. "Die Medien benutzen die Geschichte, um die Menschen zu manipulieren, sowohl im Osten als auch im Westen."

Eingeleitet wird "R & J" mit einer Collage historischer Filmbilder vom Terror des sowjetischen Geheimdienstes NKWD und des nationalistischen Widerstandskampfes von Stepan Bandera, einer Symbolfigur für die Spaltung des Landes. Während er in der Westurkaine als Nationalheld verehrt wird, gilt er im Osten als Nazi-Kollaborateur und Kriegsverbrecher. Im Wechsel zwischen Russisch und Ukrainisch beschwört die Musikperformance die traumatischen Erinnerungen beider Seiten, die Massaker der Kommunisten und die Gräueltaten der Bandera-Anhänger.

Nun werden junge Zuschauer über Bandera, der auf dem Münchner Waldfriedhof begraben liegt, wohl nicht allzu viel wissen. Letztlich aber, glaubt Engels, sei "das auch nicht notwendig. Es ist ein Abend, der vor allem von seiner unbändigen Energie lebt." Streng genommen passe er ja gar nicht in ein Regietheaterfestival, doch "Radikal jung" müsse auch offen sein für performative Formexperimente. Das Gastspiel, das einen Theaterstoff in eine Konzertsituation überträgt, sei ein nicht nur inhaltlich hochaktuelles, sondern auch ästhetisch sehr spannendes Work-in-Progress-Projekt.

Echte Spielszenen gibt es keine auf der Bühne. Auf einer Leinwand sehen wir Roman und Julia auf dem Maidan und entrückt in ihre Glücksträume versunken zwischen dokumentarischen Aufnahmen von den Demonstrationen im vergangenen Jahr in Kiew. Autos gehen zu den Kommentaren einer russischen Nachrichtensprecherin in Flammen auf. Die Politik ist omnipräsent in "R & J". Umso irritierender war es für den Theater heute-Kritiker Thomas Irmer, der einen Essay zu der Aufführung im Festivalbuch verfasst hat, dass Sashko Brama auf Nachfrage klare politische Aussagen verweigerte. Tatsächlich erklärt der in Lemberg lebende Autor und Regisseur, der kein Englisch spricht und vor Festivalbeginn nur per Mail zu erreichen war, dass ihn "der politische Aspekt in ,R & J' gar nicht primär interessiert hat". Er verstehe seine Inszenierung als ein existenzielles Drama um zwei Menschen, die sich gegen die Erwartungen der Gesellschaft, die stereotypen sozialen Rollenzuweisungen auflehnen.

Als Vorzeigefigur der prowestlichen Protestbewegung mag Sashko Brama sich nicht einspannen lassen. Natürlich war er bei den Maidan-Demonstrationen dabei, einen Aktivisten aber will er sich nicht nennen. Er habe "die Ereignisse nur verfolgt".

Er kenne, betont er, die Argumente beider Seiten. "Wir erleben in der Ukraine zur Zeit den Konflikt zwischen zwei Wahrheiten. Ich weiß nicht, ob es irgendwann möglich sein wird, diese Wahrheiten miteinander zu versöhnen, ob ihre Vertreter sich eines Tages verstehen und einander vergeben werden können."

Ob man seine Performance als politisches Theater betrachte, so Brama, hänge davon ab, wie man diesen Begriff definiert. "Irgendwo", heißt es in "R & J". "muss es eine andere Welt geben. . ./ Dort wird nicht geweint/ Da trennt man sich nicht/ Es wird nicht getötet/ Dort muss man nicht schießen." In einem Land, das auf so grausame Weise von den politischen Verhältnissen beherrscht wird, in dem es Verrat gleichkommt, nicht an eine einzige Wahrheit zu glauben, ist es zweifellos ein politisches Statement, keine Partei zu ergreifen und kein Banner hochzuhalten.

© SZ vom 18.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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