Mit der rechten Hand schaltet Frank Noe einen Gang nach oben, geht kurz aus dem Sattel und tritt nun - obschon auf seiner Stirn längst die Schweißperlen glitzern - kräftiger in die Pedale. Allein das Rad wird nicht schneller, sondern bewegt sich weiter in konstantem Tempo. Und zwar, um genau zu sein: mit 0,5 Kilometer pro Stunde.
Diese Geschwindigkeit - mithin kaum schneller als ein Faultier, das auf 0,3 km/h kommt - erreicht das größte mobile Riesenrad der Welt im Münchner Werksviertel, das "Umadum". In einer seiner 27 Gondeln sitzt an diesem Vormittag Frank Noe und strampelt auf einem Fitnessrad, das in der Kabine montiert ist. Und damit ist der 45-Jährige aus Sauerlach nicht alleine: Nach ihm werden heute mehr als 800 Menschen das Riesenrad besteigen und während ihrer halbstündigen Fahrt auf Fitnessrädern in die Pedale treten. Anlass ist die Aktion "Riesenradln", die Organisator Frank Noe beim "Rekord Institut Österreich" als Weltrekord angemeldet hat, der unter dem Motto steht: "München steigt im Rad, aufs Rad, fürs Rad". Diesen Slogan, der hier allenthalben auf Plakaten und T-Shirts prangt, hat der Sauerlacher für die Aktion ersonnen, die nicht seine erste "verrückte Idee" ist, wie er das nennt. Doch dazu später mehr.
Zunächst in die allererste Gondel, die sich heute auf die Runde macht. In ihr sitzt Frank Noe auf einem von zwei Fitnessrädern, während auf dem anderen Dominik Krause (Grüne) Platz genommen hat. Münchens 2. Bürgermeister ist Schirmherr der Aktion und zieht bereits nach wenigen Minuten sein Hemd aus. "Ich habe schon 1,7 Kilometer. Und du?", fragt der 33-Jährige in Richtung Noe, der verblüfft erwidert: "Ich habe nur 1,3. Du ziehst mir davon!"
Nun sind die in der Gondel gefahrenen Kilometer zwar unerheblich fürs Tempo des Riesenrads. Und doch sind Noe, Krause und die anderen Teilnehmenden um eine möglichst große Ausbeute bemüht. Denn: Für jeden gefahrenen Kilometer - am Ende des Tages werden es 10.526 sein - spendet ein Sponsor einen Euro für "World Bicycle Relief". Diese internationale Hilfsorganisation fertigt besonders robuste Lastenräder, die sogenannten Buffalo Bikes, für Menschen in Entwicklungsregionen, vor allem in Afrika. Auf diesem Wege soll der dortigen Bevölkerung zu mehr Mobilität verholfen und dadurch Armut reduziert werden.
Frank Noe, der sich selbst als "Fahrrad-Enthusiast" bezeichnet, hat schon bei früheren Kampagnen für "World Bicycle Relief" gesammelt. Etwa bei der Aktion "Mit dem Rad ins Homeoffice", die er während der Pandemie ins Leben rief. Oder im Februar 2023, als er im Heißluftballon von Garmisch-Partenkirchen nach Italien fuhr und dabei auf einem Fitnessrad im Korb strampelte. Auch damals sprach Noe von einem Weltrekord, für den er den Slogan ersann: "die höchste, schnellste und kälteste Alpenüberquerung mit dem Fahrrad".
Nur wenige Wochen nach der Ballonfahrt sei er auf die Idee zum Radeln im Riesenrad gekommen, erzählt Noe in der Gondel, leicht außer Atem, weil bemüht, den Rückstand gegenüber Dominik Krause aufzuholen - aktuell steht es 8,6 versus 9,3 Kilometer. Er sei mit einer Bekannten in der S-Bahn gesessen, am Ostbahnhof eingefahren, und sie habe gefragt: "Welche Aktion planst du nach deiner Ballonfahrt als nächstes?" In diesem Moment, erzählt der Familienvater, sei sein Blick aufs "Umadum" gefallen - und die Idee zu "Riesenradln" war geboren.
300 Lastenräder für Afrika sollen dabei herausspringen
Bleibt die Frage nach dem Warum, die Frank Noe - immer noch strampelnd, immer noch schnaufend - in drei Teilen beantwortet. Erstens gehe es ihm um die Spenden für "World Bicycle Relief". Für die heutige Aktion habe er sich 45 000 Euro zum Ziel gesetzt, genug für 300 "Buffalo Bikes". Zweitens, so Noe, wolle er andere Menschen ermutigen und "zeigen, dass man verrückte Ideen umsetzen kann, wenn man hartnäckig dranbleibt". Und nicht zuletzt drittens: "Wenn man sieht, dass es möglich ist, an so einem außergewöhnlichen Ort Rad zu fahren, dann animiert das hoffentlich dazu, auch im Alltag häufiger das Fahrrad zu nehmen und etwas Gutes für die Umwelt und die eigene Gesundheit zu tun."
Für die meisten der gut 800 Menschen, die heute im Riesenrad in die Pedale treten, geht es indes um etwas anderes. "Um den Spaß!", sagt etwa Markus Sygulla aus Garching, "außerdem bin ich noch nie mit dem Riesenrad gefahren. Da hat sich das angeboten." Der 55-Jährige hat als einer der ersten Teilnehmer die Fahrt hinter sich gebracht und steht nun wieder vor dem "Umadum" - verschwitzt, aber glücklich. "Der Ausblick war toll", sagt er. "Es hat richtig Spaß gemacht." Zwölf Kilometer sind am Ende auf der Anzeige seines Fitnessrads aufgeleuchtet - mithin dieselbe Ausbeute, die kurz zuvor Bürgermeister Dominik Krause erzielt hat.
Mit zwei Kilometern weniger muss sich derweil Frank Noe begnügen, doch das kann seine Laune nicht trüben. "Ich bin megaglücklich, dass alles so gut funktioniert", sagt der 45-Jährige. Welche verrückte Aktion er nun plant? "Noch ist nichts konkret, aber ich habe viele Ideen", sagt Frank Noe. Und nach einer kurzen Pause fügt er grinsend hinzu: "Beispielsweise gibt es sogar Menschen, die unter Wasser radeln."