Interview:Ihrer Zeit weit voraus

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Die Münchner Künstlergruppe Radama sorgte mit einer Kunstaktion 1961 für einen Skandal - jetzt spürt eine Ausstellung im Museum Lothar Fischer ihren eigentlichen Intentionen nach. Ein Gespräch mit Museumsleiterin Pia Dornacher.

Von Sabine Reithmaier, Neumarkt

Im September 1959 gründeten der Maler und Glaskünstler Erwin Eisch, die Bildhauerin Gretel Stadler und der Bildhauer Max Strack die Künstlergruppe Radama. Das Trio, das an der Kunstakademie München studiert hat, lernte sich durch die Umtriebe der avantgardistischen Künstlergruppe Spur kennen. Eisch war dort zunächst Mitglied, Stadler unterschrieb 1958 als einzige Frau das berühmte Manifest der Gruppe. Die Bolus-Krim-Gedächtnisausstellung, die Radama 1961 in der Schwabinger Galerie Malura inszenierte, entwickelt sich zu einem Riesenskandal, als aufgedeckt wird, dass Bolus Krim eine erfundene Figur ist. Die eigentliche Intention der Gruppe ging völlig unter. Eine Ausstellung im Museum Lothar Fischer in Neumarkt in der Oberpfalz mit einem Reenactment der damaligen Schau erinnert nun an Radama. Ein Gespräch mit der Museumsleiterin Pia Dornacher über die spektakulären Kunstaktionen der Gruppe, die ihrer Zeit weit voraus war.

SZ: Was war der Grund, neben der Gruppe Spur eine neue Künstlergemeinschaft zu gründen?

Pia Dornacher: Eine herbe Enttäuschung. Galerist Otto van de Loo plante im Oktober 1959 eine Ausstellung mit der Spur, wollte aber nur Lothar Fischer, Heimrad Prem, Helmut Sturm und HP Zimmer dabei haben. Daher entschlossen sich die "doch zu Spur gehörigen, nicht aber von van de Loo akzeptierten und noch ungesammelten Leute", wie Max Strack in einem Brief an Erwin Eisch schreibt, eine eigene Gruppe zu gründen, die sich auf die Bildhauerei konzentriert.

Max Strack war doch nie Mitglied der Spur?

Die Szene kannte sich natürlich. Es gab enge Verbindungen, auch durch seine Ateliergemeinschaft mit Lothar Fischer.

Im März 1960 findet die erste Ausstellung der Neuen in der Galerie Malura statt. Hatte die Gruppe eigentlich Probleme, sich auf einen Namen zu einigen? Auf den Einladungskarten zur ersten Schau kursieren verschiedene Versionen: neben Radama auch Rama dama.

Hätte beides gepasst. 'Rama dama' als Aufräum-Parole ist in München seit 1949 bekannt. Vermutlich war aber ein schlichtes Missverständnis zwischen Galeristen und Künstlern der Grund. Strack und Eisch hatten 1959 in einem Film die romanischen Figuren des dalmatischen Bildhauers Radovan aus der Mitte des 13. Jahrhunderts gesehen und waren hingerissen. Laut Strack vergaßen sie den Namen des Künstlers wieder, wollten aber an ihn erinnern und fanden, dass Radama so ähnlich klinge.

Warum hätte Rama dama auch gepasst?

Weil beide Gruppen die Erfindung des Bolus Krim für sich beanspruchten. Für die Gruppe Spur ist das aber nicht belegbar, während Eisch schon zur Großen Kunstausstellung im Haus der Kunst 1959 sein Materialbild "Lebenselixier" unter dem Namen Bolus Krim einreicht, der erste Auftritt des fiktiven Künstlers in der Öffentlichkeit. Eisch ist es auch, der einen Lebenslauf für sein Alter Ego erfindet. Aber Bolus Krim ist nicht das einzige Pseudonym, das er benutzte. Er signierte auch mit "Däwi May".

Was war das Anliegen der Gruppe?

Sie suchte nach einer neuen Form, Kunst zu präsentieren und wollte Ausstellungen als Ereignisse gestalten. Im Zentrum steht nicht das einzelne Werk, sondern die Gruppe.

Die erste Ausstellung in der Galerie Malura war aber doch eher konventionell, was man von den folgenden nicht behaupten kann. Warum wollte die Gruppe denn im Januar 1961 gleich drei Ausstellungen innerhalb von vier Wochen veranstalten?

Die Künstler mussten an den Galeristen Oswald Malura 800 Mark Miete zahlen, ein ziemlich heftiger Betrag für die jungen Leute. Die Summe entspricht aber genau dem Betrag, den Malura selbst als Miete zahlte. Radama beschloss daraufhin, drei Ausstellungen im Wochentakt zu machen, überwiegend mit denselben Werken, aber in unterschiedlichen Inszenierungen. Die dritte geplante Schau, "Sakrale Kunst", fand aber nicht mehr statt, die Aufregung um Bolus Krim war zu groß.

Worum ging es überhaupt in der Skandal-Ausstellung?

Genau genommen hat die Gruppe hier die Klischeevorstellungen vom verkannten Genie feierlich zu Grabe getragen. Die Eröffnung war als Gedenkfeier für den angeblich mit 31 Jahren verstorbenen Maler Bolus Krim konzipiert, den vierten Mann der Gruppe Radama. Alle kamen schwarz gekleidet, die Einladungskarte hatte einen schwarzen Trauerflor, es gab brennende Kerzen und Weihrauch - für die damalige Zeit war so ein Happening sehr ungewöhnlich.

Die meisten merkten auch nicht, dass es sich um eine Kunstaktion handelt.

Es gab genügend Hinweise darauf, dass es sich um ein fiktives Spektakel handelt.

Welche?

Der giftgrüne Kranz vor der goldfarbenen Krücke, der schwarz verhängte Eingang, die ebenfalls goldfarbene Gipsstyropor-Büste des Malers, generell das völlig übertriebene Pathos, das sich auch in der achtseitigen Gedächtnisansprache ausdrückt, in der sogar die Frage aufgeworfen wird, ob Bolus Krim je gelebt hat.

Der SZ-Kritiker hegte jedenfalls keinen Zweifel an der realen Existenz des Malers. Was hat den Skandal ausgelöst?

Die Journalistin Susanne Carwin deckte in ihrem Beitrag für die Münchner Abendschau auf, dass es Bolus Krim nie gegeben hat, und unterstellte der Gruppe, sie habe die Figur nur erfunden, um die eigenen Werke besser zu verkaufen.

So ganz fern liegt der Gedanke ja nicht.

Wenn man sich den Filmbeitrag, den wir auch im Museum zeigen, heute ansieht, muss man schon schmunzeln über die inquisitorische Art ihrer Fragestellung. In einem weiteren Artikel für die Deutsche Zeitung beschimpfte sie die Künstler sogar als Nichtskönner. Jedenfalls löste sie einen ungeheuren Pressewirbel aus. Nachdem über den Skandal auch Spiegel, Stern oder Madame berichteten, interessierten sich alle Besucher nur mehr für Bolus Krim. Daher stellte Radama in der zweiten Ausstellung "Kunst und Wohnraum" seine Büste extra für die Presse nochmals auf.

Diese Ausstellung wirkt ja fast noch eigenartiger. Was sollten die Fäden, die die Künstler im Raum überall spannten?

Radama hat die Möbelstücke mit Kunstwerken verbunden, kombinierte also kunstfremde Gegenstände mit Kunst, verband sie mit Kettfäden, man könnte auch sagen Gedankenlinien.

Wollte die Gruppe die Trennung zwischen Kunst und Leben aufheben?

Kann man sagen. Sie inszenierte Kunstwerke nicht als geniale Schöpfungen, sondern als etwas, das im Alltag eingesetzt werden konnte. Beispielsweise diente eine Skulptur als Sockel für eine Schreibmaschine. Die drei haben Installationen geschaffen, auch wenn der Begriff damals noch nicht verwendet wurde. Wir haben für unsere Rekonstruktion nach passenden Möbeln gesucht, um die Räume der Galerie Malura anhand von historischen Fotos nachzuempfinden. Wenn wir nur die Werke zeigen würden, wäre nicht klargeworden, worum es Radama ging.

Grete Stadler, Max Strack, Erwin Eisch und der SZ-Journalist Willi Kinnigkeit im Jahr 1961 in der Galerie Malura. (Foto: Kurt Huhle)

Wie ging es mit der Gruppe weiter?

Radama löste sich Ende 1961 auf. Es gibt kein definiertes Ende, heftige Diskussionen ja, aber keinen Streit. Sie haben einfach alle München verlassen. Strack ging als Kunsterzieher nach Lichtenfels, hat künstlerisch nur mehr wenig gearbeitet. Gretel Stadler und Erwin Eisch haben geheiratet und sind nach Frauenau in den Bayerischen Wald gezogen. Sie zogen fünf Kinder groß, und Gretel Eisch arbeitete als Bildhauerin weiter. Erwin Eisch begründete die Internationale Studioglasbewegung, die ihn berühmt machte.

Pia Dornacher, Leiterin des Museums Lothar Fischer in Neumarkt. (Foto: Andreas Pauly)

Warum findet diese wichtige Ausstellung über eine Münchner Gruppe ausgerechnet in Neumarkt in der Oberpfalz statt?

Weil Gretel und Erwin Eisch im Jahr 2019 zahlreiche Werke, Fotos und Dokumente aus ihrer Radama-Zeit nach Verhandlungen mit diversen Museen glücklicherweise der Lothar & Christel Fischer-Stiftung geschenkt haben, verbunden mit der Auflage, sie wissenschaftlich aufzuarbeiten. Dass uns das einschließlich eines anspruchsvollen Katalogs gelungen ist, verdanken wir vor allem der engagierten wissenschaftlichen Aufarbeitung der Kunsthistorikerin Margrit Brehm. Schön war, dass wir unsere Ausstellung, die pandemiebedingt mehrmals verschoben werden musste, dann fast zeitgleich mit der Vergabe des Bayerischen Kulturpreises 2021 an Erwin und Gretel Eisch eröffnen konnten. Und jetzt folgt noch die Präsentation unseres tollen Katalogs. Darauf kann so ein kleines Haus wie das unsere schon ziemlich stolz sein.

Gruppe Radama 1959 - 1962. Erwin Eisch, Gretel Stadler, Max Strack, verlängert bis So 13. März, Museum Lothar Fischer, Neumarkt in der Oberpfalz. Katalogpräsentation und Ausstellungsführung mit Margrit Brehm und Pia Dornacher am 13.Januar, 19 Uhr.

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