LGBTQI:Hasskriminalität in München verdreifacht - Queere gehen auf die Straße

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Weil viele Betroffene keine Anzeige erstatten, gilt die Dunkelziffer bei Hass gegen queere Menschen als hoch. (Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

"Von Beleidigung bis zu Tätlichkeiten und gebrochenen Armen" berichtet die Community. Allein die Musikerin "Bi Män" erstattete nach einer Hatespeech-Welle 57 Anzeigen.

Von Andrea Schlaier

Theresa Bittermann will nicht noch mal einzelne Posts dieser gewaltigen Hasswelle zitieren, die Anfang des Jahres über sie hereingebrochen ist. "Es waren Aberhunderte Hate-Kommentare, sehr diffamierend, Androhungen von Gewalt." Die 34-Jährige ist bisexuell und setzt sich als DJ und Producer unter dem Künstlernamen Bi Män in der elektronischen Tanzmusik für mehr Gleichberechtigung ein. Vergangenes Jahr hat sie sich in einem Beitrag des Bayerischen Rundfunks fürs Gendern ausgesprochen. Ein "rechter Insta-Kanal", sagt sie, stellte später Teile davon ins Netz. "Und dann ging's los im sozialen Raum."

2023 hat sich die Zahl der registrierten Straftaten gegen queere Menschen in Bayern verdoppelt. 2022 waren es noch 96. Ein Jahr später sind es 190. Die Zahlen nennt das bayerische Innenministerium auf Anfrage der Grünen im Landtag. Beleidigungen, Drohungen, Fälle von Körperverletzung und Volksverhetzung, alles dabei. Im Bereich des Polizeipräsidiums München stieg die Zahl an Hasskriminalität von 2022 auf 2023 im Bereich von "Sexueller Orientierung" um 160 Prozent von 30 auf 77 Fälle. Bei "Geschlechtsbezogener Diversität" weist die Polizeistatistik einen Anstieg um mehr als das Dreifache aus: von 15 auf 47 Fälle.

Die queere DJ Theresa Bittermann wehrt sich gegen Hatespeech und Diskriminierung. (Foto: Andrea Schlaier)

Die Dunkelziffer gilt als hoch. Auch, weil viele Betroffene keine Anzeige erstatten. Theresa Bittermann schon. 57 an der Zahl. 41 davon verfolge die Staatsanwaltschaft weiter, sagt die Musikerin am Mittwochmittag im schwul-queeren Zentrum Sub an der Müllerstraße. Sie ist wie andere aus der Community gekommen, um aus Anlass des internationalen Tags gegen Homo-, Bi-, Trans- und Interfeindlichkeit an diesem Freitag, an dem es einen Demonstrationszug durch die Innenstadt gibt , über die Zunahme an Gewalt und Diskriminierung gegen lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche und andere queere Menschen zu sprechen.

Seit 2023 ist "Strong" die offizielle Meldestelle für Hatespeech in Bayern und an das Innenministerium gekoppelt. An diese bayerische LGBTQI-Fachstelle gegen Diskriminierung und Gewalt können sich Betroffene wie Fachkräfte wenden. Auch Theresa Bittermann, die nach der Hatespeech im Netz "gar nicht wusste, was sie dagegen machen soll", hatte bei Strong Hilfe bekommen und die "Ermunterung" Anzeige zu erstatten. "Auch wenn ich die Polizei erst überzeugen musste, dass meine Unversehrtheit bedroht wird."

Beraterin Annina E. von der Einrichtung berichtet von insgesamt 230 Fällen, die ihnen 2023 gemeldet worden seien, 71 mehr als im Vorjahr. Vor allem rund um den Christopher Street Day seien durch "vermehrte Sichtbarkeit" die Zahlen nach oben geschnellt, "von der Beleidigung bis zu Tätlichkeiten und gebrochenen Armen". Das gesellschaftliche Klima werde rauer.

Am internationalen LGBTQI-Aktionstag kommenden Freitag soll in München auch auf die Lage queerer Asylbewerber aus Uganda aufmerksam gemacht werden. "Die ist lebensgefährlich", sagt Anita Beneta von der Geflüchtetenberatung im Sub. "Ugandas neues Anti-LGBTIQ+-Gesetz von 2023 ist eines der härtesten der Welt und kann die Todesstrafe bedeuten."

Eine "dramatische Bedrohungslage" für die queere Community macht Markus Apel in ganz Deutschland aus. Man sei auch "Zielscheibe von rechts", sagt der Sprecher des Schwulen- und Lesbenverbands Bayern. Umso wichtiger sei es, dass nun auch Bayern als letztes Bundesland einen "queeren Aktionsplan" und eine gesamtgesellschaftliche Strategie zum Schutz vor Diskriminierung und Gewalt aufstelle - und zwar zusammen mit Betroffenen und Fachleuten. "Queerfeindliche Stimmungsmache" der Politik, wozu Apel auch das Genderverbot zählt, torpediere dieses Ziel.

Zum internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit findet am Freitag, 17. Mai, um 19.30 Uhr eine Kundgebung am Marienplatz statt. Von hier aus startet um 20.15 Uhr ein Demonstrationszug über Tal, Isartor und Gärtnerplatz zum Sub an der Müllerstraße.

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