Ein weißer Kanister, ein graues Netz mit leeren Plastikflaschen, alles an einen dünnen Holzstab geschnürt. "Das hab' ich beim Schnorcheln entdeckt", erzählt Mulo Francel. Noch immer fragt er sich, ob es sich um einen Rettungsring handelt, den sich da jemand für seine gefährliche Flucht über das Mittelmeer zusammengebastelt hat. Ob also an dem Objekt buchstäblich ein Leben dran klammerte? Oder ob es Fischern als Boje diente? Oder ist es einfach unser Zivilisationsmüll, der sich da zu einem Readymade vertäut hat? In jedem Fall, Francel hat es mitgebracht, dieses stumme Ding, das nun in einer Ausstellung in der Pasinger Fabrik Geschichten erzählen darf. Wahre, unwahre, halbwahre, von einer ungewöhnlichen Reise im Sommer '21, die zu den äolischen Inseln nördlich von Sizilien führte. Ein Windjammer-Törn im breiten Kielwasser der Mega-Mythen des Altertums, auf den Spuren von Odysseus.
Oft wird es banal, wenn große Gedanken zu Taten schrumpfen. Doch hier nun werden Peinlichkeiten gelungen umschifft, denn Irrungen und Wirrungen sind ausdrücklich eingepflegt in dieses aufwendige Ausstellungs-, Foto-, Musik- und Diskussionsprojekt, dem die Pasinger Fabrik einen sicheren Hafen bietet. Mulo Francel, Saxofonist, Klarinettist und Käpt'n der Weltmusikband Quadro Nuevo, hatte zu dieser Argonautenfahrt geladen. Mehr als 30 Reisende, neben seinen Musikern auch Komplizinnen und Komplizen aus anderen Kreativwelten, wie etwa ein Hirnforscher, ein des Altgriechischen mächtiger Homer-Spezialist, eine Krimiautorin und eine Yoga-Meisterin, begaben sich auf eine Erkenntnis- und vor allem Klangsuche. Letztere mündete in das neue Quadro-Nuevo-Album "Odyssee - A Journey Into The Light". Erstere liefert reichlich Strandgut für eine episch bebilderte Ausstellung auf zwei Etagen.
Notfalldecke als Goldenes Vlies
Die Schau beginnt, sehr dekorativ und mit feinem Understatement, in der Bar der Fabrik. An den scharlachroten und petrolfarbenen Wänden zeigen die mitgereisten Fotografen Mike Meyer, René van der Voorden, Robert Kainar und Annette Hempfling in ruhigen Bildern die karge Schönheit der vulkanischen Inselwelt im Tyrrhenischen Meer. Stromboli, Vulcano und Lipari - Sehnsuchtsorte für Daheimgebliebene in Coronazeiten. Und oft im Hintergrund zu sehen: die alte Brigantine "Florette", auf der die getestete Odyssee-Bubble reiste. Im Lichthof dann, dem anderen Teil des Fabrik-Restaurants "Cantina", wird klar, wie genau Mulo Francel das homerische Logbuch studiert hat, und worauf sich seine Crew einließ. Neben Weißweinschlürfen und Sonne nämlich war ein Reenactment der antiken (Halb-)Götterwelt zu stemmen, an mutmaßlich authentischen Orten. Jede/r hatte seine ihm/ihr zugewiesene Rolle zu erfüllen, ob in übergeworfene weiße Tischdecken gewandet oder professionell kostümiert wie in einem Sandalen-Film: Für die Kamera stürzt sich da Ikarus vom Felsen, Poseidon (Mulo Francel) entsteigt der See mit einem toten Oktopus als Dreadlocks, und Penelope, der können nur noch Yoga-Exerzitien beim Warten auf den Gatten helfen. Was wie ein Spaß unter Freunden aussieht, sei harte Arbeit gewesen, sagt Annette Hempfling, die unter tausenden Aufnahmen auswählen musste. Man glaubt ihr, aber der Fun-Faktor blitzt in den Fotos trotzdem durch.
Auf wohlkuratierter Route führt die Odyssee-Ausstellung durch die Fabrik. Nächster Ankerpunkt ist der kleine Galerieraum 3 im ersten Stock, wo auch das Kanister-Readymade in einer Ecke sitzt und sich eine Notfalldecke, wie sie in jedem Verbandskasten steckt, zum Goldenen Vlies aufmandelt. Hier wird nun alles zusammengeführt, die antike Saga kontaktiert das Heute. Frei, assoziativ entstehen Verbindungen zwischen den Motiven, kommt die Welt hinter den Bildern zum Vorschein. Circe etwa steht nicht mehr auf ihrem Lock-Felsen, sondern auf einem Sperrmüllhaufen. Gedanken über Migration, Klimawandel oder die Verschmutzung der Meere steigen auf. Und das alles wird hörbar in der Musik von Quadro Nuevo, die über QR-Codes an den Wänden ins Smartphone rauscht. Oder ein Making-of-Video untermalt, in dem alle Protagonisten ihren eingefrorenen Foto-Posen entsteigen.
Irrgarten mit Check-In

Ist Odysseus endlich angekommen? Nein. Er hat nur beigedreht in tieferes Gewässer, mit anderen Reisenden. Ursprünglich wollten sie im vergangenen Jahr ihre Klassenexkursion nach Japan machen, Professor Albert Hien und seine Studenten der Akademie der Bildenden Künste. Schwierig bis unmöglich in Corona-Zeiten. Auf Anregung von Thomas Linsmayer, ortskundiges Mitglied der Francel-Crew, Fabrik-Kurator und aktuell Interims-Intendant am Deutschen Theater, schifften sie sich dann ebenfalls in Richtung Sizilien ein. Doch anders als beim Quadro-Nuevo-Freundeskreis wurde das Antiken-Epos für die Studierenden zum Ausgangspunkt für ein komplett freies, raumbezogenes Spiel, das den Besuchern zunächst mal abverlangt, was zum Reisen - oder zur Flucht - dazugehört: Warten, duldsam sein wie Penelope.
In der Installation von Elias Barnreiter, Sophia Lubin und Madeleine Ritter geht es im großen Galerieraum durch enggeführte, bandwurmwortreiche Absperrbänder zum Check-in. Vorbei an sturmbewegten Monitoren und schwefelpustenden Duftspendern arbeitet man sich vor zur Pforte einer dunklen Höhle, in der das "Irren", so der Titel der Akademie-Schau, das Sichverlieren, Wiederfinden zur eigentlichen Daseinsform erklärt wird. Aufflackernde Lichtquellen locken die Besucher an, wie heimtückische Strandräuber, die Schiffe zum Kentern bringen wollen, untermalt von verführerischem Sirenengesang (Diellza Hetemi). Ein begehbarer Holzraum (Nils Hampe) scheint alle Gesetze der Gravitation außer Kraft zu setzen, ein Teppich aus verwobenen Nylonstrümpfen (Miriam Ensslen und Antonia Lippert) zieht den Faden zu Penelopes Webelist. Nirgends findet man sicheren Halt, sogar die Vibration unter den Fußsohlen beim Gang über einen Waldboden (Simone Scharlach) ist nur eine Sinnestäuschung. Jeder kann sich hier auf seine eigene Irrfahrt begeben, das ist beängstigend und ungeheuer lustvoll zugleich.
"Odyssee - A Journey into the Light" / "Irren", ein Ausstellungs-, Foto- und Diskussionsprojekt, Pasinger Fabrik, August-Exter-Straße, bis 6. März. Näheres zum Programm unter www.pasinger-fabrik.de.