Süddeutsche Zeitung

Event gegen Putin:"Jeder kann Pussy Riot sein"

Die feministische und kremlkritische Punkrock-Band gibt ein mitreißendes Konzert in Dachau - und erzählt über ein Privatleben, das politisch sein muss.

Von Jürgen Moises, Dachau

"In unserer Geschichte ist jede private Entscheidung politisch." Dieser Satz war während des Konzerts von Pussy Riot im Garten des Max-Mannheimer-Hauses in Dachau auf einer Videowand hinter den vier russischen Musikerinnen zu lesen. Und er machte einem deutlich, warum der Geschäftsführer des Dachauer Kreisjugendrings Ludwig Gasteiger die feministische Polit-Punk-Band zur Jubiläumsfeier "40 Jahre Internationale Jugendbegegnung" eingeladen hat.

Denn auch wenn dieser Satz auf die Geschichte der 2011 in Moskau gegründeten Aktivistinnengruppe abzielt, ist man mit den Gedanken schnell beim Nationalsozialismus. An diesen zu erinnern und daraus für die Zukunft zu lernen: Das ist schließlich eine der zentralen Ideen der Internationalen Jugendbegegnung.

Der zitierte Satz könnte dabei eine der möglichen Lehren sein. Oder auch der, dass es bei jedem Einzelnen liegt, politisch aktiv zu werden. Das sagte die Sängerin Maria Aljochina am Ende des einstündigen Auftritts, der mit lautstarkem Beifall belohnt wurde und der eher eine musiktheatralische Performance war. Eine Herausforderung war der Auftritt ebenfalls, der unter dem auch auf T-Shirts stehenden Motto "Jeder kann Pussy Riot sein" stand.

Denn er war laut, impulsiv und man bekam begleitet von Schlagzeug, Synthesizer, Querflöte und Videos in einem fast atemlosen Stakkato die Geschichte von Pussy Riot um die Ohren gehauen. Auf Russisch mit deutschen Übertiteln.

Spektakuläre Flucht aus dem Hausarrest

Die Geschichte ist nicht neu. Denn nachdem Mitglieder von Pussy Riot 2012 mit Sturmmasken in die Erlöserkathedrale in Moskau gestürmt waren und dort Sätze wie "Mutter Gottes, Jungfrau, verjage Putin!" geschrien hatten, wurden sie weltweit bekannt. Es gab Presseberichte, einen Dokumentarfilm und seit 2017 das Buch "Pussy Riot. Tage des Aufstands" von Maria Aljochina, auf dem die Performances der aktuellen "Riot Days"-Tour beruhen.

Was darin fehlt, ist die spektakuläre Flucht aus dem Hausarrest, die der Russin getarnt als Essenslieferantin vor der Tour gelang. Diese Info bekam man in der Einleitung des Tour-Managers geliefert.

Das "Punk-Gebet" in der Kirche. Die Festnahme von Marija Aljochina, Nadeschda Tolokonnikowa und Jekaterina Samuzewitsch. Die Gerichtsverhandlung, der Transport, das Straflager, der Hungerstreik und schließlich die Entlassung. All das wird zu Techno-Punk-Rhythmen erzählt.

Es gibt bissige Kritik an Putin und der orthodoxen Kirche sowie politische Parolen. Es wird getanzt, geschrien und Wasser ins Publikum gespritzt. Die zentrale Erzählerin ist Aljochina, die im weißen Kleid und zeitweise mit Strickmaske auf der Bühne steht. Diana Burkat, die 2012 dabei war, aber nicht verhaftet wurde, bedient Schlagzeug und Elektronik.

Olga Borisowa unterstützt Aljochina am Mikrofon. Und seit ein paar Tagen ist Taso Pletner als neue Mitstreiterin an der Querflöte dabei, die den vorherigen Saxofonisten ersetzt. Als Bonus gibt es ein Lied über den Ukraine-Krieg. Aus Sicht von russischen Soldaten, die ihre Mütter fragen: "Mama, warum ist Krieg?"

Ähnlich wie das Konzert im Mai in den Münchner Kammerspielen gerät das alles sehr eindringlich. Am Nachmittag ging eine Podiumsdiskussion mit Pussy Riot, voraus und am Tag darauf war ein Besuch der KZ Gedenkstätte mit der Band geplant. Dass Gasteiger die Russinnen dafür gewinnen konnte, dieser Coup gelang ihm angeblich deswegen, weil die "Dachauer Erinnerungsarbeit" einen so "guten internationalen Ruf" hat.

Es lag aber wohl auch daran, dass Pussy Riot jede sich ihnen bietende Bühne nutzen. Und so war das Konzert auch nicht wie angekündigt das letzte vor der Sommerpause. Stattdessen ging es am Sonntag gleich nach Stuttgart weiter. Im August werden sie in Österreich und der Schweiz spielen und am 31. August und 1. September im oberbayerischen Bergen.

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