Purple Haze und rote Haare:Der Wiedergänger des Gitarrengottes

Am 18.9.1970 starb Jimi Hendrix. Marc Dorendorf ist sein größter lebender Fan und Doppelgänger.

Von Jochen Temsch

(SZ vom 18.9.2003)— Einmal kommt es halt so aus ihm heraus. Da ist ein Mädchen, vielleicht 17, 18 Jahre alt, mit einem engen T-Shirt, mit Jimi-Hendrix-Siebdruck vorne drauf. Sie läuft ihm in die Arme, und er sagt: "Hi, ich bin Jimi Hendrix." Das Mädchen schaut ihn benommen und verwirrt an wie durch lila Nebel: ein Mann um die dreißig, groß, weiß, schlank, Brille, rote, schüttere Haare. Marc Dorendorf. Jimi Hendrix also. Aha. Ach so.

Purple Haze und rote Haare: "Hi, ich bin Jimi Hendrix."

"Hi, ich bin Jimi Hendrix."

Aber ein paar Minuten später steht er auf der Bühne - und er ist es. Nicht, weil er eine weiße Fransenjacke trägt wie Jimi Hendrix 1969 in Woodstock, nicht wegen des roten Stirnbandes, des original indianergemusterten Gitarrenbandes, nicht einmal wegen der original 69er Fender Stratocaster, die er sich erst aus Flohmarktfunden zusammengebastelt, dann von Top-Gitarrentechnikern hat herrichten lassen. Nicht deswegen.

Der rebellische Geist der Großväter

Es ist wegen des Sounds, den er spielt. "Phantastisch, höchstens noch durch das Original zu übertreffen, also gar nicht mehr", urteilt der begeisterte SZ-Kritiker hinterher über den Auftritt. Das war Anfang August im Schlachthof, beim "Woodstock-Festival", wo Münchner Bands den rebellischen Geist ihrer Väter und Großväter beschworen.

Marc Dorendorf war einer der Organisatoren der Veranstaltung. Aber es ist nicht die Maskerade, die Dorendorf zum Hendrix macht. Hier geht es um Musik und Gefühl. Und Hendrix war an der Gitarre vielleicht der Genialste überhaupt. Erst vor wenigen Wochen hat ihn das Musik-Fachblatt Rolling Stone zum besten Gitarristen aller Zeiten gekürt. Heute noch.

Hendrix spielte eine Gitarre für Rechtshänder als Linkshänder. Das heißt, seine Stratocaster hing inklusive der Regler verkehrt herum an seinem Hals. Deswegen musste er die Saiten andersrum spannen: die dicken nach oben, die dünnen nach unten. Gleichzeitig prägte Jimi Hendrix den Begriff der "orchestralen Gitarre": als faszinierender Schöpfer einer Klangfülle, die es so vor ihm nicht gab. Wenn Jimi Hendrix spielte, hörte sich das an, als wäre er Rhythmus- und Sologitarrist in einem.

Sowas hatte noch nie ein Mensch zuvor gehört

Und erst der Fingersatz: Weit entfernt von der klassischen Gitarrenhaltung, arbeitete Hendrix vor allem mit dem Daumen. Damit erzeugte er Basstöne, die übrigen Finger spielten Soli und Akkordbegleitungen - sowas hatte noch nie ein Mensch zuvor gehört. Schon gar nicht von einem Schwarzen.

Schwarze Musik der damaligen Zeit war Soul und sonst nichts. Aber plötzlich kam einer daher, verzerrte, drehte die Lautstärke irre auf, erzeugte Rückkopplungen, benutzte seltsame Effekte wie das Wahwah, war überhaupt absolut brachial. Und dabei schwang noch etwas anderes mit, etwas, das sich nicht so leicht handwerklich beschreiben lässt. Etwas Irrationales. Etwas Charismatisches. Zauberhaftes. Ein Gefühl. Eine Vibration. Was Miles Davis für den Jazz war, war Jimi Hendrix für die Rock-Gitarre.

So war das, und so kriegt es Marc Dorendorf heute irgendwie wieder hin. Warum, weiß er selbst nicht so genau. Er sagt: "Anscheinend kann ich das ganz gut." Er hat sich original klingende Verstärker bauen lassen, hat mit Rückkopplungen und anderen Effekten experimentiert - mit der ganzen, heute unzeitgemäßen, für Hendrix typischen Klangtechnik, die erst einmal beherrscht werden will.

Dorendorf, der Sohn eines Druckereibesitzers, geboren im Revolutionsjahr 1968, war zwölf Jahre alt, als er seine erste Gitarre geschenkt bekam. Es war eine Phase, da hatte er viele Unfälle. Er war lange ans Bett gefesselt, bis heute hat er eine Gehbehinderung davon. Aber Jimi Hendrix gab ihm etwas, was er als Halt und Stärke beschreibt: "Da war ein Feuer, eine Energie, die ich auch ausdrücken will."

...und die Beatles sind für ihn tot.

In den achtziger Jahren, als alle Klassenkameraden auf New Wave und Neue Deutsche Welle abfahren, ist Dorfendorf auf Sixties. Mit 14 Jahren kauft er sich seine erste LP, Hendrix' "Electric Ladyland", und die Beatles sind für ihn tot. Mit 15 hat Dorendorf seine erste Schüler-Combo. Dann kauft er sich auch noch das Video von "Jimi Plays Berkeley": "Da war es um mich geschehen."

Marc Dorendorf hat die Rock-Gitarre studiert. Absolut autodidaktisch. Er hat die Platten auswendig gelernt, die Videos und DVDs vor- und zurückgespult, die Zeitlupen analysiert, bis er es konnte: "Voodoo Chile" mit dem Wahwah-Anfang. "All Along The Watchtower": im Grunde nur drei Akkorde. "Hey Joe", dem kein Rockpublikum je widerstanden hat. Allein durch das Anschauen und Abhören hat Dorendorf das Gitarrenspiel erlernt.

Auch Hendrix konnte keine Noten lesen. Die Essenz von Hendrix/Dorendorf ist das Energetische das Spiels. Das Improvisieren. Heute ist jeder Sound perfekt, sauber abgemischt, digital remastered und gemixt. Aber Hendrix war nie gleich, in keinem Konzert, auf keiner Platte. Zum Beispiel von "All Along The Watchtower" gibt es eine Studio- und eine Live-Version vom Auftritt auf der Isle of Wight 1970 - Dorendorf denkt meistens an diese, wenn er den Song, einen seiner liebsten, spielt.

Dabei singt er auch, wie Hendrix, wie dieser aber auch nicht so wahnsinnig gut. Marc Dorendorf fehlt das schwarze Timbre. So muss er halt knödeln und verschliffen unartikuliert knarzen. Aber das macht nichts, weil die ganze Hendrix-Kopiererei ja schon auch ein wenig ironisch gemeint ist, als augenzwinkernde Hommage.

Dorendorf hält Hendrix für einen weichen Menschen, einen Schüchternen, der von seinem Management ausgenützt wurde, der ein unstetes Leben ohne Rhythmus führte, der eigentlich einfach sein "Electric Ladyland Studio" mit Live-Bühne haben wollte, dann in London an seinem Erbrochenen erstickte und an deutschen Schlaftabletten, deren Gebrauchsanweisung er nicht verstand. In Fernseh-Shows sagte Hendrix: "Es gibt bessere Gitarristen als mich." Mit diesen Untertreibungen kann sich Marc Dorendorf wunderbar identifizieren.

An Hendrix kommt nichts ran

Natürlich sagen sie manchmal zu ihm: "Du traust dich was." Sich vergreifen am Rock-Heiligtum! Aber Dorendorf bleibt dabei: "Das soll mir mal erst einer nachmachen." Mit seiner Band Bluespower spielt er nur an besonderen Anlässen wie heute, dem 33. Todestag von Jimi Hendrix.

Zum ersten Mal war es der 20. Todestag 1990 im damaligen Nachtwerk. 800 Leute kamen, viel Presse. Geld kam rein, von dem finanzierte sich Dorendorf eine original Sechziger-Jahre-Ausrüstung und einen Gitarrenbauer in London. Der war gleichzeitig der Ingenieur für die Instrumente von David Gilmore von Pink Floyd. Eines Tages besuchte Marc Dorendorf den Techniker und stand plötzlich beim Soundcheck auf der Bühne in Earls Court, die Gitarre von Gilmore in der Hand - auch so ein Schlüsselerlebnis für ihn. Aber an Hendrix kommt nichts ran. "Jimi Hendrix war immer er selbst", sagt Dorendorf. Und er?

Nachdem ihn die 17-Jährige beim Schlachthof-"Woodstock-Festival" angesprochen hatte, ging Marc Dorendorf auf die Bühne. Und war jemand anderes. ("Bluespower plays Hendrix": Donnerstag, 18.9.2003, 21 Uhr, Schlachthof.)

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