Zwischen Welten:Vom Schreiben und Reden

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Emiliia Dieniezhna (Foto: Bernd Schifferdecker)

Unsere ukrainische Kollegin war erstmals zu einer Lesung ihrer SZ-Kolumne eingeladen. Nie hätte sie gedacht, wie sehr sich das Publikum für ihre Sicht der Geschehnisse interessiert.

Von Emiliia Dieniezhna

Voriges Wochenende war ich das erste Mal zu einer Lesung meiner Kolumnen für die Süddeutsche Zeitung eingeladen. Bekannte von mir, Peter Runck und Valentyna Sobetska, haben die Veranstaltung in Ludwigshafen in Rheinland-Pfalz organisiert. Für mich kam die Einladung sehr überraschend, denn in der Ukraine sind Lesungen nicht üblich. Aber ich dachte mir, dass es interessant sein könnte, den Menschen meine Gedanken nicht nur schriftlich mitzuteilen, sondern auch darüber zu sprechen.

Peter und Valentyna engagieren sich beim Internationalen Bauorden, eine in vielen europäischen Ländern verbreitete gemeinnützige Organisation, die europaweit Baucamps für junge Erwachsene organisiert und damit soziale und gemeinnützige Einrichtungen bei Bau- und Renovierungsarbeiten unterstützt. Seit Februar 2022 sind Peter, Valentina und ihre Freunde auch in der Ukraine aktiv.

Der Titel der Lesung lautete "Mein Herz trägt immer Vyshyvanka", so wie eine meiner SZ-Kolumnen, in der ich über unsere landestypische Tracht geschrieben hatte. Natürlich habe ich diese Kolumne vorgelesen und erzählt, dass es für mich extrem wichtig ist, Ukrainerin zu sein und die Ukraine zu repräsentieren, auch wenn ich meine Tracht zu Hause gelassen habe. Die ukrainische Kultur ist immer in meinem Herzen.

Der erste Text meiner Lesung handelte aber von meiner Flucht nach München. Darin ging es um die Gefühle, die ich am Anfang des Krieges hatte, wie ich nach Pullach kam und wer mir geholfen hat. Im zweiten Text ging es um das Oktoberfest und meine Zweifel, ob ich feiern darf, wenn mein Land im Krieg ist.

Eine weitere Kolumne, "Wechselbad der Gefühle", handelte von dem inneren Konflikt, den ich oft habe, wenn sich Gutes und Grauen vermischen. Einerseits ist da die Freude über die Befreiung von Cherson oder den Friedensnobelpreis 2022 für meine Kollegin Oleksandra Matviychuk. Andererseits gibt es immer wieder Raketenangriffe auf ukrainische Städte, bei denen Menschen sterben.

Das Publikum war sehr angenehm. Viele helfen Ukrainern ehrenamtlich. Aufgefallen ist mir auch, dass sie sich dafür interessieren, was in der Ukraine außerhalb der Schlagzeilen passiert. Die Gäste hatten aber auch viele Fragen, etwa zu Präsident Selensky oder zur Korruption in der Ukraine. Ich habe berichtet, dass ich Selensky zwar nicht gewählt habe, jetzt aber sehr stolz auf meinen Präsidenten bin. Was die Korruption in der Ukraine betrifft: Das ist immer noch ein wirkliches Problem, auch wenn sich die Situation schon deutlich verbessert hat.

Es gab auch Fragen zur Entstehung meiner Kolumne, etwa ob ich auf Deutsch schreibe oder auf Ukrainisch. Die Antwort ist einfach: Ich schreibe auf Deutsch und versuche mich stetig darin zu verbessern, damit meine Redakteurin weniger Arbeit hat. Einige wollten auch wissen, wie es dazu kam, dass ich für die SZ schreiben kann. Ich erzählte, dass das mit meiner ehrenamtlichen Arbeit mit ukrainischen Geflüchteten zu Beginn des Krieges zu tun hatte. Darüber ergab sich ein Kontakt mit der Redaktion.

Emiliia Dieniezhna, 34, flüchtete mit ihrer vierjährigen Tochter Ewa aus Kiew nach Pullach bei München. Von dort aus arbeitet sie ehrenamtlich für die Nicht-Regierungs-Organisation NAKO, deren Ziel es ist, Korruption in der Ukraine zu bekämpfen. Außerdem unterrichtet sie ukrainische Flüchtlingskinder in Deutsch. Für die SZ schreibt sie einmal wöchentlich eine Kolumne über ihren Blick von München aus auf die Ereignisse in ihrer Heimat.

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