Süddeutsche Zeitung

Zwischen Welten:Was Kinder brauchen

Unsere Kolumnistin sorgt sich um ukrainische Kinder, deren Bedürfnisse oft übersehen werden. In Kriegsgebieten sowieso, aber auch auf der Flucht.

Kolumne von Emiliia Dieniezhna

Als vor einer Woche das neue Schuljahr begann, habe ich in Pullach einige ukrainische Kinder wiedergesehen, die in den Ferien in ihre Heimat gereist waren, sofern es dort relativ sicher war. Die elfjährige Lisa hat ihren Vater in Kiew besucht. Ihre Oma konnte sie aber nicht wiedersehen. Sie lebt in Sumy fast an der Grenze zu Russland. Die Stadt wird häufig beschossen. Es gibt ständig Luftalarm, erzählte mir Lisa.

Ich denke viel an die Kinder, die in den Kriegsgebieten geblieben sind und dort weder sicher leben noch lernen können. Oft haben sie einen Familienangehörigen oder Freunde im Krieg verloren, aber keinen Zugang zu psychologischer Hilfe. Als Mutter einer kleinen Tochter kann ich den Schmerz nachfühlen. Gerade die Bedürfnisse der Kinder werden in Kriegszeiten vergessen.

Vor Kurzem habe ich eine Frau getroffen, die mich sehr beeindruckt hat. Violetta Sukhanova ist mit einem ukrainischen Soldaten verheiratet, der unser Land verteidigt. Sie hat eine siebenjährige Tochter und leitet eine zu Kriegsbeginn gegründete Nicht-Regierungs-Organisation, die übersetzt "Die Frauenunion der Ukraine" heißt. Seit dem 24. Februar hat sie mit ihrem Team aus Ehrenamtlichen Hilfe für etwa 500 ukrainische Frauen und deren Kinder organisiert.

Zuallererst hilft Violetta Kindern und Müttern, die ihre Väter und Ehemänner im Krieg verloren haben. Einige von den Frauen sind an Krebs erkrankt und haben in der Ukraine nur begrenzt Zugang zu medizinischer Betreuung. Auch Kinder, die nach schweren Operationen Rehabilitationsmaßnahmen benötigen, die in meinem Land derzeit nicht angeboten werden können, finden Hilfe in Österreich.

Dort hat Violetta in der Verwaltung des Burgenlandes und der Kinderhilfsorganisation "Kiwanis" verlässliche Partner gefunden, um ukrainischen Kindern trotz ihrer persönlichen Schicksale wieder Lebensmut zu geben und ihnen psychologische Betreuung zukommen zu lassen. Zudem werden Besuche in Zoos oder Freizeitparks organisiert, damit die Mädchen und Jungen das Lächeln wieder lernen.

Das ist besonders wichtig, denn einige Kinder, deren Väter im Krieg gestorben sind, glauben, dass sie keine Freude mehr empfinden dürfen. Verstärkt werden diese Gefühle, weil ihre Mütter Trauerkleidung tragen. Violetta konnte die Frauen überzeugen, sich wenigstens zwei Wochen lang normal anzuziehen, um ihren Kindern die Zuversicht zu geben, dass das Leben weitergehen darf.

Die Kinder haben außerdem oft Angst vor für uns Alltäglichem: vor Flugzeugen, Hubschaubern, selbst vor Luftballons oder nur einem Luftzug. Die zischenden Geräusche werden schnell mit einem drohenden Luftangriff oder mit Sirenenalarm assoziiert.

Zusammen zu spielen, Spaß zu haben, aber auch zusammen zu weinen mit anderen Geflüchteten, die den Schmerz teilen können, hilft diesen Kindern und Frauen. Menschen wie Violetta Sukhanova, die ihre Zeit in solche Hilfe investieren, inspirieren mich. Sie warten nicht bis zum Ende des Krieges, sie handeln jetzt, um die Familien, die Tragödien erlebt haben, zu unterstützen. Ich bin sehr dankbar für alle Menschen, Organisationen und Institutionen, die das ermöglichen.

Emiliia Dieniezhna, 34, flüchtete mit ihrer vierjährigen Tochter Ewa aus Kiew nach Pullach bei München. Von dort aus arbeitet sie ehrenamtlich für die Nicht-Regierungs-Organisation NAKO, deren Ziel es ist, Korruption in der Ukraine zu bekämpfen. Für die SZ schreibt sie einmal wöchentlich eine Kolumne über ihren Blick von München aus auf die Ereignisse in ihrer Heimat.

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