Psychologische Betreuung von Schülern:Einer für 40.838

Nach dem tragischen Amoklauf von Winnenden stellt eine Studie in München fest: Trotz steigenden Bedarfs herrscht ein eklatanter Mangel an geschulten Betreuern.

Christian Rost

An den beruflichen Schulen in München herrscht ein eklatanter Mangel an psychologischer Betreuung. Eine Bestandsaufnahme des Schulreferats über die schulpsychologische Versorgung kommt zu dem Ergebnis, dass die Präventionsarbeit an den Berufsschulen "sehr gering und nicht bedarfsgerecht ist".

Psychologische Betreuung von Schülern: Prüfungsangst, Schulangst, Zukunftsangst: Die an Schulen etablierte Sozialarbeit reicht nicht aus. Es fehlt an geschulten Betreuern.

Prüfungsangst, Schulangst, Zukunftsangst: Die an Schulen etablierte Sozialarbeit reicht nicht aus. Es fehlt an geschulten Betreuern.

(Foto: Foto: dpa)

Nur sechs Psychologen sind für 80 Schulen zuständig. Der Berufsverband Deutscher Psychologen sieht in der Unterversorgung einen echten "Missstand" und fordert die Stadt auf, mindestens zehn Vollzeitstellen für Diplom-Psychologen einzurichten, um in Krisenfällen angemessen reagieren zu können.

Anlass für die Analyse der Situation an den Berufsschulen war der Amoklauf in Winnenden. Ein 17-Jähriger hatte in der baden-württembergischen Kleinstadt am 11. März 15 Menschen erschossen. Grünen-Stadtrat Florian Roth hatte in der Folge das Schulreferat um eine Klärung der Situation in München gebeten.

Das jetzt vorgelegte Ergebnis ist teils zufriedenstellend, teils erschreckend: Den Realschulen zum Beispiel wird offenbar eine größere Bedeutung zugemessen, dort ist ein Schulpsychologe für 1379 Schüler zuständig, 19 Psychologen sind an den 21 Schulen tätig. An den Gymnasien beträgt das Verhältnis immerhin noch 1 zu 3153. Indessen fällt der Betreuungsaufwand bei den beruflichen Schulen deutlich ab. Dort kommt nur ein Psychologe auf 40838 Schüler. Die Kultusministerkonferenz empfiehlt als Grenze 5000 Schüler für einen Psychologen.

Es sei nicht nachzuvollziehen, weshalb gerade für Jugendliche in der Ausbildung, also im Stadium der Identitätsentwicklung, keine Notwendigkeit für psychologische Unterstützung bei psychischen Problemen gesehen werde, so Thordis Bethlehem, die Vizepräsidentin des Psychologen-Verbandes in ihrem Schreiben an die Stadt. Sie sieht einen mannigfaltigen Bedarf für die Spezialisten: bei Prüfungsangst, Schulangst, bei Eignungstests für schulische und berufliche Wege, bei den stark zunehmenden Fällen von Legasthenie und Dyskalkulie sowie nicht zuletzt in privaten Krisensituationen. "Die hohe Zahl der Lehrstellenabbrecher und die Misserfolge bei bestimmten beruflichen Abschlüssen zeigt die Notwendigkeit psychologischer Unterstützung", betont Bethlehem. Die an den Schulen etablierte Sozialarbeit könne dies alles nicht leisten.

Die heile Welt ist vorbei

Gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise und des Zerfalls traditioneller familiärer Bindungen zeigen sich an den Berufsschulen die Nöte: Die Fälle von Suizidandrohungen oder Selbstverletzungen unter Münchner Berufsschülern sind zuletzt deutlich gestiegen. "Wir hatten vor ein paar Jahren noch eine heile Welt, das ist vorbei", sagt ein Berufsschulrektor. Mangels psychologischer Versorgung haben sich 58 Beratungslehrer jetzt sogar freiwillig für einen Kriseninterventionskurs angemeldet. Die Stadt hatte nur mit 20 Teilnehmern gerechnet.

Das Schulreferat erklärte, es werde für jede Berufsschule eine schulpsychologische Betreuung "angestrebt". Wie dies dann in der Praxis aussehen kann, zeigt allerdings der Fall der Berufsschulen in der Orleansstraße am Ostbahnhof. Dort gibt es zwar eine schulpsychologische Betreuung - von einer Stunde je Woche für mehr als 4000 Jugendliche. Ein Antrag, das Angebot wenigstens auf zwölf Stunden pro Woche aufzustocken, wurde vom Schulreferat abgelehnt.

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