Psychologie:Wenn Mama ständig traurig ist

Psychologie: Corinna Reck und Tanja Kretz-Bünese kennen viele Geschichten von verzweifelten Müttern, überforderten Vätern und gestressten Kindern.

Corinna Reck und Tanja Kretz-Bünese kennen viele Geschichten von verzweifelten Müttern, überforderten Vätern und gestressten Kindern.

(Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Immer häufiger sind Mütter und Väter nach der Geburt mit ihren Kindern unsicher und überfordert.
  • Die psychotherapeutische Hochschulambulanz für Kinder und Jugendliche bietet verzweifelten Eltern und gestressten Kindern Hilfe an.
  • Im März startet zudem eine Studie, in der die Forscher die Interaktionen zwischen Eltern und Kindern und deren Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung untersuchen wollen.

Von Melanie Staudinger

Das Baby schreit seit Stunden und das nicht das erste Mal in dieser Nacht. Bauchmassage, herumtragen, neue Windeln, wippen - alles vergeblich. Tagsüber ist es eigentlich auch nicht besser, keine zehn Minuten gibt das Kleine Ruhe. Es lässt sich nicht beruhigen und das Stillen klappt auch mehr schlecht als recht. Die Mutter plagen Ängste, sie zuckt schon zusammen, wenn das Kind nur kurz aufquietscht. Eigentlich will sie das Kind ja lieben, aber es fällt ihr zunehmend schwer. Und der Vater? Steht hilflos daneben. "Warum klappt bei uns nicht, was bei allen anderen funktioniert?" Immer öfter verfangen sich die Gedanken in dieser Frage. "Warum können wir keine guten Eltern sein?"

Corinna Reck und Tanja Kretz-Bünese können viele solcher Geschichten von verzweifelten Müttern, überforderten Vätern und gestressten Kindern erzählen. Die beiden Psychologinnen leiten die "Psychotherapeutische Hochschulambulanz für Kinder und Jugendliche", die angegliedert ist an die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Seit eineinhalb Jahren bieten sie an der Leopoldstraße Hilfe an für Kinder vom Säuglingsalter bis zum 21. Lebensjahr an.

Sie kümmern sich um Ängste, Depressionen, Tics, Essstörungen, soziale und emotionale Schwierigkeiten, Konzentrationsprobleme, Schwierigkeiten in der Schule, aggressives Verhalten und Schlafstörungen. Sie unterstützen, wenn Kinder plötzlich wieder Einnässen, unter einer chronischen körperlichen Krankheit leiden oder unter Beschwerden, für die es keine körperliche Ursache gibt.

"Außerdem sind wir spezialisiert auf Störungen von Babys und Kleinkindern unter vier Jahren und behandeln psychisch auffällige Kinder von Eltern, die selbst belastet sind", sagt Reck. Durch eine traumatische Erfahrung zum Beispiel, oder wenn sie sich in einer Lebenskrise befinden. Oftmals ist die Situation so verfahren, dass kein richtiger Kontakt zwischen Eltern und Kindern mehr möglich ist - schon die Kleinsten spüren, wenn mit Mama oder Papa etwas nicht stimmt, wenn sie schlecht gelaunt sind oder traurig.

Die Hochschulambulanz therapiert nicht nur, sie bildet auch junge Psychologen aus und forscht. Und sie kämpft gegen gesellschaftliche Vorurteile und den Druck, unter dem Eltern und vor allem junge Mütter heute leiden. Wer nicht perfekt ist, gilt oft als gescheitert. Dabei haben viele Familien Probleme, zum Beispiel, weil die Zeit nach der Geburt nicht so harmonisch verläuft. Schämen muss man sich dafür nicht.

Im März startet die groß angelegte Compare-Studie, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. In Marburg, Heidelberg, Gießen, Bochum, Dortmund und München wollen Forscher die Interaktionen zwischen Eltern und Kindern und deren Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung untersuchen. Teilnehmen können Eltern mit Kindern im Alter von drei Monaten.

Eine schwierige Situation belastet auch die Väter

Zum einen werden Familien gesucht, in denen Mütter psychische Belastungen während der Schwangerschaft oder rund um die Geburt erleben, und Familien, in denen sich die Mütter gesund und psychisch wenig belastet fühlen. Die erste Untersuchung findet statt, wenn das Kind drei Monate alt ist. Weitere Termine im Abstand von sechs und neun Monaten folgen, bis das Kind zwei Jahre alt ist.

"Eine Schwangerschaft und ein Baby sind immer große Herausforderungen und von großen Gefühlen begleitet", sagt Reck. Viele Mütter erlebten diese Zeit als schön und bereichernd. Das aber treffe nicht auf alle zu: Nicht selten fühlten Mamas sich erschöpft und traurig. Sie litten unter Selbstzweifeln, manche würden sogar denken, sie machten nicht genug für ihr Kind oder freuten sich nicht genug über das Kind. "Viele Frauen schämen sich für ihre Gefühle, weil sie dem gesellschaftlichen Bild der glücklichen Schwangeren und Mutter nicht entsprechen", sagt Kretz-Bünese.

Wenn Stimmungsschwankungen und Sorgen aber überhandnehmen, könne das den Alltag erschweren und die innerfamiliären Beziehungen extrem belasten. Das kann fatale Folgen haben. Mittlerweile gilt es als erwiesen, dass Kinder von psychisch kranken Eltern eher anfälliger für psychische Erkrankungen sind als Kinder von psychisch unauffälligen Müttern und Vätern.

Doch wie fragt man denn ein Baby, das noch gar nicht sprechen kann, was nicht passt? Hier habe sich die sogenannte Video-Interaktionstherapie bewährt, erklärt die Professorin. Die Familien würden beim Spielen, beim gemeinsamen Abendessen, beim Wickeln oder Schlafengehen gefilmt. "Da sehen wir zum einen, was gut läuft in den Familien, und können sie in diesen Punkten bestärken", sagt Kretz-Bünese. Zum anderen offenbarten sich in den Videos aber auch die Schwierigkeiten, zum Beispiel wenn Mütter ihren Kindern niemals in die Augen sehen oder kaum mit ihnen sprechen.

"Babytalk ist wichtig, damit die Kinder ein Gefühl für die Sprachmelodie bekommen", sagt Kretz-Bünese. Schon mit zwei Monaten könnten Säuglinge ein Lachen erwidern. Wenn aber niemand sie anlächle, zögen auch Babys sich schon zurück. Wichtig sei es zudem, den Vater aktiv ins Familienleben und damit auch in eine Therapie einzubeziehen.

Denn auch viele Väter belaste eine solche Situation: Sie hätten oft das Gefühl, dass sie mit schuld an dem Problem seien, weil sie arbeiten gingen und ihre Frau alleine mit dem Kind daheim ließen. "In der Compare-Studie wollen wir spezifische Behandlungsmethoden für betroffene Familien und deren Babys entwickeln", sagt Reck. Damit Traurigkeit, Stress und Sorgen sich minimieren - und Eltern die gemeinsame Zeit mit ihrem Kind wirklich genießen können.

Wer an der Compare-Studie teilnehmen möchte, kann sich hier informieren oder sich per E-Mail melden. Die Hochschulambulanz bietet zudem einen Babymassage-Kurs für belastete Eltern an.

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