Prozessauftakt:Die Akte Müller-Brot
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Mäuse, Maden, Motten: Vor fast vier Jahren mussten die Produktionshallen der Großbäckerei schließen. Jetzt beginnt in Landshut der Prozess gegen die Ex-Chefs. Wegen des Ungeziefers stehen die Manager jedoch nicht vor Gericht.
Von Katja Riedel
Der Schuldige war schnell ausgemacht. Die Medien seien verantwortlich, die Zeitungen und ihre Berichte über das, was sich hinter den Kulissen der Großbäckerei Müller-Brot in Neufahrn abspiele. Diese hätten dazu geführt, dass die Kunden plötzlich keine Brezen und Semmeln, keine Nussschnecken oder Brotlaibe mehr kaufen wollten. Dass das Unternehmen nun mit dem Rücken zur Wand stehe. Und dass Stefan H. sich am Mittag des 16. Februar 2012 also in sein Auto setzen musste, in seiner Tasche ein Stapel Papier, mit dem der Müller-Brot-Geschäftsführer nach Landshut fuhr, zum Amtsgericht. So zumindest ist es in dem Insolvenzantrag zu lesen, den Stefan H. dort an jenem Tag einreichte.
Nichts zu lesen ist auf diesen Seiten freilich davon, was genau die Kunden verschreckt hatte. Die Tatsache nämlich, dass es in den Hallen von Müller-Brot nicht nur Mehl und Hefe und fertige Backwaren zuhauf gab, sondern auch allerlei, was nicht dorthin gehört. Schädlinge zum Beispiel: Mäuse, Maden, Schaben, Motten. Gespinste und Schmutzkrusten, faulige Gerüche, schleimige Substanzen auf den Förderbändern oder in den Kesseln.
Mangelnde Hygiene und schlechte Finanzlage
Und ebenso wenig erwähnte der Geschäftsführer, dass Müller-Brot nicht erst seit wenigen Tagen, sondern zu diesem Zeitpunkt schon seit Jahren, mindestens seit 2008, immer wieder mit mangelnder Hygiene, mit Überprüfungen und Nachkontrollen der Freisinger Lebensmittelüberwachung kämpfte.
Diese Hygienemängel waren so erheblich, dass das Landratsamt Freising Bußgelder über insgesamt fast 30 000 Euro verhängt hatte, als die Produktion am 30. Januar 2012 gestoppt wurde - zunächst freiwillig, um einer amtlichen Schließung des Betriebes zuvorzukommen; da lief längst ein Ermittlungsverfahren wegen einer Kontrolle mit haarsträubenden Befunden aus dem Oktober 2010.
Mehr noch als mit der mangelnden Hygiene kämpfte das Unternehmen allerdings mit der schlechten Finanzlage. Nur in Andeutungen ließ sich im Insolvenzantrag erahnen, wie knapp bei Kasse das Unternehmen mit mehr als 1200 Mitarbeitern und 241 Verkaufsfilialen war - nicht erst seit der Betriebsschließung, sondern schon lange davor.
Wofür sich die ehemaligen Geschäftsführer verantworten müssen
Wie lange, das ist eine der entscheidenden Fragen, mit denen sich die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Landshut von Montag an beschäftigen wird. Ein Gutachten geht davon aus, dass sich Müller-Brot seit 2010 immer wieder am wirtschaftlichen Abgrund bewegte - und dass das Unternehmen zwischenzeitlich immer wieder, sicher aber von Ende November 2011 an pleite war, zweieinhalb Monate, bevor der Antrag gestellt wurde. Und in den Ermittlungsakten finden sich Hinweise, dass die Geschäftsführer schon weit vorher eine mögliche Insolvenz erwogen hatten.
Vor Gericht müssen sich die ehemaligen Geschäftsführer deshalb wegen Insolvenzverschleppung und weiterer Vorwürfe verantworten: Der frühere Mehrheitsgesellschafter und Millionär Klaus-Dieter O., dessen rechte Hand, Finanzgeschäftsführer Stefan H., sowie Jürgen K., der innerhalb des Geschäftsleitungsteams vor allem für die Produktion zuständig war. Schon jetzt ist klar, dass im Vordergrund weniger die Hygienemängel stehen werden, der Vorwurf also, nicht für den Verzehr geeignete Waren in den Verkehr gebracht zu haben.
Viel schwerer dürften juristisch die Vorwürfe wiegen, bei denen es um mutmaßliche Wirtschaftsstraftaten geht: Bei Klaus O. und dessen engem Vertrauten Stefan H. besteht der Verdacht des gemeinschaftlichen Betrugs, um sich einen Vermögensvorteil zu verschaffen; bei O. steht zudem Untreue im Raum. Er soll sich über einen nicht erbrachten Werbevertrag für sein Gestüt Famos etwa 500 000 Euro erschlichen haben. Beiden wird zudem Insolvenzverschleppung vorgeworfen.
Jürgen K. wirft die Anklage neben der mutmaßlichen lebensmittelrechtlichen Vergehen ebenfalls Untreue vor: Er soll ohne Grundlage monatlich einen hohen fünfstelligen Betrag erhalten haben, auf Rechnung; dieser soll an eine Stadtbäckerei gegangen sein, die Jürgen K. gehörte.
Offene Forderungen in Millionenhöhe
Jürgen K., Klaus O. und deren rechtliche Vertreter äußerten sich auf Anfrage nicht zu den Vorwürfen. Der Verteidiger von Stefan H., der Münchner Anwalt Richard Bayer, zeigte sich jedoch zuversichtlich, Teile der gegen seinen Mandanten erhobenen Vorwürfe vor Gericht entkräften zu können. Dazu gehören sogenannte Luftbuchungen in Höhe von mehr als 600 000 Euro, mit denen H. laut Anklage die wirtschaftliche Situation von Müller-Brot geschönt haben soll, um sich einen Millionen-Kredit der Commerzbank zu erschleichen. Diese ist die Hauptgeschädigte der Insolvenz: Das Kreditinstitut hat offene Forderungen von 20 Millionen Euro bei der Insolvenzverwaltung angemeldet, wie viel sie davon jemals bekommen wird, ist völlig unklar.
Ohne die Summe aus den mutmaßlichen Luftbuchungen, so ist es zumindest einer Zeugenaussage des zuständigen Bankbetreuers zu entnehmen, hätte die Bank sich wohl gegen den Kredit entschieden. Bayer kündigte an, dass sich Stefan H. bereits am Montag zu diesem und anderen Vorwürfen äußern werde und auch für diese Buchungen "eine plausible Erklärung" liefern wolle.
Doch es gibt viel, was der Aufklärung bedarf. Weit mehr als tausend Seiten ist die Akte Müller-Brot dick. Sie enthält nicht nur Dutzende Mängelprotokolle und umfangreiche Fotoserien mit unappetitlichen Motiven von Krabbelgetier, von Schmutz und korrodiertem Gerät, sondern viele Bilanzen, Gutachten, Verträge und Schriftverkehr - gigantische Datenmengen.
Die Ermittler haben zum Beispiel die E-Mails aller Mitarbeiter gesichert und ausgewertet, 104 Gigabyte, mit eindeutigem Ergebnis, wie sie befinden: Jedem verantwortlichen Mitarbeiter von Müller-Brot sei demnach bekannt gewesen, dass die Kontrolleure bei ihren regelmäßigen Besuchen nicht nur Mängel ansprachen, die sich leicht beseitigen ließen, sondern auch schwerere Missstände. Solche, für deren Beseitigung man richtig viel Geld hätte ausgeben müssen, um Wände einzuziehen, um Spalten zu schließen oder den kaputten Fußboden zu sanieren, allesamt Brutstätten für die Schädlinge, die später dazu führten, dass den Lebensmittelprüfern schließlich der Geduldsfaden riss.
Allerdings: Geschäftsführer Stefan H., so sein Anwalt Richard Bayer, will von diesen Hygieneproblemen nichts mitbekommen haben - zumindest nichts, was über das übliche Maß hinausgegangen sei, das in einem Lebensmittelbetrieb anfalle. Erst im Dezember 2011, also kurz vor Betriebsschließung und Insolvenz, will er vom tatsächlichen Ausmaß der Missstände erfahren haben. Und er will somit auch der Commerzbank und der KPMG während der Verhandlungen über die Rettung des Unternehmens nicht bewusst verschwiegen haben, dass auf Müller-Brot massive Investitionen zukommen. Investitionen, die die Prognose für das wirtschaftliche Überleben der Großbäckerei weit düsterer hätten aussehen lassen; und die, hätte er davon Kenntnis gehabt, nach Aussage des Bankberaters schlicht ausgeschlossen hätten, dass die Commerzbank Müller-Brot neu finanziert.
Der Ofen bei Müller-Brot wäre demnach weit früher aus gewesen. Und mancher der Gläubiger, die insgesamt auf Forderungen von mehr als 80 Millionen Euro sitzen bleiben könnten, hätte womöglich weniger Geld verloren. Wie viel die Angeklagten tatsächlich wussten, muss der Prozess klären. Zehn Verhandlungstage sind zunächst bis Weihnachten angesetzt. Dass diese reichen werden, um die umfangreichen Vorwürfe aufzuarbeiten, die im Raum stehen, halten Beobachter für wenig wahrscheinlich.
Was im Prozess nicht verhandelt wird
Nicht verhandelt wird im Prozess indes das durchaus umstrittene Verhalten der Lebensmittelbehörden, die jahrelang zwar protokollierten, was bei Müller-Brot schief lief. Die aber lange nur drohten, nicht einschritten. Die Kontrolleure argumentierten 2012, als die Mängel publik wurden, dass bei Müller-Brot niemals Gefahr bestanden habe, durch eine Breze oder ein Stück Kuchen zu erkranken. Zwar wurden immer wieder große Mengen Gebäck vernichtet - dies sei aber geschehen, weil man davon ausging, dass sich Verbraucher wohl geekelt hätten, wenn sie von den unsauberen Bedingungen gewusst hätten, die in der 54 000 Quadratmeter großen Fabrikhalle herrschten.
Die Kontrolleure sind nicht Angeklagte, sondern Zeugen in dem Verfahren. Landratsamt und LGL äußerten sich erst, als der Produktionsstopp und dessen Ursachen scheibchenweise öffentlich wurden. Der Fall Müller-Brot wurde vor allem deshalb zum Verbraucherschutz-Skandal. Ob er nun wirklich aufgearbeitet wird, werden die kommenden Wochen zeigen.