Prozess:Zum Feiern zu früh

Verlag und Druckerei im "Haus mit der roten Fahne" in München, 2016

Ein verwinkeltes Gebäude, für Wohnungsbau nicht optimal: Das Haus mit der roten Fahne an der Tulbeckstraße beschäftigt die Justiz.

(Foto: Stephan Rumpf)

Das Landgericht München I meldet Zweifel an, ob die Räumungsklage gegen die Mieter des Hauses mit der roten Fahne gerechtfertigt ist. Ein städtisches Tochter-Unternehmen wie die MGS müsse den Rauswurf sachgerecht begründen, um den Anschein von Willkür zu vermeiden

Von Andrea Schlaier, Westend

Die Demo nach der Verhandlung vor dem Justizpalast an der Prielmayerstraße fällt aus. Statt am Freitag gegen 10 Uhr Banner wie "Rettet das Haus mit der roten Fahne" hoch zu halten, gehen die etwa 50 Unterstützer des arbeiterbewegten kulturellen Zentrums im Westend auf eine Tasse Kaffee. Zum Feiern ist es noch zu früh. Aber man könnte es so deuten, dass sich soeben in Raum 212 des Landgerichts München I für die Einrichtung eine Wende abgezeichnet hat, die ihre Existenz an der Tulbeckstraße 4 f sichern könnte.

Verhandelt wurde die Räumungsklage gegen den Mieter des Hauses, den Verlag "Das Freie Buch". Kläger ist die Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung (MGS). Und dieser bescheinigte Richter Andreas Wiedemann, den Rauswurf bislang nur unzureichend sachlich dargelegt zu haben. Bis 13. Dezember hat die MGS unter anderem dafür Zeit. Dann soll das Urteil fallen.

Ist die Räumungsklage, die die städtische Tochter MGS für Ende 2016 dem Verlag samt Druckerei und dessen Chef Stephan Eggerdinger übermittelt hat, rechtens oder nicht? Um diese Frage geht es am Freitag vor Gericht. Im Februar 2017 hatte die Mehrheit von CSU und SPD im Stadtrat bereits nach erstaunlich klassenkämpferischem Getöse auf der Kündigung beharrt. CSU-Vertreter argumentierten etwa damit, "Verfassungsfeinden" und "Kommunisten" keine städtischen Räume überlassen zu wollen. Entzündet hatte sich ihr Eifer daran, dass seit 40 Jahren unterm Dach mit der roten Fahne linke Initiativen wie der Verein zum Wiederaufbau der KPD beheimatet sind.

Doch der Nachweis für eine "politische oder weltanschauliche" Motivation, so der Richter, sei schwer zu führen. Vielmehr legte er den Fokus auf "sachgerechte Erwägungen", die es brauche, wenn ein Unternehmen der öffentlichen Hand wie die MGS eine Räumungsklage ausspreche. Denn im Gegensatz zu Privateigentümern müssten sich Staat oder Stadt von "sachgerechten Erwägungen leiten lassen", sonst sei das Verhalten willkürlich. Es greife die "sekundäre Darlegungslast, und die ist bisher nicht erfüllt". Die Klageschrift der MGS sei "sehr knapp formuliert". Argumentiert werde mit "sozial verträglicher Nutzung für Wohnungszwecke". Stattdessen hätten die Beklagten nachvollziehbar dargelegt, dass das verwinkelte Haus im Hinterhof nicht wirtschaftlich in bezahlbaren Wohnraum umgewandelt werden könne. Selbst das Planungsreferat sei einmal zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen.

Der Richter blättert und blättert in Stadtrats-Unterlagen, alten Stellungnahmen städtischer Referate, findet nicht, was er sucht: "Da kann man erhebliche Zweifel kriegen, ob bezahlbarer Wohnraum hier überhaupt umsetzbar ist." Mit sieben Wohnungen kalkulierte die Stadt einmal auf dem Grundstück im verwinkelten Hinterhof. "Ich verstehe nicht", sagt Wiedemann zur stillen Anwältin der Klagepartei hin, "warum Sie bis zur Räumung warten wollen mit Argumenten? Können'S das nicht verkaufen, so lange die Mieter drin sind?" Und er schickt freundlich, aber bestimmt eine Prognose nach: "Wenn der Räumungsprozess bis zum BGH geht, dauert das mindestens fünf Jahre." Doch an neuen Details ist während der Verhandlung von den Vertretern der Klage nicht viel mehr zu hören als: "Planerisch ist das nicht ganz klar, aber wir haben erheblichen Wohnraummangel in der Stadt." Laut Stadtratsbeschluss soll die Tulbeckstraße 4 f von der MGS an die städtische GWG übertragen werden, damit die dort Mietwohnungen errichtet. Gegen die Räumungsklage hat der Verlag Widerklage erhoben. Vom Richter nach Lösungen des Konflikts befragt, schlägt Stephan Eggerdinger zweierlei vor: "Nach wie vor haben wir Interesse am Kauf des Hauses. Ein Vertrag war 2012 unterschriftsreif." Vorstellbar sei ein Erbpachtvertrag. OB Dieter Reiter (SPD) bestätigt diese am 21. September ihm zugegangene Kaufabsicht. Er verweist am Donnerstagnachmittag aber auf die "nach wie vor gültige" Beschlusslage des Stadtrats, dass das Grundstück für Wohnnutzung verwendet werden solle. Bisher habe sich an dieser Sachlage nichts geändert.

Auch Sibylle Stöhr (Grüne), Chefin des Bezirksausschusses Schwanthalerhöhe, der das rote Haus unterstützt, steht nach der Verhandlung in der Traube vor dem Justizpalast. "Heute ist klar geworden, worum's uns, abgesehen von der politischen Geschichte, auch geht: Sachlich kann uns keiner sagen, was geplant ist."

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