Prozess:Wer für die Betreuung junger Flüchtlinge zahlen muss

Prozess: Das Young Refugee Center an der Marsstraße wurde im vergangenen Jahr eröffnet. Beherbergt hat es aber viel weniger Flüchtlinge als ursprünglich gedacht. Wegen der Betreuungskosten gibt es nun Ärger.

Das Young Refugee Center an der Marsstraße wurde im vergangenen Jahr eröffnet. Beherbergt hat es aber viel weniger Flüchtlinge als ursprünglich gedacht. Wegen der Betreuungskosten gibt es nun Ärger.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Mehrere freie Jugendhilfe-Träger fordern von der Stadt eine Millionensumme für ihr Personal, das im Auftrag des Sozialreferats Tausende unbegleitete geflüchtete Kinder und Jugendliche betreut hat.
  • Die Stadt München erkennt die Rechnungen aber nicht an.
  • Im Sozialreferat geht man davon aus, dass zu viele Betreuer in der Flüchtlingshilfe eingesetzt worden sind.

Von Thomas Anlauf

Es ist noch keine zwei Jahre her, da feierte München auf dem Königsplatz die große Hilfsbereitschaft und den Einsatz Tausender Helfer auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle. Oberbürgermeister Dieter Reiter sang mit der Band Dreiviertelblut "Mia san ned nur mia", Herbert Grönemeyer rühmte den Zusammenhalt.

Ohne die gemeinsamen Anstrengungen von Ehrenamtlichen, Verbänden, Rettungskräften und Stadtverwaltung wäre der Kraftakt niemals gelungen, lobten damals alle Seiten. Heute ist die Stimmung zwischen dem Sozialreferat und mehreren freien Jugendhilfe-Trägern auf dem Tiefpunkt. Sie fordern von der Stadt eine Millionensumme für ihr Personal, das im Auftrag des Sozialreferats Tausende unbegleitete Kinder und Jugendliche betreut hat. Doch die Stadt erkennt die Rechnung nicht an. Mittlerweile streitet man sich vor Gericht.

Bereits im Januar zog die Heilpädagogisch-psychotherapeutische Kinder- und Jugendhilfe (HPKJ) vor das Verwaltungsgericht. Von "strittigen" und "unstrittigen" Beträgen war die Rede: Strittig sind demnach die Personalkosten, die über den mit der Stadt vereinbarten Betreuungsschlüssel hinaus entstanden. Doch der Verein, der gemeinsam mit weiteren freien Trägern für die Stadt die Betreuung jugendlicher Flüchtlinge übernommen hatte, wirft dem Sozialreferat nun vor, dass es "noch nicht mal die Zahlungen für das Personal leistet, das nach dem vereinbarten Schlüssel für die Betreuung eingesetzt war".

Wie Angela Bauer, geschäftsführender Vorstand der HPKJ, sagt, hat der Verein hohe Außenstände, insgesamt fordern die freien Träger nach eigenen Angaben 2,8 Millionen Euro, nur für diese laut Bauer "unstrittigen" Personalkosten. Laut Stadtratsbeschluss sollten das Geld längst überwiesen sein. "Wir haben ja unsere Mitarbeiter ausbezahlt", sagt Bauer.

Doch im Sozialreferat geht man nun davon aus, dass in der Vergangenheit viel zu viele Betreuer in der Flüchtlingshilfe eingesetzt worden sind. Sozialreferentin Dorothee Schiwy macht daher eine Gegenrechnung auf. In einem Schreiben vom 29. Juni, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, teilt Schiwy mit, es sei nicht dokumentiert worden, welche Personen wann tatsächlich im Young Refugee Center gearbeitet hätten.

Und womöglich seien einige Mitarbeiter nicht so qualifiziert gewesen wie angegeben. "Eine weitere Kürzung hatte daher zu erfolgen", schreibt Schiwy. Bauer widerspricht: "Alle abgerechneten Fachkräfte wurden nach der zutreffenden Pauschale abgerechnet." Die Streichliste des Sozialreferats umfasst vier Seiten. Am Ende bleibt von den geforderten 2,8 Millionen Euro nicht nur gar nichts übrig, das Sozialreferat fordert seinerseits sogar 4828,29 Euro.

Die Aktenauszüge waren ungeeignet für ein Verfahren

Detaillierte Belege dafür, wo genau zu viel abgerechnet worden sei, legt es keine bei. Eine Anfrage der Verbände, diese doch nachzuliefern, um die Kürzungen zu überprüfen, blieb laut Bauer bislang unbeantwortet. "Unfassbar, mit welcher bürokratischen Kaltschnäuzigkeit hier die Tatsachen verdreht werden", sagt sie. "Das Jugendamt hatte selbst keinerlei Überblick über das Personal", habe aber stets neue Einsätze an verschiedenen Orten gefordert. "Das ist eine Absicherung von Frau Schiwy, nicht selbst im Amt zu wackeln, anders kann ich mir das nicht erklären."

Die Stadtrats-Grünen fordern deshalb vom Sozialreferat, "umgehend den seit Oktober 2016 noch immer ausstehenden Betrag für erbrachte Leistungen" auszuzahlen. Gülseren Demirel, Fraktionschefin der Grünen, ist entsetzt. "Das sind doch bewährte Träger. Wie kann das sein, dass man sie so im Regen stehen lässt?" Dank der "guten und unkomplizierten Zusammenarbeit zwischen Trägern und Verwaltung hat München weltweit viel Anerkennung erhalten für den gelungenen Umgang mit dieser Ausnahmesituation", findet Demirel. Zwar sei die Richtigkeit von einigen Verträgen zwischen der Stadt und den freien Trägern im Nachhinein angezweifelt worden, "dies kann jedoch nicht den Trägern, die schnell und unbürokratisch eingesprungen sind, angelastet werden".

Doch darum geht es offenbar im Sozialreferat. Die Zahl der jugendlichen Flüchtlinge ging seit Anfang 2016 deutlich zurück. Allerdings war unklar, ob nicht eine neue Flüchtlingswelle auf München zukommen würde. So wurden Zusatzverträge unterschrieben, die einerseits deutliche Personalkürzungen bei den Trägern vorsahen, andererseits sollte es offenbar für den Notfall eine Personalreserve geben.

Bauer betont, dass die Träger wie vereinbart "innerhalb eines Jahres 380 Stellen abgebaut haben, ohne Geschrei. Das soll uns erst mal jemand nachmachen." Das Sozialreferat jedoch erklärt in einer Stellungnahme, dass die Träger Rechnungen gestellt hätten, die die Ansprüche "bei Weitem übersteigen. Deshalb mussten die Zahlungen des Sozialreferats teilweise zurückgefordert und verrechnet werden".

Das Verwaltungsgericht in München gab dem Sozialreferat in erster Instanz weitgehend recht: Die HPKJ dürfe nur das unstrittige Personal abrechnen. Der Verein hat dagegen Beschwerde eingelegt und zieht vor den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Der hat nun mitgeteilt, dass demnächst mit einer Entscheidung zu rechnen ist.

Bei der Gelegenheit monieren die Richter, dass "die Aktenauszüge (1 Ordner)", die das Referat ihnen vorgelegt habe, für das Verfahren am Verwaltungsgerichtshof nicht geeignet seien. Das Gericht fordert das Sozialreferat auf, sämtliche Akten über die Vertragsabschlüsse mit der HPKJ und den weiteren Trägern bis zu diesem Mittwoch "ohne eine wie auch immer geartete Vorauswahl vollständig" vorzulegen.

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