Süddeutsche Zeitung

Prozess wegen Ehrenmord:Tödliche Rache

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Sie wollten die "Ehre" der toten Schwester retten. Drei türkischstämmige Angeklagte sollen ihren Cousin erschlagen und erdrosselt haben.

S. Handel

Lange waren die drei Brüder getrennt, mehr als ein halbes Jahr konnten sie sich nicht sehen. Nun sind sie wieder beisammen - allerdings nicht zur lustigen Familienfeier: Seit dem gestrigen Dienstag müssen sich Osman, Turan und Senol Ü. vor dem Schwurgericht verantworten. Sie sind des Mordes an ihrem Cousin Cavus Ü. angeklagt.

Die Tat liegt 23 Jahre zurück; im Dezember 1986 wurde Cavus Ü. in seinem Auto auf einem Weg im Deisenhofener Forst gefunden - erschlagen und erdrosselt. Schon damals gerieten seine Verwandten ins Visier der Ermittler, jedoch gelang es der Kripo nicht, ihnen den Mord nachzuweisen.

Die Beamten sicherten seinerzeit eine DNS-Spur an der Leiche. Und weil die kriminalmedizinischen Methoden im Vergleich zu den achtziger Jahren mittlerweile weit fortgeschritten sind, konnte diese Spur nun als von Osman Ü. stammend identifiziert werden. Im Mai des vergangenen Jahres nahm die Polizei ihn und Turan fest, einen Monat später Senol.

Die drei sollen seinerzeit ihren 26-jährigen Cousin in die Wohnung Turans gelockt haben, damit er einen angeblich defekten Wasserhahn repariert. Als Cavus sich bückte, so die Anklage, sollen sie ihn mit einer Stange auf Kopf, Nacken, Schulter und Rücken geschlagen haben.

Anschließend sollen sie ihm eine Plastiktüte über den Kopf gezogen und ihn mit einer Schnur erdrosselt haben. Danach fuhr ihn Senol in den Deisenhofener Forst, stellte das Auto ab und ließ sich von Osman zurückbringen.

Das Motiv für die Tat sieht die Staatsanwaltschaft in einer Familiengeschichte: Cavus war mit Melahat verheiratet, der Schwester der Angeklagten. Daneben hatte er jedoch auch noch eine Affäre - und deshalb soll Melahat Selbstmord begangen haben, wenn sie nicht gar von ihrem Ehemann umgebracht wurde. Um ihre Schwester zu rächen und die Ehre der Familie wiederherzustellen, sollen die drei ihren Cousin ermordet haben.

In der DNS-Spur hat die Staatsanwaltschaft ein starkes Beweisstück, vor allem, weil Osman in einer Vernehmung behauptet hat, er habe Cavus vor dessen Tod ein halbes Jahr nicht gesehen - eine Behauptung, die durch die Spur widerlegt ist. Zudem wird Senol Ü.s geschiedene Frau im Prozess eine wichtige Rolle spielen; ihr soll er die Tat gestanden haben.

Dennoch - es bleibt ein Indizienprozess. Deshalb tun die Angeklagten das, was kluge Anwälte ihren Mandanten in solchen Fällen immer raten: Sie schweigen und sagen zur Sache kein Wort. So bleibt dem Gericht am ersten Verhandlungstag nicht sehr viel mehr, als die Lebensläufe der Brüder abzufragen, was sich als sehr mühsam herausstellt: Denn Osman und Senol beherrschen auch nach Jahrzehnten die deutsche Sprache noch nicht so gut, dass sie sich ohne Dolmetscher verständigen könnten.

In den siebziger Jahren kamen sie nach Deutschland, arbeiteten mal hier, mal da, erlebten persönliche Höhepunkte und persönliche Dramen. Nichts Besonderes also, wenn man davon absieht, dass sie sich von ihrem Dorf in der Türkei wohl nie so richtig lösten, immer wieder dorthin zurückkehrten und wohl auch die Wertvorstellungen der Dorfgemeinschaft weiter in sich trugen.

60, 53 und 51 Jahre alt sind die Gebrüder Ü. Wenn sie nach vorerst zehn angesetzten Verhandlungstagen verurteilt werden, droht ihnen lebenslange Haft. Zumindest Osman weiß, wie es im Gefängnis zugeht: Er sitzt gerade zweieinhalb Jahre ab, wegen Zuhälterei.

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Quelle:
SZ vom 24.02.2010
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