Presserecht ist Erbsenzählerei, da wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Kein gutes Terrain für blumige Ausführungen eines Wahrsagers. Das musste am Dienstag Daniel Kreibich vor dem Pressesenat am Oberlandesgericht München erfahren. Der 32-Jährige liegt mit Bild im Clinch: "Er gehört zu den größten Scharlatanen im TV", musste der Mann, der sich selbst als Europas Star-Hellseher bezeichnet, in der Onlineausgabe der Boulevardzeitung lesen.
Das soll Bild unterlassen, forderte er und will 15 000 Euro Geldentschädigung. Denn der Mann betrachtet sich selbst als "höchst seriös". Die drei Richterinnen, deren Arbeitsalltag aus Paragrafen besteht, verzogen in der ausführlichen Verhandlung selbst beim Stichwort "Jenseits- und Engelskontakte" keine Miene. Wer so etwas behaupte, machten sie aber dann Kreibich klar, müsse harte Kritik ertragen können. Ob der das vorausgesehen hat?
"Ich werde wie ein Betrüger hingestellt"
Esoterik hat mit Glauben zu tun. Auch mit dem Wunsch, etwas voraussehen zu können - etwa, ob die neue Liebe von Dauer sein wird. Die Richterinnen des 18. Senats kennen sich nur in anderer Form mit dem Blick auf Morgen aus: "Wir sind auch im grauen Kapitalmarkt", beschrieb die Vorsitzende Richterin Eva Spangler den Aufgabenbereich ihres Senats. "Da müssen wir uns auch mit Prognosen und Voraussagen beschäftigen." Von daher wisse der Senat genau: "Es gibt keine zukünftigen Tatsachen - mit der Ausnahme, dass jeder sterben muss."
Medizin und Wahnsinn (109):Leiden der Hellseher
Lichtirritationen und Sehschwäche könnten die eigentlichen Ursachen für Hellseherei sein - Wahrsager würden wohl widersprechen.
Kreibichs Rechtsanwalt Norman Synek versuchte zu erklären, dass mit Esoterik - "wie im Bereich des Glaubens" - keine wissenschaftliche Auseinandersetzung möglich sei. Andernfalls könne man genau so gut jeden Geistlichen "als Scharlatan an den Pranger stellen". Woran man glauben wolle, sei "letztlich die bewusste Entscheidung des Einzelnen".
Kreibich beklagt, dass die schlechte Presse, die beim Googlen nach seinem Namen an vorderster Stelle auftauche, für ihn existenzgefährdend sei. "Ich werde wie ein Betrüger hingestellt", sagte er. Zu seiner Klientel gehören nach eigenen Angaben Schauspieler, Künstler, Sportler und Manager. Auch bei der Prominenz sei er als Ratgeber "heiß begehrt". Er werde sogar um Rat gebeten zu den "intimsten Fragen zu Liebesbeziehungen der Stars". Mit 180 Euro pro Stunde sei er gemessen an Kollegen preisgünstig.
Wer Star sein will, muss auch Kritik ertragen
Kreibich, der zum Zeitpunkt des Bild-Artikels regelmäßig bei Astro TV, RTL und NTV zu sehen war, hat nach eigenen Angaben weltweit rund 25 000 Stammkunden, wie die Senatsvorsitzende staunend feststellte: "Das ist ja wahnsinnig viel - damit wird viel Geld gemacht." Aber für so manche Leute sei es ja schon toll, wenn ihnen - auch für Geld - mal jemand zuhöre, stellte die Richterin nüchtern fest. "Aber gleich auch mit Kontakt ins Jenseits", wunderte sie sich.
Das Gericht machte Kreibich deutlich, dass sich jemand, der sich selbst als Star in Europa darstelle, herbe Kritik wie "größter Scharlatan" zu akzeptieren habe: "Wir meinen, dass Sie diese Bewertung hinnehmen müssen." Das Gericht schaute sich ein Video an, auf dem der Hellseher einer Anruferin mit Hilfe seiner Kristallkugel bei der Lösung eines Beziehungsproblems half: Dem Zuschauer stellte es sich in etwa so dar, als habe er eine Art falsches Energiezentrum in den Griff bekommen.
Vorausslichtlich muss Bild nur wenige Details unterlassen
"Wer so etwas tut und behauptet, muss sich auch harte Bewertungen gefallen lassen", betonte der Senat noch einmal. Bild könne sich mit seiner Darstellung durchaus auf das Informationsinteresse der Allgemeinheit berufen. Für den Hellseher war es dabei nicht gerade hilfreich, dass er plötzlich selbst das Wort ergriff und ungeschminkt einräumte, dass solche Szenen im Fernsehen nicht immer echt seien.
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"TV ist auch immer Show", sagte er. Er habe Vorgaben des Senders erfüllen müssen. Bei seinen persönlichen Beratungen sei das natürlich ganz anders, da nehme er sich viel Zeit für seine Klienten. "Er macht, was viele machen", sagte sein Anwalt. "Aber das rechtfertigt nicht, dass er der größte Scharlatan sein soll." "Nur einer der Großen", bemerkte die Vorsitzende.
An Bild wird wohl lediglich eine eher unwichtige Unterlassung hängen bleiben: Das Blatt darf ohne Beweis nicht weiter behaupten, dass Kreibich regelmäßig Schönheitschirurgen besucht und dafür je 2500 Euro bezahlt habe, sich dabei auch noch filmen ließ.