Prozess um Verkehrsunfall:Verloren zwischen Paragraphen

Eine ungarische Autofahrerin verletzt eine Münchnerin, die Versicherung verspricht die Regulierung des Schadens, doch am Ende ist das Opfer die Dumme. Sigrid B. muss erleben, dass man zwar im Recht sein kann, es aber noch lange nicht bekommen muss.

Ekkehard Müller-Jentsch

Rechtsprechung und Gerechtigkeit - für Sigrid B. passt das gar nicht mehr zusammen. Die Münchnerin war Opfer eines alltäglichen Verkehrsunfalls. Nun muss sie erleben, dass man zwar im Recht sein - und doch von Fallstricken im Paragrafen-Dschungel zu Fall gebracht werden kann.

Die Physiotherapeutin war im Mai 2007 in der Denninger Straße von einer ungarischen Autofahrerin "vom Motorroller geholt worden", wie sie es ausdrückt. Sie erlitt einen Schlüsselbeinbruch und eine schwere Amnesie - kann sich an den Crash also nicht mehr erinnern. Selbst die Allianz-Versicherung räumte bald darauf in einem Brief an eine staatliche Behörde ein: "Das Alleinverschulden der bei der Allianz Hungaria versicherten Fahrerin ist unstreitig." Und die in Unterföhring sitzende Assekuranz erklärt weiter: "Wir regulieren diesen Schaden für die Allianz Hungaria." Den reinen Fahrzeugschaden hatte sie da bereits erstattet.

Gestritten wurde aber noch um den Verdienstausfall der Selbstständigen sowie Schmerzensgeld. Darüber entschied dann das Landgericht München I. Die Verkehrsrichterin stellte die Alleinschuld der Ungarin fest und wertete auch "die vorbehaltlose Regulierung des Sachschadens als Schuldanerkenntnis". Sie verurteilte die Versicherung zur Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz.

Es war zwar weniger als erhofft, doch Sigrid B. nahm diese Beträge - wenn auch zähneknirschend - als akzeptabel hin. Seit dem Unfall waren schon fast vier Jahre vergangen: Rund 10.000 Euro Anwaltskosten und ein noch höherer Verdienstausfall hatten die Selbstständige auch finanziell zermürbt. Doch ihre Hoffnung, nun bald wieder Ruhe zu haben, zerstob: Der Anwalt der Versicherung legte beim Oberlandesgericht Berufung ein, nannte das Urteil der ersten Instanz "ungereimt und wirr".

Der OLG-Verkehrssenat gab ihm zur völligen Überraschung von Sigrid B. Recht. Die Frau habe überhaupt keinen Anspruch gegen die deutsche Allianz, urteilten die OLG-Richter - diese sei die falsche Beklagte. Der Münchner Konzern sei lediglich als "Regulierungshelfer" aufgetreten. Dass dieser "auf freiwilliger Basis" für die Allianz Hungaria Schadensersatz bezahlt habe, mache ihn noch lange nicht zum korrekten Anspruchsgegner in diesem Rechtsstreit.

An dieser Stelle erfuhr Sigrid B. erstmals vom "Deutschen Büro Grüne Karte". Das ist für Unfälle zuständig, die ein ausländischer Fahrer in Deutschland verursacht hat. Dieser Verein, erklärte das Gericht nun, wäre der richtige Beklagte gewesen. All dies habe das Landgericht verkannt. Sigrid B. hatte beim Lesen dieses Urteils das Gefühl, jahrelang mit Zusagen hingehalten worden zu sein - um sie dann in ein Messer laufen zu lassen.

Ihr Anwalt will trotz der "erheblichen Änderung der Haltung der Allianz" nicht aufgeben und das Urteil aus erster Instanz vollstrecken. Er beruft sich auf einen weiteren Brief, in dem die Allianz ihm zugesichert hat, nach Abschluss des Prozesses den Unfall endgültig abrechnen zu wollen - damit habe sich die Versicherung selbst als richtiger Prozessgegner zu erkennen gegeben, meint der Rechtsanwalt.

Sigrid B. versteht die Welt nicht mehr - jedenfalls nicht die der Juristen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: