Süddeutsche Zeitung

Prozess um notorischen Schwarzfahrer:Kein Ticket, keine Einsicht, keine Strafe

  • Dirk Jessen kauft aus Prinzip keine Fahrkarten. Stattdessen sitzt er mit einem Schild in der S-Bahn, das ihn als Schwarzfahrer ausweist.
  • Nach einer Kontrolle landet er vor Gericht - und hat dort Glück. Das Verfahren wurde eingestellt.

Von Ekkehard Müller-Jentsch

Dirk Jessen aus Gilching, Schwarzfahrer aus Überzeugung, ist am Montagnachmittag mit einem blauen Auge davongekommen: Das Landgericht München II hat das Strafverfahren gegen den 45-jährigen Frührentner nach einer zunehmend grotesker wirkenden Verhandlung eingestellt. Dabei zeigte Regina Holstein, Vorsitzende der 9. Strafkammer, ihren eigenen Sinn für Humor: An die Organisation der Klinik-Clowns muss Jessen 40 Euro überweisen, damit das Verfahren endgültig ad acta gelegt werden kann. Eine passende Adresse, denn der Auftritt des Angeklagten und seiner Anhängerschaft im Zuschauerraum erinnerte zuweilen an kichernde Jungs beim Klassenausflug.

Der notorische Schwarzfahrer hatte für Schlagzeilen gesorgt, weil er nicht etwa klammheimlich ohne Fahrschein in Bussen und Bahnen sitzt; vielmehr pflegt er sich ein Schild um den Hals zu hängen: "Ich fahre umsonst". Oder, wie am Montag: "Ich fahre schwarz". Er hält das für einen juristischen Trick, weil sich nur derjenige eine Leistung "erschleichen" könne, der das klammheimlich tue. Mit seinem offenkundigen Hinweis glaubt er sich gefeit gegen Strafen.

Nachdem der von Grundsicherung lebende Schwerbehinderte - ihm fehlt der linke Arm - vor einem Jahr in einer S-Bahn ohne Ticket erwischt wurde, kämpft er gegen die Strafverfolgung wegen Leistungserschleichung. Einen Strafbefehl über 15 Tagessätze zu je 25 Euro nahm er nicht an und wurde daraufhin vom Amtsgericht Starnberg zu fünf zusätzlichen Tagessätzen verdonnert: Denn der Angeklagte habe sich nicht einsichtig gezeigt. Einsicht will Jessen auch weiterhin keine zeigen, sondern grundsätzlich Fahrkarten abschaffen.

Warum das Verfahren eingestellt wurde

Die Berufungsverhandlung uferte zur Grundsatzdebatte aus über die Frage, wann Zuschauer sich vor Gericht zu erheben hätten. Außerdem bestand Jessen auf die Hilfe eines Laienverteidigers, der sogleich darauf beharrte, dass es "Schwarzfahren" gar nicht gebe.

Ein Kontrolleur, angehört als Zeuge, hätte Jessens Verteidigungsstrategie mit dem Hinweisschild fast zu Fall gebracht: Der Mann konnte sich nämlich an die Ich-bin-ein-Schwarzfahrer-Tafel gar nicht erinnern. Irgendwelche Schilder seien ihm "wurscht", solange sich die Leute friedlich verhielten, meinte er.

Es gehe doch nur um 5,20 Euro Fahrgeld, bemerkte schließlich die Vorsitzende. Ob der Staatsanwalt zustimme, diese Geringfügigkeit einzustellen? Obwohl es ihn "in den Fingern juckt", stimmte der Ankläger schließlich zu. Zumal der Angeklagte an diesem Tag nicht schwarz fahren konnte: Er hatte auf Staatskosten ein Tagesticket zur Fahrt nach München erhalten.

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SZ vom 03.03.2015/mmo
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