Prozess um Mordversuch an Obdachlosem:Ende eines Seitensprungs

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Offenbar führte sie ein Doppelleben: Eine 40-Jährige steht wegen versuchten Mordes vor Gericht, weil sie im Rausch auf einen Obdachlosen eingestochen hat. Nach einer angeblichen Affäre mit dem Mann wollte die Drogenabhängige so ihre Ehe retten.

Von Christian Rost

Der Mann war zu Hause und kümmerte sich um die Kinder. Die Mutter jagte derweil ihren Tabletten hinterher. Mit Antidepressiva, Aufhellern, Alkohol und auch illegalen Drogen versetzte sie sich tagtäglich in Rauschzustände. Durch die Sucht geriet sie alsbald in ein Milieu, das ihren sozialen Abstieg beförderte: Seit Mai 2012 sitzt die 40-Jährige in Untersuchungshaft, und seit diesem Montag muss sie sich wegen versuchten Mordes am Landgericht München I verantworten. Laut Staatsanwaltschaft hatte sie mit einem Obdachlosen eine Affäre begonnen und schließlich auf ihn eingestochen, damit der Ehemann nichts von dem Seitensprung erfuhr.

Die aus der Türkei stammende Angeklagte führte offenbar ein Doppelleben. Trotz ihrer massiven Abhängigkeit hängt sie an ihrer Familie. Vor Gericht wurde das deutlich, als sie mit tränenerstickter Stimme beklagte, dass sie ihre Kinder seit fast zehn Monaten nicht mehr gesehen habe. Ende 2011 ließ sie sich aber mit einem Mann ein, der in einem Männerwohnheim an der Chiemgaustraße lebte.

Man saß zusammen in Bierstüberln und trank, und auch die Tabletten für ihre Sucht soll die Frau von ihrer Bekanntschaft bekommen haben. Ihrem 50-jährigen Ehemann, dem das Verhältnis missfiel, versuchte sie einzureden, dass sie dem Obdachlosen nur freundschaftlich verbunden sei. Als der Ehemann aber von Bekannten hörte, dass der Nebenbuhler sogar Nacktfotos von seiner Frau habe, eskalierte die Situation.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die 40-Jährige nun mit aller Macht ihre Ehe retten wollte. So erzählte sie ihrem Mann, sie sei von dem Obdachlosen vergewaltigt worden. Die Nacktbilder seien gegen ihren Willen entstanden. Um den Wahrheitsgehalt ihrer Angaben zu unterstreichen und um sich scheinbar für die vermeintlichen Übergriffe zu rächen, soll sie sich schließlich dazu entschlossen haben, ihren Geliebten umzubringen, so die Staatsanwaltschaft.

Am 8. Mai 2012 gegen 20.24 Uhr ging die Angeklagte zusammen mit ihrem Ehemann zu dem nur zehn Minuten Fußweg entfernten Männerwohnheim. Sie läutete an der Pforte, suchte den Obdachlosen auf, der am Arm eine Gipsschiene trug und somit gehandicapt war, und lotste ihn zu einer "Aussprache" ins Freie. Vor dem Wohnheim soll die Frührentnerin unvermittelt ein Klappmesser gezogen und mit den Worten "Du Schwein, ich stech dich ab" auf den Liebhaber losgegangen sein.

Es kam zu einem Gerangel, in das sich auch der Ehemann einmischte und mit Fäusten auf den Obdachlosen einprügelte. Als der Mann zurück ins Wohnheim flüchten wollte, soll ihm die Angeklagte nachgesetzt und das Messer in den Rücken gestoßen haben. Zwei Zentimeter tief drang die Klinge in den Rücken des Opfers ein. Weitere Attacken verhinderte der herbeigeeilte Pförtner der Einrichtung.

Vor Gericht leugnete die Frau ein Verhältnis zu dem Obdachlosen. Es stimme aber, dass sie von ihm Tabletten bekommen habe. Zweimal soll sie der Mann auch sexuell bedrängt haben. Sie habe sich aber auf nichts eingelassen. Den Messerstich räumte die Frau ein. Es sei ein "Blackout" gewesen, wegen der Medikamente und Drogen könne sie sich an Details aber nicht mehr erinnern.

Der Vorsitzende Richter der vierten Strafkammer, Norbert Riedmann, bezweifelte die Angaben: "Bei der Polizei haben Sie etwas völlig anderes erzählt", so der Richter. Die Angeklagte meinte dazu nur: "Ich stand unter Drogen."

Der Ehemann sitzt ebenfalls auf der Anklagebank im Landgericht - wegen seiner Faustschläge muss er sich gefährliche Körperverletzung vorwerfen lassen. Während der Aussage seiner Frau blickte er traurig zu Boden.

© SZ vom 26.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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