Prozess um Doppelmord von Krailling:Psychiater hält Angeklagten für schuldfähig

Seit zwei Monaten muss sich Thomas S. in München vor Gericht verantworten, er soll seine zwei Nichten brutal getötet haben. Der Angeklagte schweigt bislang - und fällt vor allem durch sein selbstbewusstes Grinsen auf. Nun stellt der Gerichtspsychiater sein vorläufiges Gutachten vor: Demnach gibt es keine Hinweise auf eine verminderte Schuldfähigkeit.

Anna Fischhaber

Thomas S. ist psychisch gesund. Das glaubt zumindest Henning Saß. Der renommierte Facharzt für forensische Psychiatrie vom Klinikum der Universität Aachen hat sich mit dem Angeklagten im vergangenen Jahr im Gefängnis unterhalten, zudem beobachtet er seit fast zwei Monaten den Prozess gegen den 51-Jährigen. An diesem Dienstagnachmittag stellt er sein vorläufiges Gutachten vor dem Landgericht München II vor. Die Vorwürfe gegen Thomas S. sind ungeheuerlich: Der Postbote soll aus Habgier auf seine beiden kleinen Nichten losgegangen sein und sie mit Messer, Hantel und Seil brutal getötet haben.

Fortsetzung Prozess Doppelmord Krailling

Thomas S. soll seine beiden Nichten mit Seil, Hantelstange und Messer in deren Wohnung in Krailling brutal getötet haben. Doch der Psychiater hält ihn für "psychisch gesund".

(Foto: dpa)

Angesichts dieser Vorwürfe habe sich der Angeklagte im Gespräch unangemessen verhalten, berichtet Saß - Thomas S. habe sogar "gewitzelt". Wesentliche Erkrankungen konnte der Psychiater aber nicht feststellen. "Da gab es nichts, was auf eine Hirnschädigung hindeuten könnte", sagt er. Auch auf psychologischem Gebiet hat er keine Auffälligkeiten entdecken. Es gebe keine Anzeichen für eine Psychose oder Verstimmungen, die auf eine Zwangsstörung oder Depression hinweisen. Auch auf einen Missbrauch von Alkohol oder Drogen deute nichts hin.

Bemerkenswert sei, dass Thomas S. mit einem IQ zwischen 115 und 120 durchschnittlich intelligent sei, dennoch sei er kein besonders guter Schüler gewesen. Ähnlich lasse sich der gesamte Lebensweg des Angeklagten beschreiben - Thomas S. hat einige Semester studiert, zuletzt arbeitete er aber als Postbote. "Wir sehen hier eine gewisse Diskrepanz zwischen Fähigkeiten auf der einen Seite und Durchhaltevermögen auf der anderen", sagt Saß.

Mit der Familie seiner Frau habe es von Anfang an Probleme gegeben - Auseinandersetzungen seien aggressiv aufgeladen gewesen. Zudem attestiert er dem Angeklagten eine gewisse Egozentrik. So habe Thomas S. eine Depression vorgetäuscht, nur um nicht bei der Bundeswehr eingezogen zu werden. Der 51-Jährige trage "deutlich selbstsichere und prahlerische Züge", hatte bereits am Montag eine Psychologin ausgesagt, die den Angeklagten ebenfalls in der Haft untersucht hatte. So habe er seinen bevorstehenden Prozess von der medialen Bedeutung her mit jenem gegen Wettermoderator Jörg Kachelmann verglichen.

"Du musst nicht grinsen, das ist die Wahrheit"

Saß beschreibt den mutmaßlichen Doppelmörder nun als einen Mann, der sich selbst überschätzt, der leicht aufbraust, der zu draufgängerischem Handeln neige. Auf die Frage, ob die Wesenszüge mit den Vorwürfen zusammenpassen, sagt er: Falls zutrifft, was dem Angeklagten vorgeworfen wird, zeige die Tat in Krailling Merkmale, die mit Thomas S. in Einklang zu bringen seien. Der 51-Jährige schweigt vor Gericht bislang. Doch viel spricht gegen ihn - so wurden seine Fingerabdrücke und sein Blut am Tatort gefunden. Ihm droht also eine lange Haftstrafe, dennoch präsentiert er sich im Gericht selbstsicher. Oft grinst er.

Auch an diesem Dienstag. Als Zeugen sind am Vormittag unter anderem zwei Mithäftlinge geladen. Direkt gestanden habe Thomas S. die Morde nie - stattdessen habe er stets von einem ominösen Täter gesprochen, berichtet der eine. Und er habe dauernd Scherze über die Ermittlungen gemacht, etwa dass die Polizei glaube, er sei mit der S-Bahn zum Tatort gefahren. Der Tod der Nichten habe ihn offenbar nicht berührt. "Er ist eiskalt", sagt der Mann. Und dann zu Thomas S., der gar nicht mehr aufhört zu lächeln: "Du musst nicht grinsen, das ist die Wahrheit."

Ein Polizist schildert die Vernehmung des Angeklagten nach seiner Verhaftung. Thomas S. habe die Situation mit einem Pokerspiel verglichen - er habe die Scheißkarten in der Hand, die Luschen, und wisse nicht, was die Beamten gegen ihn in der Hand hätten. Zudem berichtet der Polizist, wie Thomas S. zunächst oft Fragen verneint, auf Nachfrage dann aber die Antwort nochmals verändert habe. Am Tag danach hätten ihn nur noch zwei Sachen interessiert: ob seine Frau versorgt sei. Und wie Bayern gespielt habe. Schließlich habe er gebeten, nach Stadelheim gebracht zu werden - dort gebe es Radios.

Eine Sozialarbeiterin, die sich vor der Tat um die Familie des Angeklagten gekümmert hat, berichtet von der schwierigen Situation, in der sich Thomas S., Ursula S. und ihre vier gemeinsamen Kinder befanden. Die Frau war an Krebs erkrankt, der zweitälteste Sohn brauchte eine Lebertransplantation. Zudem habe die Familie vorübergehend in einer Ferienwohnung gewohnt. "Ich hatte den Eindruck, dass es schwierig war für alle Beteiligten", sagt die Frau. Vor allem für den ältesten Sohn, der sich um seine Geschwister habe kümmern müssen.

Verteidiger will Ehefrau nochmals in den Zeugenstand holen

Am Montag hatte bereits der Ermittlungsrichter ausgesagt, der Ursula S. und den ältesten Sohn vernommen hatte. Nach dem Tod der Mädchen, auf die auch mit einer Kurzhantelstange eingeschlagen wurde, habe die Frau gefragt, ob die Kurzhantelstange in der Garage noch da sei. In diesem Augenblick sei sein Vater "total plemplem ausgerastet", habe der Junge gesagt, erklärte der Ermittlungsrichter. Zudem schilderte der Zeuge, wie die 45-Jährige ihrer früheren Aussage bei der Polizei widersprach - und das Alibi für ihren Mann zurücknahm.

Der Polizei hatte Ursula S. gesagt, sie sei am Morgen nach der Mordnacht - wie immer - neben ihrem Mann aufgewacht, als um 5.45 Uhr der Wecker klingelte. Dem Ermittlungsrichter sagte sie hingegen, sie sei aufgewacht, weil ihr Mann angerufen habe. Der Postbote habe ihr gesagt, er sei schon zur Arbeit gefahren. "Sie war aufgeregt, sie war fahrig", berichtete der Ermittler.

Ursula S. war bereits als Zeugin in dem Prozess geladen gewesen, hatte jedoch vor Gericht die Aussage verweigert. Kaum hatte sie den Saal verlassen, gab sie den anwesenden Journalisten jedoch Interviews. Bereits kurz nach der Verhaftung ihres Mannes hatte sie dem Stern gesagt, sie halte ihren Mann für den Täter. Der Verteidiger will nun die Frau nochmals in den Zeugenstand holen. Das Gericht hat bislang nicht über den Antrag entschieden.

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