Süddeutsche Zeitung

Prozess um Doppelmord von Krailling:"Ihr Gesicht war so unwirklich friedlich"

Brutal soll Thomas S. seine kleinen Nichten getötet haben, nun steht er in München vor Gericht. Am dritten Prozesstag müssen die Mutter der getöteten Mädchen und ihr Lebensgefährte aussagen - und sich an das Unfassbare erinnern.

Anna Fischhaber

Die verkrampften Hände von Chiara, acht Jahre alt, wird er nicht mehr vergessen. Genau wie den blutigen Strick um ihren Hals. Und das Gesicht von Sharon, elf Jahre alt. An das erinnert sich der Zeuge noch genau: "Ihr Gesicht war so unwirklich friedlich." Als die Verteidigung ihn nach der Lieblingstochter seiner Freundin fragt, will er zunächst nicht antworten. "Nein, keine Lieblingstochter", sagte er dann.

Der Mann, selbst Vater, trägt einen schwarzen Rollkragenpulli und eine schwarze Hose, anfangs ist er kaum zu verstehen. Acht Jahre ist er mit der Mutter der getöteten Mädchen zusammen, acht Jahr ist Chiara alt geworden. Die Mordnacht hat er mit Anette S. in seiner Kneipe verbracht - nur wenige Meter vom Tatort entfernt.

Es ist ein schwerer Tag für die Mutter und ihren Lebensgefährten. Die beiden haben in der Nacht auf den 24. März 2011 die blutüberströmten Kinder in Krailling gefunden, an diesem dritten Prozesstag müssen sie sich vor dem Landgericht München II an die grausamen Details erinnern, müssen die Fotos vom Tatort noch einmal anschauen. Zumindest das Zusammentreffen mit dem mutmaßlichen Mörder bleibt ihnen aber erspart.

Laut Strafprozessordnung ist die Entfernung des Angeklagten aus dem Gerichtssaal nur in Ausnahmefällen möglich, etwa wenn für die Zeugen "in Gegenwart des Angeklagten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit besteht". Am Montagmorgen macht ein Psychologe zunächst deutlich, dass diese Gefahr durchaus besteht - er hatte die beiden vergangene Woche untersucht. Günther Lauber attestiert der Mutter wie ihrem Lebensgefährten eine posttraumatische Belastungsstörung. "In diesem Fall kann es keinen Zweifel geben, dass es sich um ein Trauma handelt. Ein Trauma gigantischen Ausmaßes."

Immer wieder weint sie

Eine Aussage in Anwesenheit des mutmaßlichen Mörders würde eine massive Stresssituation bedeuten - es bestehe die Gefahr der Retraumatisierung. Auch für den Lebensgefährten. Obwohl dieser, wie er später aussagt, den Angeklagten nur einmal in seinem Leben kurz gesehen hat. "Aber das ist schon einige Zeit her", sagt er.

Während der Aussage der Mutter wird auch die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Die 42-Jährige tritt zwar als Nebenklägerin auf, hat die Verhandlung aber bislang gemieden. An diesem Montag wird sie durch einen Hintereingang ins Gericht geführt - Presse und Zuschauer bekommen sie nicht zu sehen.

Den schwersten Teil der Vernehmung muss sie gleich zu Anfang absolvieren - genau wie ihr Lebensgefährte muss sie dem Gericht schildern, wie sie ihre Mädchen in der Mordnacht gefunden hat. Die Frau habe sich tapfer bemüht, vollständige Angaben zu machen, sagt Oberstaatsanwältin Andrea Titz im Landgericht München II nach der Vernehmung. Aber natürlich sei sie sehr aufgewühlt, habe immer wieder geweint.

Die Frau habe zunächst geschildert, wie sie gegen halb fünf Uhr morgens nach Hause kam, sagt Titz. Sofort sei ihr eine Dose Terpentin aufgefallen, die nicht in den Haushalt gehöre. Und eine Hantelstange in der Küche. Auch ihr Lebensgefährte erinnert sich an sie - "blitzend silber" habe sie in der Spüle gelegen. Mit dieser Hantelstange soll der mutmaßlich Mörder Thomas S., der Schwager der Mutter, auf die Mädchen eingeschlagen haben.

Anette S. habe dann beschrieben, wie sie ins Obergeschoss gerannt sei und dort Chiara auf dem Bett gefunden habe. Schnell sei ihr klar gewesen, dass ihre jüngere Tochter tot sei, erzählt Oberstaatsanwältin Titz. Im Kinderzimmer im ersten Stock stößt Anette S. dann auch auf Sharon. Polizisten und Notärzte versuchen verzweifelt die Mädchen wiederzubeleben - ohne Erfolg.

Der Angeklagte Thomas S. verfolgt die Zeugenaussagen in einem Nebenraum per Liveübertragung. Er ist selbst Vater von sechs Kindern und mit der Schwester von Anette S. verheiratet. Bei seiner Verhaftung hatte er die Tat abgestritten, vor Gericht schweigt er bislang.

Zwar hat niemand den Täter in der Mordnacht beobachtet, doch die Beweise sind erdrückend - allein sieben Finger- oder Handabdrücke weisen darauf hin, dass der Angeklagte vor Ort war. Und das obwohl Anette S. bei ihrer Vernehmung aussagt, ihr Schwager sei schon seit Jahren nicht mehr in ihrer Wohnung gewesen. Das Verhältnis zu ihrer Schwester und deren Mann beschreibt sie als distanziert. "Es gab kein Verhältnis zwischen Kindern und Onkel", sagt ihr Lebensgefährte. Und wenn der in der Wohnung gewesen wäre, hätten das die Kinder sicher erzählt.

An den ersten beiden Prozesstagen blickte Thomas S. immer wieder interessiert in den Zuschauerraum, ab und zu lächelte er. An diesem dritten Prozesstag wirkt er sichtlich blasser, nervös knetet er seine Hände. Wieder trägt er eine Jeans und ein kurzärmliges Jeanshemd.

In der Anklageschrift heißt es, der Postzusteller habe kurz vor der Tat erfahren, dass er finanziell am Ende sei. Für die Staatsanwaltschaft ist das, das Motiv der Tat. Als die Zwangsversteigerung seines Eigenheims in Peißenberg drohte, soll Thomas S. seine Schwägerin gebeten haben, den Anteil an einer weiteren gemeinsamen Eigentumswohnung abzulösen. Ob Anette S. von der finanziellen Misere des Angeklagten wusste, wird bei der Vernehmung nicht klar. Titz erklärt aber, die Frau sei laut eigener Aussage nicht abgeneigt gewesen, den Handel mit ihm einzugehen. Offenbar wollte sie die Angelegenheit aber noch prüfen. Auch ihr Lebensgefährte erklärt, bei einem Treffen in Starnberg hätten sie sich auf 40.000 Euro geeinigt. Von dem Inhalt des Treffens weiß er aber nur aus den Erzählungen seiner Lebensgefährtin.

Dennoch soll Thomas S. dann losgezogen sein, um seine Nichten zu ermorden. Doch sein Plan war offenbar noch furchtbarer: Auch seine Schwägerin sollte laut Staatsanwaltschaft sterben - der 52-Jährige hatte laut Anklage gehofft, seine Frau würde dann alleinige Erbin ihrer Familie.

Am Tatort stießen die Ermittler auch auf eine Badewanne, gefüllt mit Wasser. Daneben ein eingesteckter Küchenmixer ohne Stäbe, halbverdeckt von Badetüchern. Nur weil seine Schwägerin so spät nach Hause kam, sei sie dem Mordanschlag entgangen, heißt es in der Anklageschrift. Demnach wollte Thomas S. den Mord wie einen erweiterten Suizid aussehen lassen.

Nach der Vernehmung der Mutter zeigt sich Oberstaatsanwältin Titz zufrieden: Die Frau habe im Wesentlichen ihre Aussagen, die sie bei den Polizeivernehmungen gemacht hatte, bestätigt. "Unserer Ansicht nach wurde die Anklage, insoweit sie sich auf die Aussagen der Zeugin bezieht, voll umfänglich bestätigt", sagte sie.

Insgesamt sollen in dem Prozess 63 Zeugen aussagen - unter ihnen auch die Schwester von Anette S. und Ehefrau des Angeklagten. Das Urteil soll am 27. März fallen.

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