Landgericht:"Die Lippen sind jetzt komplett blau"

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  • Giovanni S. soll seine sechs Wochen alte Tochter zu Tode geschüttelt haben. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen ihn wegen Mordes erhoben.
  • Beim Prozess um den Tod von Baby Alessia haben nun die Ärzte ausgesagt.
  • Die Verteidiger werfen den Rechtsmedizinern vor, dass andere Diagnosen wie plötzlicher Kindstod oder Vorerkrankungen bei ihrem Gutachten nicht ausgeschlossen worden seien.

Aus dem Gericht von Susi Wimmer

"Ich hab ein kleines Baby, das nicht mehr atmet", meldet sich eine weibliche Stimme am Notruf-Telefon. Relativ gefasst nennt die Frau noch ihre Wohnadresse und das Stockwerk, in dem sie sich befindet. Erst dann kippt ihre Stimme in höhere Tonlagen. "Die Lippen sind lila", jammert sie verzweifelt. Der Disponent am anderen Ende der Leitung erklärt mit ruhiger Stimme, dass die Mutter dem Mädchen in Bauchlage zwischen die Schulterblätter klopfen soll, und als das nicht hilft, führt er sie telefonisch durch die Beatmung des Säuglings. Neben der Stimme der Mutter ist eine permanent wimmernde Person zu hören. "Tun Sie die jammernde Dame weg", sagt der Disponent zur Mutter. Das heulende Häufchen Elend ist allerdings keine Dame, sondern Giovanni S., der Vater des Säuglings. Und er ist vor dem Landgericht München I angeklagt, seine sechs Wochen alte Tochter tot geschüttelt zu haben.

"Gut, dass es Rettungskräfte gibt, die so ruhig reagieren", sagt der Vorsitzende Richter Michael Höhne nach dem Abspielen der Notruf-Aufnahme im Gerichtssaal. Tatsächlich gibt der Mitarbeiter der Integrierten Rettungsleitstelle an jenem Oktobernachmittag 2017 zwar mit beruhigender Stimme, aber auch bestimmt und klar Anweisungen für die Reanimation des Mädchens. "Sie schnappt ein bisschen nach Luft", sagt die Mutter am Telefon. Dann soll sie ihr Baby zur Wiederbelebung auf den Boden legen. "Die Lippen sind jetzt komplett blau", winselt sie. Und noch während Vater und Mutter das Kind beatmen, treffen die Rettungskräfte in der Wohnung ein. Alessia aber wird nicht mehr aufwachen.

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Die Staatsanwaltschaft wirft dem 32-Jährigen vor, seine Tochter geschüttelt zu haben. Die Mutter glaubt an seine Unschuld.

Von Susi Wimmer

Bei der Kombination aus "subduralem Hämatom und generalisiertem Ödem", so sagt die Radiologie-Ärztin, die das kleine Mädchen wenig später in der Haunerschen Kinderklinik untersucht hat, bestehe ein dringender Verdacht auf Kindesmisshandlung. Die kleine Alessia litt also an Hirnblutungen und einer Schwellung und Flüssigkeitsansammlung im Gehirn. Der damals diensthabende Oberarzt berichtete von einer "extremen Hirnschwellung" und einem enormen Ödem binnen einer Stunde. Hinweise auf eine angeborene Gerinnungsstörung hätten die Blutwerte nicht angezeigt, ebenso wenig eine Hirnhautentzündung. Aufgrund der schweren Hirnschäden habe er einige Stunden später "gemeinsam mit den Eltern eine Entscheidung getroffen", sagt der Oberarzt. Dann stockt er. Die Entscheidung bestand darin, die künstliche Beatmung einzustellen und Alessia in den Armen ihrer Mutter "gehen zu lassen".

Die Verteidiger Peter Guttmann und Antonio Agosta werfen den Rechtsmedizinern vor, dass andere Diagnosen wie plötzlicher Kindstod oder Vorerkrankungen wie eine angeborene Blutgerinnungsstörungen bei ihrem Gutachten nicht ausgeschlossen worden seien. Ein Schütteltrauma sei nicht eindeutig feststellbar, meint Guttmann, deshalb benötige man eine Ausschlussdiagnose. Die Verteidigung will vier Gutachter, Experten aus ganz Deutschland, zu Wort kommen lassen.

Alessia sei zierlich gewesen, ansonsten "ein ganz normales Neugeborenes", sagt etwa die Kinderkrankenschwester vor Gericht aus. Die Mutter sei sehr fürsorglich mit dem Mädchen umgegangen und sie habe die Eltern in den "behutsamen Umgang" mit dem Baby eingewiesen. Die von der Verteidigung angeführte, bereits vorhandene Schwellung am Hinterkopf, bezeichnete die Kinderkrankenschwestern als ein häufig auftretendes Geburtsgeschwulst, das von selbst wieder vergehe. Bei einem Kaiserschnitt sei so ein Hämatom am Hinterkopf "eher selten", meint der Entbindungsarzt von Alessia, "kann aber während der Entbindungsphase entstehen".

Auch die Kinderärztin, die Alessia zweimal untersuchte, notierte sich keine Auffälligkeiten bei dem Mädchen. Die von der Mutter und der Großmutter vermuteten "Auffälligkeiten an den Augen" konnte die Ärztin nicht bestätigen. Säuglinge könnten in dem Alter beim Lichttest mit den Augen nur kurz fixieren und nur kurz folgen. "Die Eltern stehen bei diesem Test seitlich, die können das nicht so bewerten." Der Prozess wird kommenden Donnerstag fortgesetzt.

© SZ vom 26.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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