Prozess:Neun Jahre Haft für Tagesmutter gefordert

  • Im Prozess gegen eine Tagesmutter hat die Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe von neun Jahren sowie lebenslanges Berufsverbot gefordert.
  • Die 55-Jährige soll einen damals zehn Monate alten Jungen so geschüttelt haben, dass er irreversible Hirnschäden erlitt.
  • Die Angeklagte leugnete in der Verhandlung Übergriffe.

Aus dem Gericht von Susi Wimmer

Vergangene Woche hat Benedikt seinen dritten Geburtstag gefeiert. Sicher aber nicht so, wie andere Kinder in seinem Alter. Benedikt kann nicht laufen, nicht sitzen, kaum sehen, sich nicht artikulieren. Und das wird sich voraussichtlich sein Leben lang nicht gravierend verbessern. Die Verantwortung dafür trägt in den Augen von Staatsanwältin Nina Prantl die 55 Jahre alte Tagesmutter Angelika S.: Sie soll vor zwei Jahren den damals knapp zehn Monate alten Buben geschüttelt haben, weil er nicht zum Mittagsschlaf zu bewegen war. Dadurch erlitt der Bub irreversible Hirnschäden. Prantl plädierte auf eine Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung und Misshandlung Schutzbefohlener und forderte eine Haftstrafe von neun Jahren sowie lebenslanges Berufsverbot.

Seit über einem Jahr verhandelt die 29. Strafkammer am Landgericht München I unter dem Vorsitz von Nicole Selzam den tragischen Fall und befasst sich mit einem medizinischen Gutachten nach dem anderen. In 43 Verhandlungstagen habe man zehn medizinische Sachverständige, 20 Zeugen aus dem medizinischen Bereich sowie mehr als 100 Studien betrachtet, sagte Prantl in ihrem Plädoyer. Es sei fast ausschließlich um medizinische Sachverhalte gegangen, nicht um juristische. Und im Endeffekt auch nicht um Benedikt, der bis zum 19. September 2016 ein "gesunder Junge" gewesen sei, "der brabbelte und gerade dabei war, Laufen zu lernen".

Die Eltern von Benedikt hatten sich in jenem Sommer 2016 dazu entschieden, Benedikt in der Münchner Wohnung von Angelika S. betreuen zu lassen. Die Frau arbeitete 22 Jahre lang als Tagesmutter, betreute teilweise bis zu fünf Kinder gleichzeitig, und zog nebenbei noch ihre beiden Töchter groß. "Ich habe das nie als stressig empfunden, es hat mir Spaß gemacht", sagte Angelika S. vor Gericht.

Anfang Juli brachten die Eltern Benedikt zur Eingewöhnung vorbei, wobei er stets unruhig war und viel geschrien habe. "Er ist schon eine harte Nuss", soll S. zu einer anderen Mutter gesagt haben. Einmal hatte Benedikt bei der Abholung einen blauen Fleck am Arm, den S. damit erklärte, er habe sich den Arm an einer Schublade eingeklemmt. "Das Verletzungsbild passt auch zu einem Haltegriff", erläuterte Prantl. Am 13. September soll Angelika S. den Buben geohrfeigt und der Mutter bei der Abholung den Rat gegeben haben: "Passen Sie auf, dass er Sie nicht manipuliert." Später soll die Tagesmutter im Internet den Suchbegriff "Ohrenschmerzen durch Schlag auf Ohr" eingegeben haben. Tags darauf litt Benedikt unter Bläschen am Mund, fasst sich an Kopf und Ohr, der Kinderarzt fand keinerlei Erkrankung. "Womöglich waren das Stressreaktionen auf die Ohrfeige", sagte Prantl.

Nach dem Wochenende, am 19. September 2016, kam Benedikt wieder zur Tagesmutter. "Heute ist er besonders schlimm", soll Angelika S. einer anderen Mutter gesagt haben, die gerade mit ihrer Tochter zur Eingewöhnung kam. Einmal versuchte Angelika S. vergeblich, Benedikt zum Schlafen zu bringen. Beim zweiten mal, so ist sich Prantl sicher, schüttelte sie den schreienden Buben und legte ihn ins Bettchen. "Sie wollte mittags die Zeit für sich haben und verhindern, dass die anderen beiden Kindern aufwachten." Angelika S. habe gewusst, wie lebensbedrohlich das Schütteln sei, "sie nahm den Tod in Kauf", sagte Prantl. Die Angeklagte leugnete in der Verhandlung Übergriffe.

Benedikt habe sich an dem Tag an einem Legokorb hochgezogen und sei rücklings auf den Hinterkopf gefallen. Als Angelika S. den Buben zwei Stunden später wecken wollte, habe er nicht mehr reagiert. Benedikt erlitt eine so massive Schädigung des Gehirns, dass die Ethikkommission der Kinderklinik empfahl, die künstliche Beatmung bei dem Buben einzustellen. Nach der Extubation atmete Benedikt jedoch eigenständig weiter. In ihrem Plädoyer schloss Prantl andere Krankheiten bei Benedikt aus: "Ein Schütteltrauma ist die einzig plausible Erklärung für diese Verletzungen", sagte sie.

Benedikt wird heute durch eine Magensonde ernährt, "und die Eltern freuen sich, wenn er den Kopf selbständig halten kann, wenn er lächelt oder auf ein Geräusch reagiert". Kommende Woche will die Verteidigung plädieren

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