Die Justiz hat ein breit gefächertes Instrumentarium zur Hand, um Verbrechen zu ahnden. Im Fall von Roland B., der seine Ex-Freundin jahrelang gestalkt und schließlich mit 18 Messerstichen getötet hatte, griff die erste große Strafkammer am Landgericht München I zu einem der schärfsten Mittel, das die Justiz zu bieten hat: Roland B. wurde wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen zu lebenslanger Haft verurteilt. Außerdem stellte das Gericht die besondere Schwere der Schuld fest. Das heißt, der heute 46-Jährige kann nach einer Haftzeit von 15 Jahren nicht auf eine Bewährung hoffen.
Dass Roland B. in den zwölf Verhandlungstagen als Angeklagter vor der Richterbank saß, war augenscheinlich kaum erkennbar. Er äußerte sich nicht zum Tatgeschehen, trat aus Protest gegen alles und jeden in den Hungerstreik, redete viel über eigene Wehwehchen und machte sich zuweilen an unwichtig wirkenden Stellen Notizen. Selbst beim Schlusswort zog er es vor, zu schweigen.
Dabei habe er, so Richter Michael Höhne bei der Urteilsverkündung, jahrelang seine Ex-Freundin gedrängt, ihm doch Antworten zu liefern, warum die Beziehung gescheitert sei. "Er aber blieb den Angehörigen bei der Frage nach dem Warum die Antwort schuldig."
Der Bruder der Getöteten Tsin-leh L., der im Prozess als Nebenkläger auftrat, nickt kurz nach der Urteilsverkündung. Ja, sagt er später, er halte das Urteil für angemessen. Er hatte sich am letzten Verhandlungstag zu Wort gemeldet, hatte gesagt, dass er dem Prozess beiwohne, um Antworten zu finden. Immer wieder von Gefühlen übermannt, berichtete er von seiner Schwester, einer lebenslustigen Frau, die eine Krebserkrankung meisterte. "Sie hat nie den Kopf hängen lassen. Im Gegensatz zu Herrn B., der alles doof fand und lieber stänkerte, als selbst Verantwortung zu übernehmen." Der Bruder meinte, dass es Roland B. "gewurmt" haben müsse, dass Tsin-leh L., die durch ihre Krankheit nach seiner Auffassung wohl mit einem Makel behaftet war, "es geschafft hat, zu gehen, ihn zu verlassen". In den Augen von Roland B. hätte sie doch um einen wie ihn froh sein müssen, meinte der Bruder.
Die Liebesgeschichte von Tsin-leh L. und Roland B. war eher kurz: Die beiden Architekten lernten sich im Herbst 2008 bei der Arbeit in Irland kennen und lieben. Die Beziehung hielt ein Jahr, war nicht sonderlich harmonisch. Roland B. trennte sich während dieses Jahres mehrmals von Tsin-leh L. und meckerte bei Freunden über sie. Im August 2009 folgte das Aus. Allerdings hatte nicht er Schluss gemacht, sondern sie. Er stellte ihr weiterhin nach, sie machte ihm unmissverständlich klar, dass für sie die Beziehung beendet sei. Dann war Ruhe - bis 2012.
Tsin-leh L. wurde am 16. August 2016 im Hauseingang ihres Wohnanwesens an der Bayrischzeller Straße ermordet. "Aber der Mord begann schon 2012", sagte ihr Bruder. Da fing Roland B. an, ihr das Leben zur Hölle zu machen. "Ich kann mein Leben nicht mehr mit Freude leben", zitierte Michael Höhne Tsin-leh L.s Aussage bei der Polizei. "Sobald ich aus dem Haus gehe, habe ich Angst, dass er hinter mir steht. Und man weiß nie, ob er noch was Schlimmeres macht."
Roland B. hatte der Frau permanent aufgelauert, ihren neuen Arbeitsplatz und Wohnort ausspioniert. Er verklebte ihr Fahrradschloss, terrorisierte sie mit nächtlichen Anrufen. Tsin-leh L. wehrte sich mit allen juristischen Mitteln. Sie erwirkte Kontaktverbote, Roland B. wurde zu Geldstrafen verurteilt.
Am 18. August 2016, zwei Tage nach der Tat, war erneut eine Gerichtsverhandlung gegen den Stalker angesetzt. In dem anstehenden Prozess und dem Nichtakzeptieren der Trennung sah das Gericht die Motive für die Tat.
"Wir mussten desillusioniert feststellen, dass trotz des lehrbuchmäßigen Verhaltens von Tsin-leh L. es nicht möglich war, ihr Schutz zu bieten", sagte Höhne. Das Gericht, das mit dem Urteil dem Plädoyer von Staatsanwalt Laurent Lafleur großteils folgte, stützte sich auf "einen Indizienkreis", der "nicht den geringsten Zweifel an der Täterschaft" zulasse, auch wenn es keine Augenzeugen gegeben hatte. Das jahrelange Stalking mit "befremdlicher Beharrlichkeit", die "Nachstellungskaskade" habe ein besonderes Gewicht, "sodass eine Freilassung nach 15 Jahren als unangemessen erscheint".