Prozess:"Soll ich meine kranke Mutter umbringen?"

Der Zwang zur Illegalität: Vermittler von ausländischen Pflegekräften stehen derzeit vor Gericht - ein Verfahren mit möglicher Signalwirkung.

Bernd Kastner

Die Vernehmung des Zeugen ist schon zu Ende, der Richter hat Karl Huber nach Hause entlassen - aber der Zeuge will noch nicht gehen. Zuvor hat Herr Huber, 58 Jahre alt, von seiner Mutter erzählt; betagt ist sie und bettlägrig. Sie leben gemeinsam in einer Wohnung, und mit ihnen eine Pflegekraft. Aus Ungarn. Ohne Arbeitserlaubnis. Deshalb musste Huber Bußgeld zahlen, deshalb musste er als Zeuge erscheinen. Und nun fragt Huber den Richter, ob er ihn denn auch mal was fragen dürfe. Richter sind nicht gewohnt, befragt zu werden, aber das ist Herrn Huber egal: "Was soll ich machen? Ich kann sie doch nicht umbringen!"

Prozess: Was ist legal, was illegal, wenn ausländische Pflegekräfte einen kranken Menschen versorgen?

Was ist legal, was illegal, wenn ausländische Pflegekräfte einen kranken Menschen versorgen?

(Foto: Foto: Robert Haas)

Der Sohn einer schwerkranken Mutter stellt die entscheidende Frage: Was tun, wenn ich einen Angehörigen pflegen lassen will, zu Hause, nicht im Heim? Was tun, wenn ich mir keinen deutschen Pflegedienst leisten kann, also auf günstige ausländische Kräfte angewiesen bin, die rund um die Uhr da sind? Was tun, wenn osteuropäische Pflegerinnen zwar gut sind, aber ihre Beschäftigung nur halb legal ist? Oder illegal?

Es ist das Amtsgericht München, das Karl Huber als Zeuge geladen hat, um die Frage zu klären, wo die Grenze zwischen legal und illegal verläuft. Eine Frage, bei der sich die Politik um Antworten drückt. Und so läuft da im tristen Grün-Grau-Beige des Justizzentrums ein Prozess, der die gesamte Pflegeszene durcheinanderwirbeln könnte, falls am Ende rauskommt: Osteuropäische Pflegerinnen dürfen nicht als Selbständige in Haushalten arbeiten, weil sie de facto angestellt sind, und zwar ohne Arbeitserlaubnis. Am Ende aber könnte auch der Status Quo bestätigt werden, und der lautet: Nichts ist sicher, aber solange niemand daran rührt, ist alles gut.

110 Ordner, 150 Zeugen

Der Prozess ist ein Ordnungswidrigkeitsverfahren, aber was für eines. 110 Ordner braucht es für die Prozessunterlagen, an die 150 Zeugen sind geladen, meist Pflegende aus Ungarn und deutsche Angehörige. Die Beschuldigten in solch einem OWI-Verfahren heißen "Betroffene", und das sind: der Münchner Anwalt Kurt Fischer und ein ungarischer Geschäftsmann. Beide haben zusammen die Ungarinnen zu Hunderten an deutsche Haushalte vermittelt und je 1200 Euro Gebühr dafür verlangt - das entspricht in etwa einem Monatslohn einer solchen Haushaltskraft.

"Soll ich meine kranke Mutter umbringen?"

Auf die Spur von Fischer und seinem ungarischen Partner war die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls gekommen. Die Fahnder erklären, dass sie weder die Pfleger noch die Angehörigen kriminalisieren wollten, auch werde man nicht systematisch deutsche Haushalte durchkämmen. Vielmehr wolle man denen das Handwerk legen, die damit viel Geld verdienen. Anfang 2006 fand bei Anwalt Fischer eine Durchsuchung statt, er sollte dann insgesamt 180000 Euro Bußgeld zahlen. Vom ungarischen Chef der Vermittlungsagentur (Verteidigerin Angelika Haucke-D'Aiello) will der Staat 120000 Euro. Der Ungar ist schwer krank, er kann nicht an der Verhandlung teilnehmen. Fischer (Verteidiger Michael Fröschl) sieht sich als Opfer einer "Hexenjagd" und betont, "nach bestem Wissen und Gewissen" gehandelt zu haben.

Richter Heinz Mecklinger nimmt die Sache sehr ernst. Im Januar hatte er zu verhandeln begonnen, dann eine achtmonatige Pause eingelegt, um all die Zeugen zu laden. Horst Brahms aus Berlin zum Beispiel, 64 Jahre alt. Er hat auf einem Formblatt der ungarischen Agentur, auf dem anzugeben war, ob man eine selbständig oder eine unselbständig tätige Pflegerin wünsche, beide Kästchen angekreuzt. Da stutzt Richter Mecklinger: Warum denn das? "Weil ich keine Ahnung hatte", sagt der Mann. Das sagen die meisten anderen Zeugen auch, doch Brahms ist - Jurist. Wenn schon ein Jurist nicht durchblickt, wie sollen all die anderen etwas verstehen?

Brahms musste schnell handeln damals, seine Mutter wurde aus der Klinik entlassen und wollte unbedingt zurück in die eigene Wohnung. Der Sohn hatte über Freunde von einer Vermittlerin gehört, "die einem hilft, Ungarinnen als Pflegekräfte rund um die Uhr zu beschaffen", also habe er in Ungarn angerufen. Er habe sich auf die Auskunft der Agentur und des Münchner Anwalts Fischer verlassen, und der hat, soviel dürfte unstrittig sein, allen Familien versichert: Alles in bester Ordnung, alles legal, machen Sie sich keine Sorgen!

Waschen, windeln, kämmen gehörte in der Regel zu ihren Aufgaben, oder einfach nur da sein. Aber auch kochen, putzen, einkaufen. Zwei Frauen waren in der Regel in einem Haushalt, haben sich alle vier Wochen abgewechselt. "Das waren gestandene Hausfrauen, die wussten, was zu tun war", sagt Brahms. Als plötzlich aber Bußgeldbescheide im Dutzend rausgingen, an die Pflegerinnen und die Haushalte, war plötzlich alles anders. Da hatten sie Schwarz auf Weiß, dass sie illegal gehandelt hätten, der Schreck war groß. Zuerst. Dann folgte gewisse Erleichterung, denn die Bußgelder waren gering, 40 Euro bei Familie Brahms. "Ich war froh", sagt der Sohn, "dass es so glimpflich abgegangen ist, und hab dann auch schnell überwiesen." Einspruch hat kaum einer eingelegt, man wollte nicht noch mehr Ärger mit dem Staat.

Je mehr Zeugen auf dem schäbigen, orangefarbenen Stuhl vor Richter Mecklinger Platz nehmen, desto klarer wird das Bild von Menschen in einer Notlage. Sie haben 150 Euro Vermittlungsgebühr entrichtet und waren froh, jemanden zu haben. Niemand aber hat sie aufgeklärt, auf welch dünnem Eis sie sich bewegen, und als der Ärger mit den Bußgeldern begann, war der Vermittler abgetaucht. "Der war nie zu sprechen", so ein Zeuge.

"Soll ich meine kranke Mutter umbringen?"

Sechs Verhandlungstage sind bereits absolviert, sechs weitere sind noch angesetzt, das Ergebnis ist offen. Richter Mecklinger hat angekündigt, er wolle mit den Beteiligten über eine Einigung reden, um zu einem Ende zu kommen. Das könnte so aussehen, dass man sich auf ein geringeres Bußgeld verständigt. Aber was dann? Hätte so ein Deal auch Signalcharakter? Oder würde sich der Nebel weiter verdichten?

Die Pflegebedürftigen oder ihre Angehörigen haben kaum eine Chance, wirklich legal zu handeln, sofern sie auf ausländische Kräfte angewiesen sind (siehe Kasten). Claus Fussek, talkshowerprobter Kritiker der Pflegeszene, bringt es auf den Punkt: "Das System ist illegal - aber es funktioniert." 300000 offiziell registrierte Pflegebedürftige gibt es in Bayern, zwei Drittel davon werden zu Hause gepflegt. Dazu kommen viele, die in keiner Statistik sind. Fussek sieht das Dilemma der Angehörigen: "Sie haben die Wahl zwischen Pest und Cholera: Entweder sie machen sich strafbar, weil sie gegen Gesetze verstoßen. Oder sie machen sich strafbar wegen unterlassener Hilfeleistung gegenüber Vater oder Mutter."

Und dieses Dilemma ist es, das Karl Huber den Kragen platzen lässt. Als der Bußgeldbescheid kam, "da hat mich fast der Schlag getroffen". Die Welt hat er nicht mehr verstanden, also ist er zu einem weiteren Anwalt gegangen. Der habe zuerst empfohlen, die 60 Euro zu bezahlen, hat dann mit dem Zoll geredet, und dann habe er, Huber, vom Anwalt zweierlei bekommen: die Auskunft, dass jetzt alles geregelt sei und die Pflegerinnen bleiben könnten; und eine saftige Rechnung. Wenig später hat seine Mutter einen Gehirnschlag erlitten und ist seither voll pflegebedürftig.

"Es kann doch nicht sein, dass ich für etwas zur Verantwortung gezogen werde, wofür ich gar nichts kann", hat Huber in seiner Vernehmung gesagt, und jetzt, da ihn der Richter schon heimgeschickt hat, will er wissen, was er denn nun tun solle. Gute Frage, allein, der Richter darf keine Rechtsberatung geben, und so bleibt Heinz Mecklinger nur dieser eine Rat: "Da müssen Sie mit einem Anwalt reden."

Mitarbeit: Martin Langeder

Die Namen des beschuldigten Anwalts und der Zeugen wurden geändert.

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