Prozess: Schweizer Jugendliche:Gewaltexzess auf Klassenfahrt

Schweizer Jugendliche schlugen am Sendlinger Tor fünf Männer krankenhausreif. Nun stehen sie wegen versuchten Mordes vor Gericht.

A. Krug

Es war ein Amoklauf, der nur zehn Minuten dauerte. In diesen zehn Minuten sollen die drei Jugendlichen im Bereich des Sendlinger-Tor-Platzes insgesamt fünf Männer mit Fäusten und Tritten gegen den Kopf krankenhausreif geschlagen haben. Einen davon so schwer, dass er möglicherweise für immer entstellt sein wird. Das sind die Vorwürfe in einem der spektakulärsten Verfahren um Jugendgewalt in München, das am Montag vor der Jugendkammer des Landgerichts München I beginnt.

Angeklagt sind drei Schweizer Schüler wegen gemeinschaftlichen Mordversuchs und gefährlicher Körperverletzung. Sollten sich die Vorwürfe erhärten, drohen ihnen langjährige Haftstrafen. Mehr als acht Monate sind seit der Tat vergangen, die nicht nur in München, sondern vor allem auch in der Schweiz für Aufregung und Empörung sorgte. Den Ermittlungen zufolge gehörten die Angeklagten zu einer 28-köpfigen Schülergruppe der Weiterbildungs- und Berufswahlschule in Küsnacht am Zürichsee.

Für die Zehntklässler war es ihre Abschlussfahrt, begleitet wurden sie von vier Lehrern. Am 29. Juni quartierten sie sich in einem Jugendgästehaus in der Landwehrstraße ein. Am Abend des 30. Juni ließ sich eine Schülergruppe im Park an der Nußbaumstraße nieder, angeblich rauchten sie Joints und tranken Alkohol. Gegen 23.15 Uhr gab es Streit mit einigen Männer, die sich ebenfalls im Park aufhielten. Der mutmaßliche Haupttäter Mike B., 16, soll sich über den Verlust seines Geldbeutels beklagt haben. Aus Verärgerung sollen er und zwei weitere 16-Jährige beschlossen haben, "nur so zum Spaß" ein paar Leute "wegzuklatschen".

Laut Anklage griffen Mike B. und der gleichaltrige Ivan Z. zunächst drei Männer an, die sie als "Penner" ansahen. Mit Faustschlägen und Fußtritten sollen sie ihren Opfern vielfache Verletzungen zugefügt haben. Z. soll dabei einem körperbehinderten 43-jährigen Mann, der bereits zusammengesunken war, gezielt einen Tritt gegen dessen über der Parkbank hängenden Kopf versetzt haben.

Blankes Entsetzen über "Prügelschüler"

Nach dieser Gewaltorgie liefen die drei in Richtung Sendlinger-Tor-Platz, wo sie nur wenige Minuten später auf den Versicherungkaufmann Wolfgang O., 46, trafen, der gerade auf dem Heimweg in sein Hotel war. Die Staatsanwaltschaft wirft Mike B. vor, das Zufallsopfer - diesmal gemeinsam mit Benjamin D., 16, - ohne jede Vorwarnung halb tot geprügelt zu haben. Der Geschäftsmann O. erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma und multiple Brüche, sein Gesicht wurde durch Schläge und Tritte regelrecht deformiert.

Nach dieser Attacke sollen die drei Schüler in der Sonnenstraße noch einen Studenten zusammengeschlagen haben, bevor sie in das Jugendgästehaus flüchteten. Dort wurden sie noch in derselben Nacht festgenommen, weil ein aufmerksamer Zeuge ihnen gefolgt war und die Polizei verständigt hatte.

Vor allem in der Schweiz löste die Tat eine heftige Debatte über Jugendgewalt aus. In der Öffentlichkeit herrschte blankes Entsetzen über die "Prügelschüler", wobei man überwiegend für ein hartes Vorgehen plädierte und insoweit das deutsche Strafrecht mit einer Höchststrafe von zehn Jahre lobte - in der Schweiz läge die Strafe nicht über vier Jahre. Angeblich sollen alle drei Angeklagten strafrechtlich schon einmal aufgefallen sein, allerdings nicht gravierend.

Ihre Eltern jedenfalls reagierten entsetzt und die Lehrer der Schule mussten sich Vorwürfe über eine Verletzung der Aufsichtspflicht gefallen lassen. Ihren 17. Geburtstag mussten alle drei Angeklagten in Untersuchungshaft begehen. Dort sollen sie sich dem Vernehmen nach unauffällig verhalten. Verteidigt wird das Trio von den Münchner Anwälten Christian Finke, Titus Boerschmann und Christian Bärnreuther. Der Prozess ist vorerst auf sieben Verhandlungstage terminiert.

34 Zeugen und neun Sachverständige sollen gehört werden. Da es sich um jugendliche Angeklagte handelt, wird das gesamte Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Ob die Verteidiger öffentliche Erklärungen abgeben, steht noch nicht fest. Die Justiz hat aufgrund des Medieninteresses angekündigt, in einer Sitzungspause für Fragen zur Verfügung zu stehen.

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