München:Prozess um nacktes Neugeborenes im Gebüsch

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Die Frau soll ihr Kind in einem Gebüsch in Neuperlach bekommen und das Neugeborene dort liegen gelassen haben. (Foto: dpa)
  • Die Staatsanwaltschaft wirft einer 27 Jahre alten Frau aus Gießen versuchten Mord vor.
  • Sie soll im August 2018 ein Kind in einem Vorgarten im Münchner Stadtteil Neuperlach zur Welt gebracht, die Nabelschnur durchgebissen und den kleinen Jungen dort in einer Hecke liegen gelassen haben.
  • Als er gefunden wurde, hatte der Säugling nur noch eine Körpertemperatur von knapp 26 Grad, Knochenbrüche und innere Blutungen.

Aus dem Gericht von Susi Wimmer

Es war mehr als ein Zufall, der im heißen Sommer 2018 zur Rettung eines Menschenlebens führte. Wären auf der einen Seite der Therese-Giehse-Allee in Neuperlach nicht so viele Wespen herumgeschwirrt, hätte Carola S. nicht die Straßenseite gewechselt. Hätte sie dort nicht diese merkwürdigen Laute gehört, die an ein Tier erinnerten, und hätte sie schließlich nicht ein komisches Gefühl am Weitergehen gehindert - wer weiß, was geschehen wäre. So aber steckte die Rentnerin beherzt ihren Kopf in eine dichtgewachsene Hecke und entdeckte auf dem Erdboden ein Neugeborenes, nackt und mit blau angelaufenen Lippen.

Bei dieser Erzählung blickt Araya S. betroffen. Die 27-Jährige ist die Mutter des Säuglings. Sie sitzt auf der Anklagebank vor dem Landgericht München I, weil sie ihren verletzten Sohn in die Hecke gelegt haben und anschließend zu einer Grillparty gefahren sein soll. Als die Angeklagte vor der zweiten Strafkammer unter dem Vorsitz von Norbert Riedmann aussagt, ist es still in Saal B 162. Nur die Hände der jungen Frau fliegen durch die Luft, ihre Lippen formen Laute, Araya S. ( Name geändert) ist gehörlos. "Die Kommunikation ist schwierig", diesen Satz übersetzt die Gebärdensprachdolmetscherin des öfteren, wenn die kleine Frau mit dem schwarzen Pferdeschwanz aus ihrem Leben erzählt.

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Von Susi Wimmer

Allerdings dürfte nicht nur die Verständigung im Leben der Araya S. ein Problem gewesen sein, deren Eltern kurz vor ihrer Geburt aus Pakistan nach Gießen übersiedelten. Unter den sechs Kindern sei sie die Einzige gewesen, die überhaupt nicht hören konnte. Gespräche mit den Eltern: ein Problem. Erst mit zehn oder elf Jahren sei sie in die Schule gekommen, habe einen Hauptschulabschluss geschafft und habe dann nach Anweisung der Mutter unter anderem im heimischen Geschäft gearbeitet "oder Kartoffeln geschält".

Mit Anfang 20 sei sie mit einem älteren Mann durchgebrannt, habe geheiratet und sich etwa einen Monat später wieder scheiden lassen. Anschließend habe ihr die Mutter zwei Fotos von Männern aus der Heimat Pakistan auf den Tisch gelegt und erklärt, dass sie einen von ihnen heiraten solle. Sie flog zum Kennenlernen nach Pakistan, kehrte zurück und stellte fest, dass sie schwanger war. Ihr Sohn kam 2016 zur Welt, im Januar 2018, erneut schwanger, verließ sie ihren Mann. Warum, dazu will Verteidiger Alexander Hauer seine Mandantin jetzt noch keine Aussage machen lassen, ebenso zur Tat und ihrem Motiv.

Araya S. war hochschwanger, als sie sich im August 2018 via Facebook mit einem gehörlosen Mann in München verabredete. Man ging, so die Anklageschrift, zunächst in einen Biergarten, dann in die Wohnung des Mannes in der Therese-Giehse-Allee. Man verbrachte die Nacht zusammen, beim Geschlechtsverkehr will der Mann von einer Schwangerschaft nichts bemerkt haben. In den frühen Morgenstunden soll die Frau in den Vorgarten des Anwesens geschlichen sein und einen Sohn zur Welt gebracht haben. Sie soll die Nabelschnur durchgebissen und den Säugling in der Hecke versteckt haben.

Am Abend war die Angeklagte auf einem Grillfest in Hanau

Staatsanwalt Laurent Lafleur wirft ihr vor, dass sie den Tod des Kindes billigend in Kauf genommen habe und "aus unduldsamer Selbstgerechtigkeit heraus sich nicht durch ein weiteres Kind belasten wollte". Die Anklage lautete auf versuchten Mord in Tateinheit mit schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen. Nach der Geburt sei die Frau in die Wohnung zurück, habe dort Blutspuren beseitigt und dem Partner erzählt, sie wolle nun nach Frankfurt fahren in eine Klinik. Von einem Kind sagte sie nichts. Stattdessen verbrachte sie den Abend auf einem Grillfest in Hanau.

"Ein Ärmchen des Kindes stand so nach oben", erzählt die Rentnerin, die den Buben fand, "so als wolle er auf sich aufmerksam machen". Tatsächlich jedoch war der Bub schwer verletzt: Teilweise verschobene Brüche an einem Unter- sowie Oberarm und einem Oberschenkel, das Neugeborene litt unter Anämie, Nebennierenblutungen sowie einem Hämatom am Hinterkopf mit zwei Einblutungen in die Hirnhälften. Lebensbedrohlich, so sagt die Notärztin im Zeugenstand, sei aber die Auskühlung des Buben gewesen. Ersthelfer sollen 25,9 Grad Körpertemperatur gemessen haben, "in dem Bereich kann jederzeit Kammerflimmern oder Herzstillstand einsetzen".

Rechtsmediziner Randolph Penning erklärte, dass der Bub "zeitnah erfroren" wäre, hätte Carola S. ihn nicht gefunden. Er geht davon aus, dass die Verletzungen des Kindes von der Geburt stammen: Dass die Mutter das Baby in Steißlage aus dem Körper gezerrt hat. Bis auf kleine motorische Schwächen geht es dem Buben heute gut, er ist bei einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht. Der Prozess wird kommende Woche fortgesetzt.

© SZ vom 22.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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