Hungerstreik am Rindermarkt:Zehn Minuten ohne Arzt

Flüchtlinge demonstrieren mit Hungerstreik in München, 2013

Sanitäter transportierten die geschwächten Asylsuchenden ab. Gegen mehrere Flüchtlinge ermittelte die Staatsanwaltschaft später wegen Widerstands.

(Foto: Robert Haas)

Er soll Ärzten zeitweise den Zutritt zum Flüchtlingscamp verweigert und sich bei seiner Festnahme gewehrt haben. Nun musste sich der Versammlungsleiter des Hungerstreiks am Rindermarkt vor Gericht verantworten.

Von Christian Rost

Der Hungerstreik in einem Protestcamp am Rindermarkt im Juni 2013 endete mit dramatischen Szenen: Polizisten stürmten das Camp, Ärzte luden geschwächte Flüchtlinge auf Tragen und brachten sie in Kliniken. Den Versammlungsleiter nahmen Polizisten mit aufs Präsidium. Dort wurde Ashkan Khorasani bei der Mordkommission vernommen.

Die Beamten ermittelten wegen versuchten Totschlags gegen den Iraner, weil er als Verantwortlicher des Camps die Hungerstreikenden in Gefahr gebracht habe. Von diesem Vorwurf ist nichts übrig geblieben, letztlich bekam der 26-Jährige einen Strafbefehl wegen völlig anderer Delikte: wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz sowie Widerstands bei der Festnahme. Gegen den Strafbefehl wehrte sich Khorasani am Dienstag vor dem Amtsgericht.

Die Staatsanwältin wollte sich offenbar nicht dem Verdacht aussetzen, dass die Justiz nachtritt gegen die Flüchtlinge, die am Rindermarkt für eine andere Asylpolitik demonstriert hatten. Deshalb stellte die Anklägerin eigens klar, dass nicht der Protest an sich strafbar gewesen sei, sondern das Verhalten von Khorasani. Laut Anklage hatte er zumindest zeitweise Ärzten den Zutritt zum Flüchtlingscamp verwehrt sowie sich bei seiner Festnahme gewunden und mit den Füßen gegen den Abtransport durch Polizisten gestemmt.

Der Angeklagte bestritt beide Vorwürfe: "Es waren ständig Ärzte im Camp, wir hatten auch eigene Leute zur medizinischen Versorgung dabei." Als aber zusätzlich eine städtische Delegation von drei Ärzten aufgetaucht sei, die das Lager in Augenschein nehmen wollte und sich nicht habe legitimieren können, habe man die Leute weggeschickt. "In Deutschland braucht man doch für alles eine Genehmigung, und diese Ärzte hatten keine Genehmigung", sagte der Angeklagte. Und bei der Festnahme habe er gar keine Gelegenheit zum Widerstand gehabt, weil ihn ein Polizist sofort umgerannt habe, sagte Khorasani.

Zeugen stellten die Situationen dann ein wenig anders da. So berichtete ein Arzt, dass er für einen Zeitraum von etwa zehn Minuten nicht in das Camp durfte. Die Stadt hatte zuvor verfügt, dass Khorasani "Mitarbeitern des Rettungsdienstes und der Feuerwehr sowie Ärzten jederzeit Zutritt zum gesamten Versammlungsgelände gewähren" muss. Auf die Frage von Richter Lorenz Leitmeier, ob der Angeklagte sich an die Auflage gehalten habe, meinte der Arzt: "Wenn man es genau nimmt, kurze Zeit nicht, aber die meiste Zeit schon."

Verteidigerin kündigte Berufung an

Ein Polizist schilderte die Festnahme von Khorasani. Er habe sich die Handschellen nicht anlegen lassen wollen und beim Abtransport den Oberkörper ruckartig hin und her bewegt, so der Beamte. Als groben Widerstand empfand er das Verhalten des Iraners aber nicht. Der Widerstand sei nur gering gewesen, sagte der Beamte.

Die Staatsanwältin sah nach diesen Aussagen beide Vorwürfe gegen Khorasani als erwiesen an und forderte eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15 Euro. Verteidigerin Martina Arndt plädierte auf Freispruch. Ihrer Ansicht nach war Khorasani festgenommen worden, ehe die Polizei per Lautsprecherdurchsagen zum Räumen des Camps aufgefordert hatte.

Außerdem sei der Angeklagte nicht richtig belehrt worden. Und Ärzte seien ja laufend am Rindermarkt anwesend gewesen. Für das Gericht wog die Schuld Khorasani nicht sonderlich schwer, dennoch hatte er sich strafbar gemacht. Er wurde zu einer Geldstrafe von 1200 Euro verurteilt. Die Verteidigerin kündigte Berufung an.

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