Prozess gegen Schleuser:Wenn Flüchtlinge plötzlich Geiseln werden

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  • Vier Personen müssen sich vor dem Landgericht München I wegen gewerbs- und bandenmäßigen Schleusens verantworten.
  • Sie sollen 34 Menschen illegal nach Deutschland gebracht haben.
  • Außerdem wird ihnen erpresserischer Menschenraub vorgeworfen.

Von Christian Rost

Sie sollen 34 Männer, Frauen und Kinder mit Privatfahrzeugen illegal nach Deutschland gebracht und dafür abkassiert haben. Seit Montag müssen sich drei aus dem Kosovo stammende Brüder und die Frau eines der Männer wegen gewerbs- und bandenmäßigen Schleusens am Landgericht München I verantworten. Die Anklage wirft ihnen überdies erpresserischen Menschenraub vor, weil sie die Menschen, die sie transportierten, über Stunden hinweg eingesperrt haben sollen.

Die 43 bis 53 Jahre alten Angeklagten leben selbst schon seit vielen Jahren in Deutschland. Die drei Brüder arbeiten im Raum Köln auf dem Bau als Eisenflechter beziehungsweise Schweißer, die 47-jährige Frau ist als Versicherungsangestellte tätig. Quasi im Nebenerwerb sollen sie sich 2014 dazu verabredet haben, Landsleute in die Bundesrepublik zu schleusen. Mehrfach war das Ziel München. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen neun Fahrten vor, wobei jeweils bis zu acht Personen über die Grenzen gebracht worden sein sollen.

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Zwei Brüder waren laut Anklage als Fahrer eingeteilt, der dritte Mann kümmerte sich um die Akquirierung schleusungswilliger Personen von Ungarn oder Serbien aus. Die mitangeklagte Frau soll das Finanzielle organisiert haben. Sie habe Konten bei den Finanzdienstleistern "Moneygram" und "Western Union" unterhalten, auf die die Schleuserlöhne von Verwandten der geschleusten Personen transferiert worden seien, so die Staatsanwaltschaft. In zwei Fällen habe die Bande die Geschleusten so lange in einem Auto eingesperrt, bis deren Verwandte auch den Restbetrag von jeweils 600 Euro überwiesen hätten.

Unter den Geiseln soll sich auch ein Ehepaar mit drei minderjährigen Kindern befunden haben, die über Stunden in dem Wagen ausharren mussten. Die Angeklagten kassierten nach den Ermittlungen der Polizei von den Geschleusten unterschiedlich hohe Beträge: Einmal musste ein Ehepaar mit drei kleinen Kindern 2500 Euro für die Fahrt von Ungarn über Österreich nach Deutschland bezahlen. In einem anderen Fall verlangte die Bande von einem Paar mit vier Kindern 5500 Euro.

Zum Prozessauftakt machten zwei Brüder und die Versicherungsangestellte keine Angaben. Der vierte Angeklagte indes stellte sich den Fragen des Gerichts unter dem Vorsitz von Max Boxleitner und wies die Vorwürfe zurück. Nach der Aussage des 53-Jährigen haben es sich bei den Fahrten in den Kosovo um ganz normale Besuche in der Heimat gehandelt.

"Ich habe noch nie in meinem Leben Menschen aus dem Kosovo nach Deutschland gebracht", sagte er. Als er von Boxleitner auf einen verdächtigen Aufenthalt mit seinem Bruder auf dem Irschenberg an der A 8 angesprochen wurde, meinte der Angeklagte, sie seien dort auf der Suche nach einer Werkstatt für ihren Mercedes gewesen, der seltsame Geräusche von sich gegeben habe.

Das Auto habe man dann aber später doch lieber in Ungarn reparieren lassen, weil dies billiger gewesen sei. Die Angaben des μMannes stellten den Vorsitzenden nicht zufrieden: "Das passt nicht zu den Beweisen, aus den Ermittlungsakten ergibt sich ein ganz anderes Bewegungsbild", sagte Boxleitner. Die Polizei hatte die mutmaßliche Bande schon länger im Visier und überwachte auch deren Mobilfunkgeräte. Der Prozess wird fortgesetzt.

© SZ vom 29.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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