Prozess:Mehrmals auf Ex-Frau eingestochen - um sie "unattraktiv zu machen"

Lesezeit: 3 min

  • Enver K. hat im August 2016 seine von ihm getrennt lebende Frau niedergestochen. Nun steht er wegen versuchten Mordes vor Gericht.
  • Er selbst sagt aus, er habe die 37-Jährige nicht töten, sondern "nur verletzen" wollen.
  • Das gesamte Verbrechen wurde von Kameras dokumentiert. Der Prozess dauert an.

Von Susi Wimmer

Das hat man selten", sagt Anne Leiding, Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft: "Ein Verbrechen, aufgezeichnet in HD-Qualität." Tatsächlich sind die Bilder gestochen scharf, die in Saal B 175 vor dem Landgericht München I an die Wand gebeamt werden. Sie zeigen Enver K., wie er im August 2016 in die Pizzeria Da Bello e Bello in Schwabing marschiert, ein Messer hebt, und seine von ihm getrennt lebende Frau in den Rücken sticht. Sie flieht, er setzt ihr nach, sticht weiter auf sie ein, und als sie auf die Knie sinkt, packt er sie an den Haaren und schneidet ihr über das Gesicht.

Was dann folgt, erscheint auch grausam: Sechs Angestellte der Pizzeria stehen in der Gegend herum, gehen an der schwer verletzten Frau, die am Boden liegt, vorbei. Keiner beugt sich zu ihr, keiner leistet Hilfe. Die Minuten auf dem Video verstreichen, die Männer stehen untätig herum, es ist schwer mitanzusehen.

Enver K. schaut gar nicht erst hin. Als das Video gezeigt wird, lässt der 38-Jährige den Kopf hängen und starrt den Boden an. Es tue ihm leid, was er seiner Ex-Frau und den drei gemeinsamen Kindern angetan habe, lässt er durch seinen Verteidiger kundtun. Er schäme sich zutiefst, aber: Er habe sie nicht töten wollen, nur verletzen, ihr Angst machen, sie durch die Schnitte "unattraktiv machen". Staatsanwalt Laurent Lafleur teilt diese Ansicht nicht. Er hält den Angriff von hinten auf die Ahnungslose für heimtückisch und die Beweggründe für niedrig und hat Anklage wegen versuchten Mordes erhoben.

17 Jahre lang waren Enver K. und die heute 37-jährige Frau verheiratet. Sie habe ihn nie geliebt, ist er sicher. Wie der Verteidiger vorliest, sei die Ehe nie richtig harmonisch und lange Zeit in der Krise gewesen. Enver K. habe sich selten um seine Familie gekümmert, sei arbeitslos gewesen und spielsüchtig. Anfang des Jahre 2016 habe er eine Therapie begonnen - für seine Ehefrau offensichtlich zu spät. Sie habe sich im März 2016 von ihm getrennt. Enver K. habe sein Leben nicht auf die Reihe bekommen, nach der Trennung sei das noch schlimmer geworden, liest der Anwalt. Er habe unter Depressionen und Angstzuständen gelitten - und unter der Vorstellung, seine Frau habe einen neuen Freund und habe ihn schon während der Ehe betrogen.

Der Beamer läuft, das Geschehen kommt direkt in den Gerichtssaal. Die Polizei hat Videosequenzen zusammengestellt aus den Überwachungskameras der MVG, einer Tankstelle und der Pizzeria an der Elisabethstraße. Karten zeigen, wo Enver K. an jenem 10. August gegen 9 Uhr auf seine Ex gewartet hatte. Er stellte ihr nach - und wollte sie zur Arbeit begleiten. Sie gehen zur U-Bahnstation Harthof, um 9.24 Uhr sieht man, wie beide aus dem Fahrstuhl auf dem Bahnsteig steigen. Sie diskutieren.

Vor der Tat durchwühlte er die Wohnung der Frau

9.36 Uhr: Mit der U-Bahn kommen beide am Hohenzollernplatz an. Man sieht sie aussteigen, durch das Sperrengeschoss gehen. An der Elisabethstraße halten sie vor einem Obststand und laut Enver K. soll sie dort gesagt haben, dass er "ihre Nummer löschen" solle. Ihm sei "die Endgültigkeit der Trennung" klar geworden.

Rasend vor Eifersucht fährt er in die Wohnung seiner Ex. Er hegt den Verdacht, dass sie ein Verhältnis mit dem Nachbarn haben könnte. Seine Tochter öffnet ihm die Wohnung, er durchwühlt alles, findet nichts. Wieder dokumentiert das Video seine Fahrt zurück in die Elisabethstraße. "Ein paar Meter vor der Pizzeria öffnete er das Taschenmesser", liest der Anwalt. Dann sticht und schneidet er fünfmal auf seine Frau ein.

Erst als ihm ein Angestellter der Pizzeria Da Bello e Bello entgegengeht, lässt er von ihr ab und verschwindet. Dann stehen die Angestellten untätig da. Staatsanwalt Lafleur sagt, dass gegen sie rein juristisch keine Anklage wegen unterlassener Hilfeleistung erhoben werden könne, sie hätten den Notarzt gerufen.

Enver K. irrt unterdessen durch Schwabing. Er landet an der Total-Tankstelle an der Leonrodstraße und fordert den Tankwart auf, die Polizei zu rufen. Wie die Überwachungskamera zeigt, kauft er sich noch eine Limo, und als die Polizei eintrifft, stellt er die Flasche auf den Boden, geht hinaus, legt sich bäuchlings auf den Boden und kreuzt die Hände auf dem Rücken. Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.

© SZ vom 27.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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