München: Prozess gegen Demjanjuk:Verteidigung fordert Freispruch

Lesezeit: 3 min

Beim Prozess gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher John Demjanjuk hat die Verteidigung das Wort. Sein Anwalt erklärt seinen Mandanten für unschuldig, an einen Freispruch glaubt er jedoch nicht. Stattdessen greift er die Justiz der Bundesrepublik an.

Robert Probst

Ulrich Busch hätte für seinen Auftritt gerne eine größere Bühne gehabt, den großen Saal mit der Sprechanlage. Doch im großen Sitzungssaal des Münchner Strafjustizzentrums wird seit einigen Wochen unter großen Sicherheitsvorkehrungen gegen acht mutmaßliche Islamisten verhandelt.

John Demjanjuk im Münchner Justizgebäude: Nur ein "Justizopfer" Deutschlands? (Foto: AFP)

Und so muss der Verteidiger von John Demjanjuk, 91, sein voraussichtlich mehrere Tage dauerndes Schlussplädoyer im zweitgrößten Saal des Landgerichts München II beginnen - ohne Mikrofon. Noch nie hätten sich jemand dort über die Akustik beklagt, heißt es dazu in einer eigens erstellten Verfügung der Schwurgerichtskammer. Falls Busch auf "vermeintliche Waffengleichheit" bezüglich der Sprechanlage aus sei, heißt es weiter: "Beim Schlussvortrag kommt es auf den Inhalt des gesprochenen Wortes an und nicht auf dessen Lautstärke."

Und der Inhalt des Vortrags hat es dann durchaus in sich. Wie schon in den etwa 90 Verhandlungstagen seit Ende November 2009 tritt Wahlverteidiger Busch kämpferisch, aggressiv und anklagend auf. Seine immer wiederholte These: Deutschland wolle sich von der Alleinschuld am Holocaust freisprechen und durch die Verurteilung eines Ausländers für NS-Verbrechen "die Schuld über Europa verteilen". Dies sei politisch so gewollt.

Deutschland solle zu Gericht sitzen über Nationen, die Hilfswillige oder Kollaborateure fürs Dritte Reich gestellt hätten. Zuletzt hatten freilich viele Vertreter der Nebenklage betont, mit dem Prozess solle keinesfalls die Schuld Deutschlands für die NS-Verbrechen relativiert werden. Dies sei auch gar nicht möglich angesichts der Monströsität der Verbrechen. Demjanjuk sei zudem nichts weniger als ein "Justizopfer" Deutschlands, betonte Busch. Seinem Mandanten wird vorgeworfen, 1943 als "fremdvölkischer Hilfswilliger" der SS im Vernichtungslager Sobibor bei der Ermordung von mehr als 27.900 Juden geholfen zu haben. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Gefängnisstrafe von sechs Jahren wegen Beihilfe zum Mord; die vor allem niederländischen Nebenkläger und ihre Anwälte fordern ebenfalls ausnahmslos einen Schuldspruch - hier reicht die Spanne aber von "keine Strafe" bis zur Höchstgrenze von 15 Jahren Gefängnis.

Ulrich Busch jedoch will einen Freispruch, Haftentlassung und Haftentschädigung für den gebürtigen Ukrainer, der seit fast zwei Jahren in München sein Leben in U-Haft verbringen muss. Der nun staatenlose Greis habe in Israel zudem bereits fünf Jahre in einer Todeszelle verbringen müssen, ehe er 1993 vom Vorwurf, "Iwan der Schreckliche" aus dem Vernichtungslager Treblinka gewesen zu sein, freigesprochen wurde.

1988 sei er in einem "politischen Schauprozess" zum Tod durch den Strang verurteilt worden - "gewissenlose, korrupte Staatsanwälte" in Israel und den USA hätten hier nichts weniger als einen staatlichen "Mordversuch" unternommen - weil sie gewusst hätten, dass Demjanjuk - wie sich später dann vor dem Obersten Gerichtshof in Jerusalem herausstellte, gar nicht dieser Iwan gewesen sein konnte.

"Wer fünf Jahre lang unschuldig in der Todeszelle saß, hat alles gebüßt, was er je getan hat", folgert Busch; kein deutscher NS-Verbrecher sei härter bestraft worden als Demjanjuk, der nun seit fast 35 Jahren von Ermittlern und Justiz verfolgt werde. Demjanjuk selbst schweigt zu allen Vorwürfen - und Busch geht nicht darauf ein, ob sein Mandant 1943 Wachmann in Sobibor war.

Er spricht stets im Konjunktiv und von "angeblichen Taten". Aber er spricht auch immer wieder vom "kleinsten Fisch der kleinen Fische", von "Befehlsempfängern ohne Befehlsgewalt". Und von Wachmännern, die "gezwungene Roboter in der Hand der SS" gewesen seien.

Aber nicht nur Israel habe Demjanjuk entlastet, auch die Zentrale Stelle zur Ermittlung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg habe den früheren US-Bürger 2003 "materiell freigesprochen", da sie einen individuellen Tatvorwurf für Sobibor nicht erkennen konnte.

Gleiches gelte für das Institut für Nationales Gedenken in Polen, das 2007 Ermittlungen gegen Demjanjuk eingestellt habe. An der Beweislage habe sich seither nichts geändert, und doch sei Demjanjuk plötzlich angeklagt worden - wie aus einem "Zauberhut" sei ein Schuldvorwurf konstruiert worden "größer als der Mount Everest".

Busch spielt damit auf die Tatsache an, dass bis 2008 in der Tat keine früheren ausländischen SS-Wachmänner in Deutschland vor Gericht gestellt wurden. Pünktlich zum 50-jährigen Bestehen der Zentralstelle sei dann dort die Theorie entwickelt worden, in einem Vernichtungslager müsse man Tätern einen individuellen Tatvorwurf nicht nachweisen, jeder, der dort tätig war, sei eine Rad im Getriebe der Mordmaschinerie gewesen und daher der Beihilfe zum Mord verdächtig.

Sein Mandant sei nicht nur ein Justizopfer Israels, sondern auch eines der Bundesrepublik. Nachdem Demjanjuk in den USA erneut die Staatsbürgerschaft aberkannt worden sei, habe sich auch Deutschland schuldig gemacht, indem es den "schwerkranken Greis" aufgenommen und ihm den Prozess gemacht habe. Man habe ihn so für immer von seiner Familie und Freunden getrennt und ihm auch die Würde genommen.

Dabei sei der wahre Täter in der NS-Zeit in Sobibor und anderen Vernichtungslagern "nicht Iwan der Schreckliche, nicht Iwan Demjanjuk, sondern Deutschland des Schreckliche" gewesen.

Das Urteil soll noch vor Mitte Mai ergehen. Danach wird bei einem zu erwartenden Schuldspruch Verteidiger Busch Revision beim Bundesgerichtshof einlegen.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: